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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

großen Vertreter der Pariser Plastik sind alle Franzosen. Zu den schönsten
Werken gehört der tote Abel, als Knabe aufgefaßt, von Carlos. Das Original
steht im Luxemburgmuseum; im Glaspalast befindet sich ein Gipsabguß.
Auf felsigem Boden liegt der tote Knabe da, die Mitte des Körpers etwas
höher als die herabhängenden Beine und der hintenübergcfallne Kopf. Alles,
was die Schönheit eines Knabenkörpers ausmacht, das Geschmeidige, die feine
Muskulatur, die die künftige Stärke des Mannes erst ahnen läßt, die Zart¬
heit der Haut, alles hat der Künstler mit sicherm Auge gesehen und harmo¬
nisch vereinigt. Es ist eine Bescheidenheit in den plastischen Mitteln, eine
Feinfühligkeit in der Erfassung des Wesentlichen, eine Poesie der Schönheit,
die an die Antike erinnern. Von ganz anderm Geiste ist die bemalte Gips¬
statuette von Ringel d'Jllzach erfüllt, ein mit langem Rock bekleideter Ungar,
der auf einem Saiteninstrument spielt. Die ganze Figur ist von Feuer und
Temperament durchzuckt. Monumentale Ruhe und Größe enthält die Statuette
des Laternenträgers von Freiniet, ein zu Pferde haltender Herold, der eine
Lanze mit einer Laterne auf der Spitze trägt. Nach dieser kleinen Figur kaun
sich der Besucher vorstellen, mit welcher Monumentalität die französischen
Plastiker ihre großen Neiterdenkmäler aufzufassen wissen. Wieder eine andre
Probe der französischen Plastik ist die lebensgroße, einen Pfeil abschießende
Diana von Falgniöre. In ihr steckt noch etwas vom Rokoko, dieser Periode,
die das französische Wesen so gut wiederspiegelt. Man kann die Figur als
pikant, elegant und kokett bezeichnen -- alles ans dem Französischen stammende
Wörter. Von wahrhaft klassischer Feinheit und Harmonie sind die Franzosen in
ihren Plaketten, herrliche Proben dieser Kunst hat Chaplain aufgestellt.

Unter den deutschen Vildhauerschulen thut sich als die erste Berlin hervor.
Das Phantasielose, Nüchterne, Verstandesmäßige des Berliners, das die Ent¬
wicklung einer in breiter, überquellender Fülle schaffenden Malerei unmöglich
macht, bereitet der Plastik weniger Hindernisse, ja weist in gewissem Sinne darauf
hin. Der scharfe, öerechnende berlinische Geist ist geeignet zu plastischer Prä¬
zision der Form, zu allseitiger scharfer, runder Ausgestaltung mit bestimmten
Umrißlinien, wie sie die Plastik verlangt. Ganze Figuren und Gruppen ge¬
lingen am wenigsten, da zu einer lebendigen Komposition schon zu viel Phan¬
tasie gehört; das beweist der lebensgroße nackte Knabe, der eine Ziege an den
Hörnern gepackt hat und rückwärts reißt, von Hans Lade. Das ganze Werk
ist gut und tüchtig gearbeitet, aber es fehlt der sprühende Geist in der Zu¬
sammenstellung der beiden Figuren. Hübsch und elegant ist ein kleines Knaben-
figürchen von demselben Künstler. Die Reiterstatnette Kaiser Wilhelms in
Bronze von Max Klein leidet auch an dem Mangel an Originalität, wenn sie
auch unter andern Darstellungen desselben Gegenstandes durch Frische und
Monumentalität vorteilhaft absticht. Glücklicher ist diesmal Herder mit einem
Meerweibe, das von einem Polypen umwunden ist und gegen diesen kämpft.


Die Münchner Ausstellungen

großen Vertreter der Pariser Plastik sind alle Franzosen. Zu den schönsten
Werken gehört der tote Abel, als Knabe aufgefaßt, von Carlos. Das Original
steht im Luxemburgmuseum; im Glaspalast befindet sich ein Gipsabguß.
Auf felsigem Boden liegt der tote Knabe da, die Mitte des Körpers etwas
höher als die herabhängenden Beine und der hintenübergcfallne Kopf. Alles,
was die Schönheit eines Knabenkörpers ausmacht, das Geschmeidige, die feine
Muskulatur, die die künftige Stärke des Mannes erst ahnen läßt, die Zart¬
heit der Haut, alles hat der Künstler mit sicherm Auge gesehen und harmo¬
nisch vereinigt. Es ist eine Bescheidenheit in den plastischen Mitteln, eine
Feinfühligkeit in der Erfassung des Wesentlichen, eine Poesie der Schönheit,
die an die Antike erinnern. Von ganz anderm Geiste ist die bemalte Gips¬
statuette von Ringel d'Jllzach erfüllt, ein mit langem Rock bekleideter Ungar,
der auf einem Saiteninstrument spielt. Die ganze Figur ist von Feuer und
Temperament durchzuckt. Monumentale Ruhe und Größe enthält die Statuette
des Laternenträgers von Freiniet, ein zu Pferde haltender Herold, der eine
Lanze mit einer Laterne auf der Spitze trägt. Nach dieser kleinen Figur kaun
sich der Besucher vorstellen, mit welcher Monumentalität die französischen
Plastiker ihre großen Neiterdenkmäler aufzufassen wissen. Wieder eine andre
Probe der französischen Plastik ist die lebensgroße, einen Pfeil abschießende
Diana von Falgniöre. In ihr steckt noch etwas vom Rokoko, dieser Periode,
die das französische Wesen so gut wiederspiegelt. Man kann die Figur als
pikant, elegant und kokett bezeichnen — alles ans dem Französischen stammende
Wörter. Von wahrhaft klassischer Feinheit und Harmonie sind die Franzosen in
ihren Plaketten, herrliche Proben dieser Kunst hat Chaplain aufgestellt.

