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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Indische Zustände

Völker findet Ungko-Jndien seinen besten Schutz, sondern in seiner geographischen
Abgeschlossenheit. Wir haben schon gesehen, daß die indische Halbinsel von
der Landseite nur im Nordwesten zugänglich ist. Aber selbst hier an dein "Thore
Indiens" ist der Zugang sehr erschwert. Die wohlwollende Natur hat, nicht
zufrieden, die reichen Ebnen Hindustans durch die wilde", 3000 Meter hohen
Ketten des Suleiinangebirges zu schützen, diesem breiten Gebirgswall auf der
Außenseite noch das rauhe Gebirgsland von Afghanistan und die öde Hoch¬
ebne von Belutschistan in einer Breite von 500 Kilometern vorgelegt. Bon
diesen ist die letztere wiederum von Westen her durch die Wüste von Mekran
ganzlich unzugänglich gemacht, sodaß in der That nur der Teil der indischen
Nordwestgrenze angreifbar ist, der zwischen dem 28. und dem 34. Grad nördlicher
Breite liegt. Der Marsch eines größern Heeres über das in der letzten Zeit
so viel genannte Pamirplateau ist bei der Höhe, Breite und völligen Un¬
wirklichkeit der betreffenden Gebirgsmassen sicher ein Ding der Unmöglichkeit;
dieses entlegne Gebiet verdankt überhaupt seine Bedeutung nur dem Umstände,
daß es der russische" Diplomatie ein geeignetes Feld für ihre beliebte politische
Maulwurfsarbeit bietet.

Indien kann "ur auf dem Wege dnrch Afghanistan betreten werden. Auf
Afghanistan aber drückt Rußland von zwei Seiten her, von Turkesta" und
vom Kaspisee aus. Von diesen beide" verdient der Kaspisee unbedingt den
Vorzug als Basis für größere militärische Unternehmungen wegen seiner viel
bessern Verbindungen mit dem europäischen Rußland (Wolga, ciskaukasische Bahn,
Schwarzes Meer mit der Anschlußbahn Batna-Tiflis-Baku) und wegen der
Nähe der starke" Knnkasusgarnisonen. Natürlich würde bei einem.Kriege gegen
Indien die Mitwirkung einer von Samarkand ans operirenden Armee schwer
in die Wagschale fallen, aber der Hauptstoß würde nicht von Turkestan. sondern
vom Kaspisee erfolgen, nicht auf der Linie Balkh-Kabul, sondern auf der Linie
Herat-Kabul oder Herat-Kandahar.

.Wegen der natürlichen Schutzwälle Indiens und insbesondre Wege" der
Rauheit- des afghanischen Berglandes, die die U"ke""t"is noch in phantastischer
Vergrößerung erscheine" ließ, hat man einen solchen Heereszug oft für un¬
möglich gehalten. Sehr mit Unrecht. Der Marsch eines ansehnlichen Heeres
von dem Kaspisee nach dem Indus ist entschieden ausführbar. Wenn Alexander,
wenn Timur, Dschingis Khan und andre große Armeen über Herat-Kandahar
sowie über Balkh-Kabul nach Lahor führen konnte", warum soll es für die
Russen unmöglich sein? Der Zweifler wird einwenden, jene alten Eroberer
hätten keine Geschütze mit sich zu schleppe" gehabt. Aber dieser Einwurf kaun
uns nicht beirren, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß 1837 eine persische
Armee von 35000 Mann und 50 Geschützen vom Kaspisee nach Herat ge¬
zogen ist; daß 1880 Ajnb Khan 30000 Mann und 30 Geschütze von Herat
nach Kandahar geführt hat; und daß schließlich die Euglnuder von Indien


Indische Zustände

Völker findet Ungko-Jndien seinen besten Schutz, sondern in seiner geographischen
Abgeschlossenheit. Wir haben schon gesehen, daß die indische Halbinsel von
der Landseite nur im Nordwesten zugänglich ist. Aber selbst hier an dein „Thore
Indiens" ist der Zugang sehr erschwert. Die wohlwollende Natur hat, nicht
zufrieden, die reichen Ebnen Hindustans durch die wilde», 3000 Meter hohen
Ketten des Suleiinangebirges zu schützen, diesem breiten Gebirgswall auf der
Außenseite noch das rauhe Gebirgsland von Afghanistan und die öde Hoch¬
ebne von Belutschistan in einer Breite von 500 Kilometern vorgelegt. Bon
diesen ist die letztere wiederum von Westen her durch die Wüste von Mekran
ganzlich unzugänglich gemacht, sodaß in der That nur der Teil der indischen
Nordwestgrenze angreifbar ist, der zwischen dem 28. und dem 34. Grad nördlicher
Breite liegt. Der Marsch eines größern Heeres über das in der letzten Zeit
so viel genannte Pamirplateau ist bei der Höhe, Breite und völligen Un¬
wirklichkeit der betreffenden Gebirgsmassen sicher ein Ding der Unmöglichkeit;
dieses entlegne Gebiet verdankt überhaupt seine Bedeutung nur dem Umstände,
daß es der russische» Diplomatie ein geeignetes Feld für ihre beliebte politische
Maulwurfsarbeit bietet.

