Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Indische Zustände

aus wiederholt nach Kandahar marschiert sind. Also aus der ganzen Strecke
sind schon früher Kanonen gefahren. Gewiß dürfen die Schwierigkeiten der
Gebirgsmärsche nicht unterschätzt werden. Die weiten Entfernungen, die Höhe
der Pässe, die Rauheit der Gebirge, die dünne Bevölkerung der Gegenden, der
niedere Kulturzustand des Landes und die damit verbundne schieche Beschaffen¬
heit der Wege, der kriegerische Sinn der wilden Gebirgsstämme -- das alles
bildet eine Reihe von Hindernissen, deren Überwindung sehr hohe Anforderungen
an Führer und Truppen stellt. Aber in der Genügsamkeit des russischen Sol¬
daten, in seiner Gewöhnung an Entbehrungen und an Unbilden des Klimas
sind die hauptsächlichsten Voraussetzungen zur Bewältigung der gestellten Auf¬
gaben gegeben. Schon wiederholt haben russische Heere durch derartige Marsch¬
leistungen Bewunderung erregt. Suwarows Winterzng über die Alpe" stellte
jedenfalls höhere Ansprüche an die physische Leistungsfähigkeit der Truppen, als
ein Sommermarsch über den Hindukusch und den Snleiman. Und auch die
langjährigen Bergkämpfe im Kaukasus legten den Regimentern des Zaren außer¬
gewöhnliche Strapazen auf.

Aber'die Verpflegung! Hat nicht Wellington, das große militärische Orakel
der Engländer, zu Beginn dieses Jahrhunderts einmal von Afghanistan gesagt,
daß "eine kleine Armee darin vernichtet werden, eine große darin verhungern
müsse"? Nein, auch die Verpflegung eines größern Heeres ist möglich; hat
sie sich doch früher als möglich erwiesen. An 100000 Manu hat einst Alexander
vom Kaspisee über Merv (Margiana), Herat (Alexandria), Farcih (Pharazana),
Kandahar Wexandropvlis), Kabul (Cabura) und Balkh (Baktrci) nach dem
Jaxartes geführt und von dort zurück über Balkh, Kabul nach Lahor (Taxila).
Und mehrere von den Heeren späterer Eroberer zählten über 80000 Mann
und bestanden ans asiatischen Aufgeboteu, die gewöhnlich ebenso viel zerstörten,
wie sie verzehrten. Freilich darf nicht anßer Acht gelassen werden, daß diese
zum großen Teil Nomaden waren, die bei der Menge ihrer Transportmittel
eine ungeheure Schnelligkeit entfalte" konnten und in ihren Herden eine Art
wandelnden Magazins besaßen. Aber diese Vorzüge können durch eine ge¬
regelte Verpflegung ausgeglichen werden. . In Khorassan und dem Thale von
Herat dürften überhaupt keine Schwierigkeiten entstehen. Weiterhin auf dem
Marsche durch Afghanistan findet sich Wasser überall, während die saftigen
Gebirgswiesen hinreichendes Futter für die Pferde liefern. Die Mitführung
von Eßwaren für die Menschen ist durch die Erfindung der komprimirten Nah¬
rungsmittel ungemein erleichtert worden. "Kann doch ein einziges Kamel den
Bedarf für 1000 Mann und ein roher Wagen, der nur zehn Zentner Trag¬
fähigkeit hat, den für 2000 Mann für einen Tag fortschaffen." Natürlich
bleibt die Verpflegung größerer Massen auf dem langen Marsche immer eine
äußerst schwierige Aufgabe.

Daß also der Marsch eines größern Heeres vom Kaspisee zum Indus


Indische Zustände

aus wiederholt nach Kandahar marschiert sind. Also aus der ganzen Strecke
sind schon früher Kanonen gefahren. Gewiß dürfen die Schwierigkeiten der
Gebirgsmärsche nicht unterschätzt werden. Die weiten Entfernungen, die Höhe
der Pässe, die Rauheit der Gebirge, die dünne Bevölkerung der Gegenden, der
niedere Kulturzustand des Landes und die damit verbundne schieche Beschaffen¬
heit der Wege, der kriegerische Sinn der wilden Gebirgsstämme — das alles
bildet eine Reihe von Hindernissen, deren Überwindung sehr hohe Anforderungen
an Führer und Truppen stellt. Aber in der Genügsamkeit des russischen Sol¬
daten, in seiner Gewöhnung an Entbehrungen und an Unbilden des Klimas
sind die hauptsächlichsten Voraussetzungen zur Bewältigung der gestellten Auf¬
gaben gegeben. Schon wiederholt haben russische Heere durch derartige Marsch¬
leistungen Bewunderung erregt. Suwarows Winterzng über die Alpe» stellte
jedenfalls höhere Ansprüche an die physische Leistungsfähigkeit der Truppen, als
ein Sommermarsch über den Hindukusch und den Snleiman. Und auch die
langjährigen Bergkämpfe im Kaukasus legten den Regimentern des Zaren außer¬
gewöhnliche Strapazen auf.