Unter den deutschen Vildhauerschulen thut sich als die erste Berlin hervor.
Das Phantasielose, Nüchterne, Verstandesmäßige des Berliners, das die Ent¬
wicklung einer in breiter, überquellender Fülle schaffenden Malerei unmöglich
macht, bereitet der Plastik weniger Hindernisse, ja weist in gewissem Sinne darauf
hin. Der scharfe, öerechnende berlinische Geist ist geeignet zu plastischer Prä¬
zision der Form, zu allseitiger scharfer, runder Ausgestaltung mit bestimmten
Umrißlinien, wie sie die Plastik verlangt. Ganze Figuren und Gruppen ge¬
lingen am wenigsten, da zu einer lebendigen Komposition schon zu viel Phan¬
tasie gehört; das beweist der lebensgroße nackte Knabe, der eine Ziege an den
Hörnern gepackt hat und rückwärts reißt, von Hans Lade. Das ganze Werk
ist gut und tüchtig gearbeitet, aber es fehlt der sprühende Geist in der Zu¬
sammenstellung der beiden Figuren. Hübsch und elegant ist ein kleines Knaben-
figürchen von demselben Künstler. Die Reiterstatnette Kaiser Wilhelms in
Bronze von Max Klein leidet auch an dem Mangel an Originalität, wenn sie
auch unter andern Darstellungen desselben Gegenstandes durch Frische und
Monumentalität vorteilhaft absticht. Glücklicher ist diesmal Herder mit einem
Meerweibe, das von einem Polypen umwunden ist und gegen diesen kämpft.


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[0086] Die Münchner Ausstellungen großen Vertreter der Pariser Plastik sind alle Franzosen. Zu den schönsten Werken gehört der tote Abel, als Knabe aufgefaßt, von Carlos. Das Original steht im Luxemburgmuseum; im Glaspalast befindet sich ein Gipsabguß. Auf felsigem Boden liegt der tote Knabe da, die Mitte des Körpers etwas höher als die herabhängenden Beine und der hintenübergcfallne Kopf. Alles, was die Schönheit eines Knabenkörpers ausmacht, das Geschmeidige, die feine Muskulatur, die die künftige Stärke des Mannes erst ahnen läßt, die Zart¬ heit der Haut, alles hat der Künstler mit sicherm Auge gesehen und harmo¬ nisch vereinigt. Es ist eine Bescheidenheit in den plastischen Mitteln, eine Feinfühligkeit in der Erfassung des Wesentlichen, eine Poesie der Schönheit, die an die Antike erinnern. Von ganz anderm Geiste ist die bemalte Gips¬ statuette von Ringel d'Jllzach erfüllt, ein mit langem Rock bekleideter Ungar, der auf einem Saiteninstrument spielt. Die ganze Figur ist von Feuer und Temperament durchzuckt. Monumentale Ruhe und Größe enthält die Statuette des Laternenträgers von Freiniet, ein zu Pferde haltender Herold, der eine Lanze mit einer Laterne auf der Spitze trägt. Nach dieser kleinen Figur kaun sich der Besucher vorstellen, mit welcher Monumentalität die französischen Plastiker ihre großen Neiterdenkmäler aufzufassen wissen. Wieder eine andre Probe der französischen Plastik ist die lebensgroße, einen Pfeil abschießende Diana von Falgniöre. In ihr steckt noch etwas vom Rokoko, dieser Periode, die das französische Wesen so gut wiederspiegelt. Man kann die Figur als pikant, elegant und kokett bezeichnen — alles ans dem Französischen stammende Wörter. Von wahrhaft klassischer Feinheit und Harmonie sind die Franzosen in ihren Plaketten, herrliche Proben dieser Kunst hat Chaplain aufgestellt. Unter den deutschen Vildhauerschulen thut sich als die erste Berlin hervor. Das Phantasielose, Nüchterne, Verstandesmäßige des Berliners, das die Ent¬ wicklung einer in breiter, überquellender Fülle schaffenden Malerei unmöglich macht, bereitet der Plastik weniger Hindernisse, ja weist in gewissem Sinne darauf hin. Der scharfe, öerechnende berlinische Geist ist geeignet zu plastischer Prä¬ zision der Form, zu allseitiger scharfer, runder Ausgestaltung mit bestimmten Umrißlinien, wie sie die Plastik verlangt. Ganze Figuren und Gruppen ge¬ lingen am wenigsten, da zu einer lebendigen Komposition schon zu viel Phan¬ tasie gehört; das beweist der lebensgroße nackte Knabe, der eine Ziege an den Hörnern gepackt hat und rückwärts reißt, von Hans Lade. Das ganze Werk ist gut und tüchtig gearbeitet, aber es fehlt der sprühende Geist in der Zu¬ sammenstellung der beiden Figuren. Hübsch und elegant ist ein kleines Knaben- figürchen von demselben Künstler. Die Reiterstatnette Kaiser Wilhelms in Bronze von Max Klein leidet auch an dem Mangel an Originalität, wenn sie auch unter andern Darstellungen desselben Gegenstandes durch Frische und Monumentalität vorteilhaft absticht. Glücklicher ist diesmal Herder mit einem Meerweibe, das von einem Polypen umwunden ist und gegen diesen kämpft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/86>, abgerufen am 22.07.2024.