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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Baum, in den eine Lichtflamme geschlagen war, die junge Frau sah lächelnd in
glücklichen Gedanken vor sich hin, ohne ein Wort zu sprechen, und der Hauptmann
ging eine Weile, die Hände ans dem Rücken, ans und ab.

Das war mal wieder so einer von deine" Mädchenstreichen! sagte er. Und
nun hüllst du dich auch noch in Schweigen.

Aber sie legte die Arme um seinen Hals, schloß ihm den Mund mit einem
Kusse und sagte leise- Ach nein, Liebster, ich mußte nur an die kleine Maschinka
denken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Anarchisten und Liberale.

So erstaunliche Leistungen des liberalen Dok¬
trinarismus wir schon erlebt haben, die Besprechung des Attentats in der franzö¬
sischen Kammer in einzelnen liberalen Zeitungen muß doch Staunen erregen. Über¬
raschen konnte die Schandthat unmöglich noch, ja es lag eigentlich den Anarchisten
als Partei viel näher, Bomben in eine gesetzgebende Versammlung zu schleudern,
als unter unschuldige Theaterbesucher. Nun erkennt man auch Maßregeln zum
Schutze der Gesellschaft als notwendig an. Aber um des Himmels willen nnr
nicht "Freiheiten" antasten! Wenn ein Mordgeselle ergriffen wird, wenn eine Zeit¬
schrift ihre Leser auffordert, dem erhabnen Beispiele des Märtyrers zu folgen, so
darf ihnen allerdings der Prozeß gemacht werden, doch selbstverständlich nur vor
dem ordentlichen Gerichte und bei voller Öffentlichkeit! Dem Verbrecher muß ge¬
stattet sein, sich seiner That zu rühmen und die Genossen zur Rache aufzustacheln,
seinem Verteidiger, den Angeklagten als einen Menschen zu schildern, der, von
Menschenliebe erfüllt, das Los der Armen und Unterdrückten verbessern wollte
und nur ein etwas zu energisches Mittel ergriff, weil er leider keinen Einfluß auf
die Machthaber hatte, oder als einen Unglücklichen, der, durch die Schuld der
jetzigen Gesellschaft verwahrlost, Mitleid, aber keine Strafe verdiene. Wohl giebt
es Beispiele genug von Einschüchterung der Geschwornen, die keine Lust haben, für
vogelfrei erklärt zu werdeu. Das ist freilich übel, muß aber hingenommen werden
und ist immer besser, als Ausnahmegesetze bei Ausnahmezuständen. Wenn diese
Freiheitsfreunde wenigstens konsequent wären und verlangten, daß die armen Anar¬
chisten vor ein unparteiisches Gericht zu stellen seien, denn ein solches ist offenbar
ein Schwurgericht keineswegs. Die Geschwornen sind Besitzende, Bourgeois, die
natürliche Feinde der Anarchisten sind. Und denen will mau die Verirrten aus¬
liefern? Unmöglich! Auch sie haben das Recht, von ihren Peers abgeurteilt zu
werden, also von vollgiltigen Anarchisten. Das ist unsrer Meinung nach über¬
zeugend für jeden echtgescirbten Freisinnigen.


Das neue österreichische Geld.

Der Finanzminister Steinbach wird, wie
es scheint, so kurze Zeit er auch seinen wichtigen Posten eingenommen hat, ein
dauerndes Andenken im Lande hinterlassen. Bekanntlich hatte seine Einführung der


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Baum, in den eine Lichtflamme geschlagen war, die junge Frau sah lächelnd in
glücklichen Gedanken vor sich hin, ohne ein Wort zu sprechen, und der Hauptmann
ging eine Weile, die Hände ans dem Rücken, ans und ab.

Das war mal wieder so einer von deine» Mädchenstreichen! sagte er. Und
nun hüllst du dich auch noch in Schweigen.

Aber sie legte die Arme um seinen Hals, schloß ihm den Mund mit einem
Kusse und sagte leise- Ach nein, Liebster, ich mußte nur an die kleine Maschinka
denken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Anarchisten und Liberale.

