Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Münchner Ausstellungen

zessiouen. Pvveda wählt dazu das Innere der mvsaikbekleideten Marius-
kirche in Venedig, Mas h Fondevilla in Vareelona läßt eine Prozession aus
einem mittelalterlichen Kirchenpvrtal hervortreten, Salinas schildert einen
Gottesdienst in der Unterkirche von Assisi. Garcia y Ramos in Sevilla wählt
ein Motiv, wie es bei seinen Landsleuten selten ist: eine Prozession wird durch
Sturm und Regen unterbrochen und kehrt wieder in die Kirche zurück; in
das dunkle Innere fällt eine scharfe Beleuchtung von außen. In der Regel
schildern die Maler das gleichmäßig helle Tageslicht. Eines der besten viel¬
farbigen Bilder ist das große Gemälde von Mariano Barbcsan, ein Markt in
Subiaco. Die Landschaft ist bei den Spaniern selten. Entweder geben sie
bnntblühende Gurten oder das dämmerig Träumerische eines Sees bei wolkeu-
bedecktem Himmel, wie Sanchoz Barbudo in Rom in seinem "Trasimenischen
See," einem außergewöhnlich stark auf den Ton hin gemalten Bilde.

Die in Rom lebenden Spanier haben auf die einheimische römische Schule
entschieden Einfluß geübt. Aber was im Renaisfaneezeitalter die Italiener
und Spanier unterschied, gilt noch heute. Die bunte Farbe der Italiener ist
mehr auf Dur, die der Spanier mehr ans Moll gestimmt. Das bunteste ita¬
lienische Bild ist von Tiratelli: ein Fasttag in Cceecmo. Heiter prächtig sind
anch eine Nokokoszene und eine Prozesston von Pio Joris. Das beste aber
hat Simiradzki gebracht in seiner Versuchung des heiligen Hieronymus. Die
Gestalten seiner Phantasie schweben verkörpert vor dem einsam betenden:
tanzende nackte Weiber und berühmte heidnische Dichter und Gelehrte. Ge¬
fühl für Maß und Schönheit herrscht in Bewegung und Farbe, und das
Bild ist vorgetragen mit dem lebhaften Temperament des Polen.

Die bedeutendsten Künstlerschulen hat Oberitalien. Bei den Venezianern
sind die Farben weich und gedämpft dnrch die feuchte Luft der Lagunen. Sie
lieben die Dämmerstunde, wie Milesi und Zanetti in ihren Knnalbildern. Die
Mailänder Schule klingt vielfach an die venezianische an.

Hiermit beschließen wir niisern der Malerei gewidmeten Rundgang dnrch
den Glaspalast. In den Ausstellungen keiner andern Stadt Europas bekommt
man einen so vollständigen Überblick über die Kunst aller Nationen wie in
München. Es ist ein hochinteressantes Stück zeitgenössischer Kultur, das da
vor unsern Augen ausgebreitet ist. Paris tritt als die erste Kunststadt her¬
vor. Wie em voller Strom rauscht die Pariser Kunst daher, der angeborne
Geschmack, die weltmännische Eleganz bilden die sichern Ufer, die selbst die
wilde Überschwemmung zur Zeit einer künstlerischen Revolution nicht voll¬
ständig zu durchbrechen vermag, und in die die Kunst bald wieder zurückkehrt.
Das Temperament, das die Kunst der Franzosen so interessant macht, fehlt
den Briten; ihre Kunst zeigt geschlossene Ruhe, sie ist wie der glatte Spiegel
eines See5, in dem sich wohlhäbige Ansiedlungen eines gebildeten Volkes
spiegeln. Die Wucht, mit der in München die Revolution eingesetzt hat, ist


Die Münchner Ausstellungen

zessiouen. Pvveda wählt dazu das Innere der mvsaikbekleideten Marius-
kirche in Venedig, Mas h Fondevilla in Vareelona läßt eine Prozession aus
einem mittelalterlichen Kirchenpvrtal hervortreten, Salinas schildert einen
Gottesdienst in der Unterkirche von Assisi. Garcia y Ramos in Sevilla wählt
ein Motiv, wie es bei seinen Landsleuten selten ist: eine Prozession wird durch
Sturm und Regen unterbrochen und kehrt wieder in die Kirche zurück; in
das dunkle Innere fällt eine scharfe Beleuchtung von außen. In der Regel
schildern die Maler das gleichmäßig helle Tageslicht. Eines der besten viel¬
farbigen Bilder ist das große Gemälde von Mariano Barbcsan, ein Markt in
Subiaco. Die Landschaft ist bei den Spaniern selten. Entweder geben sie
bnntblühende Gurten oder das dämmerig Träumerische eines Sees bei wolkeu-
bedecktem Himmel, wie Sanchoz Barbudo in Rom in seinem „Trasimenischen
See," einem außergewöhnlich stark auf den Ton hin gemalten Bilde.

