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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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nicht so intim wie die ihrer Kollegen aus dem siebzehnten Jahrhundert,
der breite, etwas derbe Vortrag sucht auf möglichst leichtem Wege eine Wir¬
kung zu erzielen. Auch die lebendige Lustigkeit der alten Genrebilder findet
sich nicht mehr; die Figuren bewegen sich kaum; es liegt etwas schwermütiges,
trauriges über ihnen. Die Begabung sür das Bildnis haben zwar die heutigen
Maler ebenfalls von früher überkommen, aber auch die Bildnisse haben alle
einen schwermütigen Zug, der von dem kecken Mut und der weltmännischen
Sicherheit und Freiheit der großen Zeit bedeutend absticht. Beispiele dafür
sind die Bildnisse von Therese schwartze, das des Ministers des Auswärtigen
van Ticnhoven, der wie ein nachdenklicher Gelehrter aussieht, und das des
Finanzministers Pierson, in dem man einen die Zeitung lesenden und den
Stand seiner Geschäfte überlegender Kaufmann vermuten könnte. Das
Bildnis eines jungen Bauernmädchens von Bischop ist eines der wenigen
Bilder mit reichen Farben.

Als Originalität wird die Sammelausstellung des Malayen Jan Toorop
viel belacht. Schon den Europäern fehlt vielfach der sichere Geschmack, in Toorop
aber haben sich die modernen Absonderlichkeiten bis zur Karrikatur gesteigert,
umsomehr als er ein bedeutendes Talent ist. Seine Kunst ist ein Gemisch aus
japanischen und europäischen Elementen, in bizarren Linien und Farbenspielen
versucht er philosophische Gedanken auszudrücken, zu denen eine Gebrauchsanwei¬
sung an jedem Bilde befestigt ist, in andern Gemälden ist er Hypervibrist.

Die geschlossenste Wirkung haben rin ihrer Ausstellung die Briten erzielt.
Sie sind so poetisch wie die Franzosen, doch noch vornehmer als diese; höchst
selten ist bei ihnen ein Bild auf den Effekt gemalt. Die Gemälde kommen
dem Beschauer nicht entgegen, sondern ziehen ihn zu sich hinan. Es sind fast
ausschließlich Landschaften und Bildnisse. In der Landschaft ragt vor allem
die Schule von Glasgow hervor. In ihren Bildern herrscht düstre, schwer¬
mütige Poesie wie in einem Lied aus dem schottischen Hochlande. Wie die
Holländer, sind auch die Schotten Tonmaler, aber dieser Ton löst die Farbe
nicht auf, sondern bricht nur ihre scharfe Wirkung. Rostbraun, Rot, Grün
und Blau sind ihre Hauptfarben, kräftig, aber weich. Die Herbstlaudschaft
wird bevorzugt. Das tiefe Blau der entfernten Berge, das Rostbraun des
welken Laubes herrscht in dem Bilde von Fulton: "Spätherbst an der Mün¬
dung des Clhde." An die Küste hoch im Norden mit dunkelbraunen Sümpfen
und blaugrünen Wolken am Horizont sührt uns Rattrah. A. N. Brown
schildert das Großartige der Natur, aber mildert es durch ein lyrisches
Element. Bei Archibald Kap steht eine dunkel-blaugrüne Vaumgruppe gegen
den hell-blaugrünen Himmel,, aber weiche Dünste umfließen die Bäume und
vermitteln den Übergang. Es ist bezeichnend, daß unter der Hand dieser
Künstler selbst die duftige und lustige Frühlingsblüte der Obstbäume schwer
und ernst in der Farbe wird, wie bei Milne in Edinburgh.


nicht so intim wie die ihrer Kollegen aus dem siebzehnten Jahrhundert,
der breite, etwas derbe Vortrag sucht auf möglichst leichtem Wege eine Wir¬
kung zu erzielen. Auch die lebendige Lustigkeit der alten Genrebilder findet
sich nicht mehr; die Figuren bewegen sich kaum; es liegt etwas schwermütiges,
trauriges über ihnen. Die Begabung sür das Bildnis haben zwar die heutigen
Maler ebenfalls von früher überkommen, aber auch die Bildnisse haben alle
einen schwermütigen Zug, der von dem kecken Mut und der weltmännischen
Sicherheit und Freiheit der großen Zeit bedeutend absticht. Beispiele dafür
sind die Bildnisse von Therese schwartze, das des Ministers des Auswärtigen
van Ticnhoven, der wie ein nachdenklicher Gelehrter aussieht, und das des
Finanzministers Pierson, in dem man einen die Zeitung lesenden und den
Stand seiner Geschäfte überlegender Kaufmann vermuten könnte. Das
Bildnis eines jungen Bauernmädchens von Bischop ist eines der wenigen
Bilder mit reichen Farben.

Als Originalität wird die Sammelausstellung des Malayen Jan Toorop
viel belacht. Schon den Europäern fehlt vielfach der sichere Geschmack, in Toorop
aber haben sich die modernen Absonderlichkeiten bis zur Karrikatur gesteigert,
umsomehr als er ein bedeutendes Talent ist. Seine Kunst ist ein Gemisch aus
japanischen und europäischen Elementen, in bizarren Linien und Farbenspielen
versucht er philosophische Gedanken auszudrücken, zu denen eine Gebrauchsanwei¬
sung an jedem Bilde befestigt ist, in andern Gemälden ist er Hypervibrist.

Die geschlossenste Wirkung haben rin ihrer Ausstellung die Briten erzielt.
Sie sind so poetisch wie die Franzosen, doch noch vornehmer als diese; höchst
selten ist bei ihnen ein Bild auf den Effekt gemalt. Die Gemälde kommen
dem Beschauer nicht entgegen, sondern ziehen ihn zu sich hinan. Es sind fast
ausschließlich Landschaften und Bildnisse. In der Landschaft ragt vor allem
die Schule von Glasgow hervor. In ihren Bildern herrscht düstre, schwer¬
mütige Poesie wie in einem Lied aus dem schottischen Hochlande. Wie die
Holländer, sind auch die Schotten Tonmaler, aber dieser Ton löst die Farbe
nicht auf, sondern bricht nur ihre scharfe Wirkung. Rostbraun, Rot, Grün
und Blau sind ihre Hauptfarben, kräftig, aber weich. Die Herbstlaudschaft
wird bevorzugt. Das tiefe Blau der entfernten Berge, das Rostbraun des
welken Laubes herrscht in dem Bilde von Fulton: „Spätherbst an der Mün¬
dung des Clhde." An die Küste hoch im Norden mit dunkelbraunen Sümpfen
und blaugrünen Wolken am Horizont sührt uns Rattrah. A. N. Brown
schildert das Großartige der Natur, aber mildert es durch ein lyrisches
Element. Bei Archibald Kap steht eine dunkel-blaugrüne Vaumgruppe gegen
den hell-blaugrünen Himmel,, aber weiche Dünste umfließen die Bäume und
vermitteln den Übergang. Es ist bezeichnend, daß unter der Hand dieser
Künstler selbst die duftige und lustige Frühlingsblüte der Obstbäume schwer
und ernst in der Farbe wird, wie bei Milne in Edinburgh.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/82>, abgerufen am 22.07.2024.