Indien kann »ur auf dem Wege dnrch Afghanistan betreten werden. Auf
Afghanistan aber drückt Rußland von zwei Seiten her, von Turkesta» und
vom Kaspisee aus. Von diesen beide» verdient der Kaspisee unbedingt den
Vorzug als Basis für größere militärische Unternehmungen wegen seiner viel
bessern Verbindungen mit dem europäischen Rußland (Wolga, ciskaukasische Bahn,
Schwarzes Meer mit der Anschlußbahn Batna-Tiflis-Baku) und wegen der
Nähe der starke» Knnkasusgarnisonen. Natürlich würde bei einem.Kriege gegen
Indien die Mitwirkung einer von Samarkand ans operirenden Armee schwer
in die Wagschale fallen, aber der Hauptstoß würde nicht von Turkestan. sondern
vom Kaspisee erfolgen, nicht auf der Linie Balkh-Kabul, sondern auf der Linie
Herat-Kabul oder Herat-Kandahar.

.Wegen der natürlichen Schutzwälle Indiens und insbesondre Wege» der
Rauheit- des afghanischen Berglandes, die die U»ke»»t»is noch in phantastischer
Vergrößerung erscheine» ließ, hat man einen solchen Heereszug oft für un¬
möglich gehalten. Sehr mit Unrecht. Der Marsch eines ansehnlichen Heeres
von dem Kaspisee nach dem Indus ist entschieden ausführbar. Wenn Alexander,
wenn Timur, Dschingis Khan und andre große Armeen über Herat-Kandahar
sowie über Balkh-Kabul nach Lahor führen konnte», warum soll es für die
Russen unmöglich sein? Der Zweifler wird einwenden, jene alten Eroberer
hätten keine Geschütze mit sich zu schleppe» gehabt. Aber dieser Einwurf kaun
uns nicht beirren, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß 1837 eine persische
Armee von 35000 Mann und 50 Geschützen vom Kaspisee nach Herat ge¬
zogen ist; daß 1880 Ajnb Khan 30000 Mann und 30 Geschütze von Herat
nach Kandahar geführt hat; und daß schließlich die Euglnuder von Indien


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[0629] Indische Zustände Völker findet Ungko-Jndien seinen besten Schutz, sondern in seiner geographischen Abgeschlossenheit. Wir haben schon gesehen, daß die indische Halbinsel von der Landseite nur im Nordwesten zugänglich ist. Aber selbst hier an dein „Thore Indiens" ist der Zugang sehr erschwert. Die wohlwollende Natur hat, nicht zufrieden, die reichen Ebnen Hindustans durch die wilde», 3000 Meter hohen Ketten des Suleiinangebirges zu schützen, diesem breiten Gebirgswall auf der Außenseite noch das rauhe Gebirgsland von Afghanistan und die öde Hoch¬ ebne von Belutschistan in einer Breite von 500 Kilometern vorgelegt. Bon diesen ist die letztere wiederum von Westen her durch die Wüste von Mekran ganzlich unzugänglich gemacht, sodaß in der That nur der Teil der indischen Nordwestgrenze angreifbar ist, der zwischen dem 28. und dem 34. Grad nördlicher Breite liegt. Der Marsch eines größern Heeres über das in der letzten Zeit so viel genannte Pamirplateau ist bei der Höhe, Breite und völligen Un¬ wirklichkeit der betreffenden Gebirgsmassen sicher ein Ding der Unmöglichkeit; dieses entlegne Gebiet verdankt überhaupt seine Bedeutung nur dem Umstände, daß es der russische» Diplomatie ein geeignetes Feld für ihre beliebte politische Maulwurfsarbeit bietet. Indien kann »ur auf dem Wege dnrch Afghanistan betreten werden. Auf Afghanistan aber drückt Rußland von zwei Seiten her, von Turkesta» und vom Kaspisee aus. Von diesen beide» verdient der Kaspisee unbedingt den Vorzug als Basis für größere militärische Unternehmungen wegen seiner viel bessern Verbindungen mit dem europäischen Rußland (Wolga, ciskaukasische Bahn, Schwarzes Meer mit der Anschlußbahn Batna-Tiflis-Baku) und wegen der Nähe der starke» Knnkasusgarnisonen. Natürlich würde bei einem.Kriege gegen Indien die Mitwirkung einer von Samarkand ans operirenden Armee schwer in die Wagschale fallen, aber der Hauptstoß würde nicht von Turkestan. sondern vom Kaspisee erfolgen, nicht auf der Linie Balkh-Kabul, sondern auf der Linie Herat-Kabul oder Herat-Kandahar. .Wegen der natürlichen Schutzwälle Indiens und insbesondre Wege» der Rauheit- des afghanischen Berglandes, die die U»ke»»t»is noch in phantastischer Vergrößerung erscheine» ließ, hat man einen solchen Heereszug oft für un¬ möglich gehalten. Sehr mit Unrecht. Der Marsch eines ansehnlichen Heeres von dem Kaspisee nach dem Indus ist entschieden ausführbar. Wenn Alexander, wenn Timur, Dschingis Khan und andre große Armeen über Herat-Kandahar sowie über Balkh-Kabul nach Lahor führen konnte», warum soll es für die Russen unmöglich sein? Der Zweifler wird einwenden, jene alten Eroberer hätten keine Geschütze mit sich zu schleppe» gehabt. Aber dieser Einwurf kaun uns nicht beirren, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß 1837 eine persische Armee von 35000 Mann und 50 Geschützen vom Kaspisee nach Herat ge¬ zogen ist; daß 1880 Ajnb Khan 30000 Mann und 30 Geschütze von Herat nach Kandahar geführt hat; und daß schließlich die Euglnuder von Indien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/629>, abgerufen am 22.07.2024.