Die in Rom lebenden Spanier haben auf die einheimische römische Schule
entschieden Einfluß geübt. Aber was im Renaisfaneezeitalter die Italiener
und Spanier unterschied, gilt noch heute. Die bunte Farbe der Italiener ist
mehr auf Dur, die der Spanier mehr ans Moll gestimmt. Das bunteste ita¬
lienische Bild ist von Tiratelli: ein Fasttag in Cceecmo. Heiter prächtig sind
anch eine Nokokoszene und eine Prozesston von Pio Joris. Das beste aber
hat Simiradzki gebracht in seiner Versuchung des heiligen Hieronymus. Die
Gestalten seiner Phantasie schweben verkörpert vor dem einsam betenden:
tanzende nackte Weiber und berühmte heidnische Dichter und Gelehrte. Ge¬
fühl für Maß und Schönheit herrscht in Bewegung und Farbe, und das
Bild ist vorgetragen mit dem lebhaften Temperament des Polen.

Die bedeutendsten Künstlerschulen hat Oberitalien. Bei den Venezianern
sind die Farben weich und gedämpft dnrch die feuchte Luft der Lagunen. Sie
lieben die Dämmerstunde, wie Milesi und Zanetti in ihren Knnalbildern. Die
Mailänder Schule klingt vielfach an die venezianische an.

