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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

Im Bildnis gelingen den britischen Künstlern am besten Frauen und
Kinder. Überaus fein in seinem Silberton und elegant in der Zeichnung ist
Greiffenhagens Bildnis seiner Frau, entzückend naiv, echt kindlich die Bildnisse
kleiner Mädchen von Lvudcm. Wie ein Porträt aus der Zeit der deutschen
Romantik mutet uns das Bildnis eines jungen Mädchens von Richmond an,
es ist wenig modellirt, aber gerade dadurch wird der seine malerische Reiz des
Kopfes künstlerisch herausgebracht. Doch auch das Männerbildnis ist den
Engländern nicht unerreichbar. Durch scharfe Beobachtung der Persönlichkeit
zeichnet sich das kleine Bildnis eines zeitunglesenden Herrn von Hamilton aus.
Es ist fast gar keine Farbe in dem Gemälde, selbst die Fleischfarbe löst sich
in dem zarten silbergrauen Ton; aber mit eminenter Sicherheit ist der Kops ge¬
zeichnet, obwohl die Auffassung rein malerisch ist. Die englische Kunst ist die
Kunst eines hochgebildete" Volkes, das den feinsten künstlerischen Reizen zu¬
gänglich ist, das in der Kunst etwas Vornehmes sieht und das Bedürfnis hat,
sich durch sie über das Gewöhnliche hinaussehen zu lassen, in ihr das Leben
veredelt und verfeinert wiederzufinden.

Einen hohen Genuß bietet die Sonderansstellung von G. F. Watts in
London. Dieser bedeutende Künstler ist eine Art von englischem Böcklin. Er
hat sich hauptsächlich an Tintoretto geschult und ist doch durchaus eigenartig
geblieben. Man könnte in seinen Bildern fast einen englischen Maler ver¬
muten, der zur Zeit Tintorettos nach Italien gekommen wäre, der gelernt
Hütte, so groß und lodernd farbig zu empfinden wie die Venezianer und doch
seine englische Persönlichkeit nicht verleugnete. Was infolge seiner Nationalität
bei ihm blonder ist, nähert ihn Paolo Veronese. Solche venezianisch-farben-
glühenden Bilder sind "Psyche" und "Ararat," je eine kräftig braune männliche
und eine zarte weibliche Gestalt in blühenden Büschen. Ans einem andern
Bilde tritt dem knabenhaften Gott der Liebe eine hohe weibliche Gestalt, der
Tod, entgegen und erzwingt sich mit übermächtiger Geberde den Eingang in
ein Haus, den der Knabe vergebens verteidigt. Die weißgekleidete bleiche
Todesgestalt und das blühende Kind sind herrliche Gegensätze, überaus gro߬
artig, die gebietende unwiderstehliche Bewegung des Todes. Dieselben großen
Wirkungen erzielt Watts auch im Bildnis, sei es, daß er weich und malerisch
ist wie in dem Kopfe Lilfords oder scharf zeichnend wie in dem Bildnis des
Kardinals Manning, oder daß er durch Farbenstimmung wirkt wie in meh¬
reren weiblichen Bildnissen.

Wenden wir uns von den nordischen Völkern zu den südländischen, den
Spaniern und Italienern, so kommen wir aus dem Reiche des Tones, dem
alle nordischen Völker mehr oder weniger huldigen, in das der Farbe. Die
hauptsächlichsten spanischen Künstler leben in Rom, weil sie dort einen bessern
Verkaufsmarkt haben als in ihrem Heimatlande. Wegen der bunten Trachten
der Priester und der festlichen Kleidung des Volkes malen sie gern Pro-


Die Münchner Ausstellungen

Im Bildnis gelingen den britischen Künstlern am besten Frauen und
Kinder. Überaus fein in seinem Silberton und elegant in der Zeichnung ist
Greiffenhagens Bildnis seiner Frau, entzückend naiv, echt kindlich die Bildnisse
kleiner Mädchen von Lvudcm. Wie ein Porträt aus der Zeit der deutschen
Romantik mutet uns das Bildnis eines jungen Mädchens von Richmond an,
es ist wenig modellirt, aber gerade dadurch wird der seine malerische Reiz des
Kopfes künstlerisch herausgebracht. Doch auch das Männerbildnis ist den
Engländern nicht unerreichbar. Durch scharfe Beobachtung der Persönlichkeit
zeichnet sich das kleine Bildnis eines zeitunglesenden Herrn von Hamilton aus.
Es ist fast gar keine Farbe in dem Gemälde, selbst die Fleischfarbe löst sich
in dem zarten silbergrauen Ton; aber mit eminenter Sicherheit ist der Kops ge¬
zeichnet, obwohl die Auffassung rein malerisch ist. Die englische Kunst ist die
Kunst eines hochgebildete» Volkes, das den feinsten künstlerischen Reizen zu¬
gänglich ist, das in der Kunst etwas Vornehmes sieht und das Bedürfnis hat,
sich durch sie über das Gewöhnliche hinaussehen zu lassen, in ihr das Leben
veredelt und verfeinert wiederzufinden.