So erstaunliche Leistungen des liberalen Dok¬
trinarismus wir schon erlebt haben, die Besprechung des Attentats in der franzö¬
sischen Kammer in einzelnen liberalen Zeitungen muß doch Staunen erregen. Über¬
raschen konnte die Schandthat unmöglich noch, ja es lag eigentlich den Anarchisten
als Partei viel näher, Bomben in eine gesetzgebende Versammlung zu schleudern,
als unter unschuldige Theaterbesucher. Nun erkennt man auch Maßregeln zum
Schutze der Gesellschaft als notwendig an. Aber um des Himmels willen nnr
nicht „Freiheiten" antasten! Wenn ein Mordgeselle ergriffen wird, wenn eine Zeit¬
schrift ihre Leser auffordert, dem erhabnen Beispiele des Märtyrers zu folgen, so
darf ihnen allerdings der Prozeß gemacht werden, doch selbstverständlich nur vor
dem ordentlichen Gerichte und bei voller Öffentlichkeit! Dem Verbrecher muß ge¬
stattet sein, sich seiner That zu rühmen und die Genossen zur Rache aufzustacheln,
seinem Verteidiger, den Angeklagten als einen Menschen zu schildern, der, von
Menschenliebe erfüllt, das Los der Armen und Unterdrückten verbessern wollte
und nur ein etwas zu energisches Mittel ergriff, weil er leider keinen Einfluß auf
die Machthaber hatte, oder als einen Unglücklichen, der, durch die Schuld der
jetzigen Gesellschaft verwahrlost, Mitleid, aber keine Strafe verdiene. Wohl giebt
es Beispiele genug von Einschüchterung der Geschwornen, die keine Lust haben, für
vogelfrei erklärt zu werdeu. Das ist freilich übel, muß aber hingenommen werden
und ist immer besser, als Ausnahmegesetze bei Ausnahmezuständen. Wenn diese
Freiheitsfreunde wenigstens konsequent wären und verlangten, daß die armen Anar¬
chisten vor ein unparteiisches Gericht zu stellen seien, denn ein solches ist offenbar
ein Schwurgericht keineswegs. Die Geschwornen sind Besitzende, Bourgeois, die
natürliche Feinde der Anarchisten sind. Und denen will mau die Verirrten aus¬
liefern? Unmöglich! Auch sie haben das Recht, von ihren Peers abgeurteilt zu
werden, also von vollgiltigen Anarchisten. Das ist unsrer Meinung nach über¬
zeugend für jeden echtgescirbten Freisinnigen.


Das neue österreichische Geld.

Der Finanzminister Steinbach wird, wie
es scheint, so kurze Zeit er auch seinen wichtigen Posten eingenommen hat, ein
dauerndes Andenken im Lande hinterlassen. Bekanntlich hatte seine Einführung der


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[0653] Maßgebliches und Unmaßgebliches Baum, in den eine Lichtflamme geschlagen war, die junge Frau sah lächelnd in glücklichen Gedanken vor sich hin, ohne ein Wort zu sprechen, und der Hauptmann ging eine Weile, die Hände ans dem Rücken, ans und ab. Das war mal wieder so einer von deine» Mädchenstreichen! sagte er. Und nun hüllst du dich auch noch in Schweigen. Aber sie legte die Arme um seinen Hals, schloß ihm den Mund mit einem Kusse und sagte leise- Ach nein, Liebster, ich mußte nur an die kleine Maschinka denken. Maßgebliches und Unmaßgebliches Anarchisten und Liberale. So erstaunliche Leistungen des liberalen Dok¬ trinarismus wir schon erlebt haben, die Besprechung des Attentats in der franzö¬ sischen Kammer in einzelnen liberalen Zeitungen muß doch Staunen erregen. Über¬ raschen konnte die Schandthat unmöglich noch, ja es lag eigentlich den Anarchisten als Partei viel näher, Bomben in eine gesetzgebende Versammlung zu schleudern, als unter unschuldige Theaterbesucher. Nun erkennt man auch Maßregeln zum Schutze der Gesellschaft als notwendig an. Aber um des Himmels willen nnr nicht „Freiheiten" antasten! Wenn ein Mordgeselle ergriffen wird, wenn eine Zeit¬ schrift ihre Leser auffordert, dem erhabnen Beispiele des Märtyrers zu folgen, so darf ihnen allerdings der Prozeß gemacht werden, doch selbstverständlich nur vor dem ordentlichen Gerichte und bei voller Öffentlichkeit! Dem Verbrecher muß ge¬ stattet sein, sich seiner That zu rühmen und die Genossen zur Rache aufzustacheln, seinem Verteidiger, den Angeklagten als einen Menschen zu schildern, der, von Menschenliebe erfüllt, das Los der Armen und Unterdrückten verbessern wollte und nur ein etwas zu energisches Mittel ergriff, weil er leider keinen Einfluß auf die Machthaber hatte, oder als einen Unglücklichen, der, durch die Schuld der jetzigen Gesellschaft verwahrlost, Mitleid, aber keine Strafe verdiene. Wohl giebt es Beispiele genug von Einschüchterung der Geschwornen, die keine Lust haben, für vogelfrei erklärt zu werdeu. Das ist freilich übel, muß aber hingenommen werden und ist immer besser, als Ausnahmegesetze bei Ausnahmezuständen. Wenn diese Freiheitsfreunde wenigstens konsequent wären und verlangten, daß die armen Anar¬ chisten vor ein unparteiisches Gericht zu stellen seien, denn ein solches ist offenbar ein Schwurgericht keineswegs. Die Geschwornen sind Besitzende, Bourgeois, die natürliche Feinde der Anarchisten sind. Und denen will mau die Verirrten aus¬ liefern? Unmöglich! Auch sie haben das Recht, von ihren Peers abgeurteilt zu werden, also von vollgiltigen Anarchisten. Das ist unsrer Meinung nach über¬ zeugend für jeden echtgescirbten Freisinnigen. Das neue österreichische Geld. Der Finanzminister Steinbach wird, wie es scheint, so kurze Zeit er auch seinen wichtigen Posten eingenommen hat, ein dauerndes Andenken im Lande hinterlassen. Bekanntlich hatte seine Einführung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/653>, abgerufen am 22.07.2024.