Hiermit beschließen wir niisern der Malerei gewidmeten Rundgang dnrch
den Glaspalast. In den Ausstellungen keiner andern Stadt Europas bekommt
man einen so vollständigen Überblick über die Kunst aller Nationen wie in
München. Es ist ein hochinteressantes Stück zeitgenössischer Kultur, das da
vor unsern Augen ausgebreitet ist. Paris tritt als die erste Kunststadt her¬
vor. Wie em voller Strom rauscht die Pariser Kunst daher, der angeborne
Geschmack, die weltmännische Eleganz bilden die sichern Ufer, die selbst die
wilde Überschwemmung zur Zeit einer künstlerischen Revolution nicht voll¬
ständig zu durchbrechen vermag, und in die die Kunst bald wieder zurückkehrt.
Das Temperament, das die Kunst der Franzosen so interessant macht, fehlt
den Briten; ihre Kunst zeigt geschlossene Ruhe, sie ist wie der glatte Spiegel
eines See5, in dem sich wohlhäbige Ansiedlungen eines gebildeten Volkes
spiegeln. Die Wucht, mit der in München die Revolution eingesetzt hat, ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215808"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Münchner Ausstellungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_216" prev="#ID_215"> zessiouen. Pvveda wählt dazu das Innere der mvsaikbekleideten Marius-<lb/>
kirche in Venedig, Mas h Fondevilla in Vareelona läßt eine Prozession aus<lb/>
einem mittelalterlichen Kirchenpvrtal hervortreten, Salinas schildert einen<lb/>
Gottesdienst in der Unterkirche von Assisi. Garcia y Ramos in Sevilla wählt<lb/>
ein Motiv, wie es bei seinen Landsleuten selten ist: eine Prozession wird durch<lb/>
Sturm und Regen unterbrochen und kehrt wieder in die Kirche zurück; in<lb/>
das dunkle Innere fällt eine scharfe Beleuchtung von außen. In der Regel<lb/>
schildern die Maler das gleichmäßig helle Tageslicht. Eines der besten viel¬<lb/>
farbigen Bilder ist das große Gemälde von Mariano Barbcsan, ein Markt in<lb/>
Subiaco. Die Landschaft ist bei den Spaniern selten. Entweder geben sie<lb/>
bnntblühende Gurten oder das dämmerig Träumerische eines Sees bei wolkeu-<lb/>
bedecktem Himmel, wie Sanchoz Barbudo in Rom in seinem &#x201E;Trasimenischen<lb/>
See," einem außergewöhnlich stark auf den Ton hin gemalten Bilde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_217"> Die in Rom lebenden Spanier haben auf die einheimische römische Schule<lb/>
entschieden Einfluß geübt. Aber was im Renaisfaneezeitalter die Italiener<lb/>
und Spanier unterschied, gilt noch heute. Die bunte Farbe der Italiener ist<lb/>
mehr auf Dur, die der Spanier mehr ans Moll gestimmt. Das bunteste ita¬<lb/>
lienische Bild ist von Tiratelli: ein Fasttag in Cceecmo. Heiter prächtig sind<lb/>
anch eine Nokokoszene und eine Prozesston von Pio Joris. Das beste aber<lb/>
hat Simiradzki gebracht in seiner Versuchung des heiligen Hieronymus. Die<lb/>
Gestalten seiner Phantasie schweben verkörpert vor dem einsam betenden:<lb/>
tanzende nackte Weiber und berühmte heidnische Dichter und Gelehrte. Ge¬<lb/>
fühl für Maß und Schönheit herrscht in Bewegung und Farbe, und das<lb/>
Bild ist vorgetragen mit dem lebhaften Temperament des Polen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_218"> Die bedeutendsten Künstlerschulen hat Oberitalien. Bei den Venezianern<lb/>
sind die Farben weich und gedämpft dnrch die feuchte Luft der Lagunen. Sie<lb/>
lieben die Dämmerstunde, wie Milesi und Zanetti in ihren Knnalbildern. Die<lb/>
Mailänder Schule klingt vielfach an die venezianische an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_219" next="#ID_220"> Hiermit beschließen wir niisern der Malerei gewidmeten Rundgang dnrch<lb/>
den Glaspalast. In den Ausstellungen keiner andern Stadt Europas bekommt<lb/>
man einen so vollständigen Überblick über die Kunst aller Nationen wie in<lb/>
München. Es ist ein hochinteressantes Stück zeitgenössischer Kultur, das da<lb/>
vor unsern Augen ausgebreitet ist. Paris tritt als die erste Kunststadt her¬<lb/>
vor. Wie em voller Strom rauscht die Pariser Kunst daher, der angeborne<lb/>
Geschmack, die weltmännische Eleganz bilden die sichern Ufer, die selbst die<lb/>
wilde Überschwemmung zur Zeit einer künstlerischen Revolution nicht voll¬<lb/>
ständig zu durchbrechen vermag, und in die die Kunst bald wieder zurückkehrt.<lb/>
Das Temperament, das die Kunst der Franzosen so interessant macht, fehlt<lb/>
den Briten; ihre Kunst zeigt geschlossene Ruhe, sie ist wie der glatte Spiegel<lb/>
eines See5, in dem sich wohlhäbige Ansiedlungen eines gebildeten Volkes<lb/>
spiegeln.  Die Wucht, mit der in München die Revolution eingesetzt hat, ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0084] Die Münchner Ausstellungen zessiouen. Pvveda wählt dazu das Innere der mvsaikbekleideten Marius- kirche in Venedig, Mas h Fondevilla in Vareelona läßt eine Prozession aus einem mittelalterlichen Kirchenpvrtal hervortreten, Salinas schildert einen Gottesdienst in der Unterkirche von Assisi. Garcia y Ramos in Sevilla wählt ein Motiv, wie es bei seinen Landsleuten selten ist: eine Prozession wird durch Sturm und Regen unterbrochen und kehrt wieder in die Kirche zurück; in das dunkle Innere fällt eine scharfe Beleuchtung von außen. In der Regel schildern die Maler das gleichmäßig helle Tageslicht. Eines der besten viel¬ farbigen Bilder ist das große Gemälde von Mariano Barbcsan, ein Markt in Subiaco. Die Landschaft ist bei den Spaniern selten. Entweder geben sie bnntblühende Gurten oder das dämmerig Träumerische eines Sees bei wolkeu- bedecktem Himmel, wie Sanchoz Barbudo in Rom in seinem „Trasimenischen See," einem außergewöhnlich stark auf den Ton hin gemalten Bilde. Die in Rom lebenden Spanier haben auf die einheimische römische Schule entschieden Einfluß geübt. Aber was im Renaisfaneezeitalter die Italiener und Spanier unterschied, gilt noch heute. Die bunte Farbe der Italiener ist mehr auf Dur, die der Spanier mehr ans Moll gestimmt. Das bunteste ita¬ lienische Bild ist von Tiratelli: ein Fasttag in Cceecmo. Heiter prächtig sind anch eine Nokokoszene und eine Prozesston von Pio Joris. Das beste aber hat Simiradzki gebracht in seiner Versuchung des heiligen Hieronymus. Die Gestalten seiner Phantasie schweben verkörpert vor dem einsam betenden: tanzende nackte Weiber und berühmte heidnische Dichter und Gelehrte. Ge¬ fühl für Maß und Schönheit herrscht in Bewegung und Farbe, und das Bild ist vorgetragen mit dem lebhaften Temperament des Polen. Die bedeutendsten Künstlerschulen hat Oberitalien. Bei den Venezianern sind die Farben weich und gedämpft dnrch die feuchte Luft der Lagunen. Sie lieben die Dämmerstunde, wie Milesi und Zanetti in ihren Knnalbildern. Die Mailänder Schule klingt vielfach an die venezianische an. Hiermit beschließen wir niisern der Malerei gewidmeten Rundgang dnrch den Glaspalast. In den Ausstellungen keiner andern Stadt Europas bekommt man einen so vollständigen Überblick über die Kunst aller Nationen wie in München. Es ist ein hochinteressantes Stück zeitgenössischer Kultur, das da vor unsern Augen ausgebreitet ist. Paris tritt als die erste Kunststadt her¬ vor. Wie em voller Strom rauscht die Pariser Kunst daher, der angeborne Geschmack, die weltmännische Eleganz bilden die sichern Ufer, die selbst die wilde Überschwemmung zur Zeit einer künstlerischen Revolution nicht voll¬ ständig zu durchbrechen vermag, und in die die Kunst bald wieder zurückkehrt. Das Temperament, das die Kunst der Franzosen so interessant macht, fehlt den Briten; ihre Kunst zeigt geschlossene Ruhe, sie ist wie der glatte Spiegel eines See5, in dem sich wohlhäbige Ansiedlungen eines gebildeten Volkes spiegeln. Die Wucht, mit der in München die Revolution eingesetzt hat, ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/84
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/84>, abgerufen am 22.07.2024.