Einen hohen Genuß bietet die Sonderansstellung von G. F. Watts in
London. Dieser bedeutende Künstler ist eine Art von englischem Böcklin. Er
hat sich hauptsächlich an Tintoretto geschult und ist doch durchaus eigenartig
geblieben. Man könnte in seinen Bildern fast einen englischen Maler ver¬
muten, der zur Zeit Tintorettos nach Italien gekommen wäre, der gelernt
Hütte, so groß und lodernd farbig zu empfinden wie die Venezianer und doch
seine englische Persönlichkeit nicht verleugnete. Was infolge seiner Nationalität
bei ihm blonder ist, nähert ihn Paolo Veronese. Solche venezianisch-farben-
glühenden Bilder sind „Psyche" und „Ararat," je eine kräftig braune männliche
und eine zarte weibliche Gestalt in blühenden Büschen. Ans einem andern
Bilde tritt dem knabenhaften Gott der Liebe eine hohe weibliche Gestalt, der
Tod, entgegen und erzwingt sich mit übermächtiger Geberde den Eingang in
ein Haus, den der Knabe vergebens verteidigt. Die weißgekleidete bleiche
Todesgestalt und das blühende Kind sind herrliche Gegensätze, überaus gro߬
artig, die gebietende unwiderstehliche Bewegung des Todes. Dieselben großen
Wirkungen erzielt Watts auch im Bildnis, sei es, daß er weich und malerisch
ist wie in dem Kopfe Lilfords oder scharf zeichnend wie in dem Bildnis des
Kardinals Manning, oder daß er durch Farbenstimmung wirkt wie in meh¬
reren weiblichen Bildnissen.

Wenden wir uns von den nordischen Völkern zu den südländischen, den
Spaniern und Italienern, so kommen wir aus dem Reiche des Tones, dem
alle nordischen Völker mehr oder weniger huldigen, in das der Farbe. Die
hauptsächlichsten spanischen Künstler leben in Rom, weil sie dort einen bessern
Verkaufsmarkt haben als in ihrem Heimatlande. Wegen der bunten Trachten
der Priester und der festlichen Kleidung des Volkes malen sie gern Pro-


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[0083] Die Münchner Ausstellungen Im Bildnis gelingen den britischen Künstlern am besten Frauen und Kinder. Überaus fein in seinem Silberton und elegant in der Zeichnung ist Greiffenhagens Bildnis seiner Frau, entzückend naiv, echt kindlich die Bildnisse kleiner Mädchen von Lvudcm. Wie ein Porträt aus der Zeit der deutschen Romantik mutet uns das Bildnis eines jungen Mädchens von Richmond an, es ist wenig modellirt, aber gerade dadurch wird der seine malerische Reiz des Kopfes künstlerisch herausgebracht. Doch auch das Männerbildnis ist den Engländern nicht unerreichbar. Durch scharfe Beobachtung der Persönlichkeit zeichnet sich das kleine Bildnis eines zeitunglesenden Herrn von Hamilton aus. Es ist fast gar keine Farbe in dem Gemälde, selbst die Fleischfarbe löst sich in dem zarten silbergrauen Ton; aber mit eminenter Sicherheit ist der Kops ge¬ zeichnet, obwohl die Auffassung rein malerisch ist. Die englische Kunst ist die Kunst eines hochgebildete» Volkes, das den feinsten künstlerischen Reizen zu¬ gänglich ist, das in der Kunst etwas Vornehmes sieht und das Bedürfnis hat, sich durch sie über das Gewöhnliche hinaussehen zu lassen, in ihr das Leben veredelt und verfeinert wiederzufinden. Einen hohen Genuß bietet die Sonderansstellung von G. F. Watts in London. Dieser bedeutende Künstler ist eine Art von englischem Böcklin. Er hat sich hauptsächlich an Tintoretto geschult und ist doch durchaus eigenartig geblieben. Man könnte in seinen Bildern fast einen englischen Maler ver¬ muten, der zur Zeit Tintorettos nach Italien gekommen wäre, der gelernt Hütte, so groß und lodernd farbig zu empfinden wie die Venezianer und doch seine englische Persönlichkeit nicht verleugnete. Was infolge seiner Nationalität bei ihm blonder ist, nähert ihn Paolo Veronese. Solche venezianisch-farben- glühenden Bilder sind „Psyche" und „Ararat," je eine kräftig braune männliche und eine zarte weibliche Gestalt in blühenden Büschen. Ans einem andern Bilde tritt dem knabenhaften Gott der Liebe eine hohe weibliche Gestalt, der Tod, entgegen und erzwingt sich mit übermächtiger Geberde den Eingang in ein Haus, den der Knabe vergebens verteidigt. Die weißgekleidete bleiche Todesgestalt und das blühende Kind sind herrliche Gegensätze, überaus gro߬ artig, die gebietende unwiderstehliche Bewegung des Todes. Dieselben großen Wirkungen erzielt Watts auch im Bildnis, sei es, daß er weich und malerisch ist wie in dem Kopfe Lilfords oder scharf zeichnend wie in dem Bildnis des Kardinals Manning, oder daß er durch Farbenstimmung wirkt wie in meh¬ reren weiblichen Bildnissen. Wenden wir uns von den nordischen Völkern zu den südländischen, den Spaniern und Italienern, so kommen wir aus dem Reiche des Tones, dem alle nordischen Völker mehr oder weniger huldigen, in das der Farbe. Die hauptsächlichsten spanischen Künstler leben in Rom, weil sie dort einen bessern Verkaufsmarkt haben als in ihrem Heimatlande. Wegen der bunten Trachten der Priester und der festlichen Kleidung des Volkes malen sie gern Pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/83>, abgerufen am 22.07.2024.