Aber'die Verpflegung! Hat nicht Wellington, das große militärische Orakel
der Engländer, zu Beginn dieses Jahrhunderts einmal von Afghanistan gesagt,
daß „eine kleine Armee darin vernichtet werden, eine große darin verhungern
müsse"? Nein, auch die Verpflegung eines größern Heeres ist möglich; hat
sie sich doch früher als möglich erwiesen. An 100000 Manu hat einst Alexander
vom Kaspisee über Merv (Margiana), Herat (Alexandria), Farcih (Pharazana),
Kandahar Wexandropvlis), Kabul (Cabura) und Balkh (Baktrci) nach dem
Jaxartes geführt und von dort zurück über Balkh, Kabul nach Lahor (Taxila).
Und mehrere von den Heeren späterer Eroberer zählten über 80000 Mann
und bestanden ans asiatischen Aufgeboteu, die gewöhnlich ebenso viel zerstörten,
wie sie verzehrten. Freilich darf nicht anßer Acht gelassen werden, daß diese
zum großen Teil Nomaden waren, die bei der Menge ihrer Transportmittel
eine ungeheure Schnelligkeit entfalte» konnten und in ihren Herden eine Art
wandelnden Magazins besaßen. Aber diese Vorzüge können durch eine ge¬
regelte Verpflegung ausgeglichen werden. . In Khorassan und dem Thale von
Herat dürften überhaupt keine Schwierigkeiten entstehen. Weiterhin auf dem
Marsche durch Afghanistan findet sich Wasser überall, während die saftigen
Gebirgswiesen hinreichendes Futter für die Pferde liefern. Die Mitführung
von Eßwaren für die Menschen ist durch die Erfindung der komprimirten Nah¬
rungsmittel ungemein erleichtert worden. „Kann doch ein einziges Kamel den
Bedarf für 1000 Mann und ein roher Wagen, der nur zehn Zentner Trag¬
fähigkeit hat, den für 2000 Mann für einen Tag fortschaffen." Natürlich
bleibt die Verpflegung größerer Massen auf dem langen Marsche immer eine
äußerst schwierige Aufgabe.

Daß also der Marsch eines größern Heeres vom Kaspisee zum Indus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216354"/>
          <fw type="header" place="top"> Indische Zustände</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2446" prev="#ID_2445"> aus wiederholt nach Kandahar marschiert sind. Also aus der ganzen Strecke<lb/>
sind schon früher Kanonen gefahren. Gewiß dürfen die Schwierigkeiten der<lb/>
Gebirgsmärsche nicht unterschätzt werden. Die weiten Entfernungen, die Höhe<lb/>
der Pässe, die Rauheit der Gebirge, die dünne Bevölkerung der Gegenden, der<lb/>
niedere Kulturzustand des Landes und die damit verbundne schieche Beschaffen¬<lb/>
heit der Wege, der kriegerische Sinn der wilden Gebirgsstämme &#x2014; das alles<lb/>
bildet eine Reihe von Hindernissen, deren Überwindung sehr hohe Anforderungen<lb/>
an Führer und Truppen stellt. Aber in der Genügsamkeit des russischen Sol¬<lb/>
daten, in seiner Gewöhnung an Entbehrungen und an Unbilden des Klimas<lb/>
sind die hauptsächlichsten Voraussetzungen zur Bewältigung der gestellten Auf¬<lb/>
gaben gegeben. Schon wiederholt haben russische Heere durch derartige Marsch¬<lb/>
leistungen Bewunderung erregt. Suwarows Winterzng über die Alpe» stellte<lb/>
jedenfalls höhere Ansprüche an die physische Leistungsfähigkeit der Truppen, als<lb/>
ein Sommermarsch über den Hindukusch und den Snleiman. Und auch die<lb/>
langjährigen Bergkämpfe im Kaukasus legten den Regimentern des Zaren außer¬<lb/>
gewöhnliche Strapazen auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2447"> Aber'die Verpflegung! Hat nicht Wellington, das große militärische Orakel<lb/>
der Engländer, zu Beginn dieses Jahrhunderts einmal von Afghanistan gesagt,<lb/>
daß &#x201E;eine kleine Armee darin vernichtet werden, eine große darin verhungern<lb/>
müsse"? Nein, auch die Verpflegung eines größern Heeres ist möglich; hat<lb/>
sie sich doch früher als möglich erwiesen. An 100000 Manu hat einst Alexander<lb/>
vom Kaspisee über Merv (Margiana), Herat (Alexandria), Farcih (Pharazana),<lb/>
Kandahar Wexandropvlis), Kabul (Cabura) und Balkh (Baktrci) nach dem<lb/>
Jaxartes geführt und von dort zurück über Balkh, Kabul nach Lahor (Taxila).<lb/>
Und mehrere von den Heeren späterer Eroberer zählten über 80000 Mann<lb/>
und bestanden ans asiatischen Aufgeboteu, die gewöhnlich ebenso viel zerstörten,<lb/>
wie sie verzehrten. Freilich darf nicht anßer Acht gelassen werden, daß diese<lb/>
zum großen Teil Nomaden waren, die bei der Menge ihrer Transportmittel<lb/>
eine ungeheure Schnelligkeit entfalte» konnten und in ihren Herden eine Art<lb/>
wandelnden Magazins besaßen. Aber diese Vorzüge können durch eine ge¬<lb/>
regelte Verpflegung ausgeglichen werden. . In Khorassan und dem Thale von<lb/>
Herat dürften überhaupt keine Schwierigkeiten entstehen. Weiterhin auf dem<lb/>
Marsche durch Afghanistan findet sich Wasser überall, während die saftigen<lb/>
Gebirgswiesen hinreichendes Futter für die Pferde liefern. Die Mitführung<lb/>
von Eßwaren für die Menschen ist durch die Erfindung der komprimirten Nah¬<lb/>
rungsmittel ungemein erleichtert worden. &#x201E;Kann doch ein einziges Kamel den<lb/>
Bedarf für 1000 Mann und ein roher Wagen, der nur zehn Zentner Trag¬<lb/>
fähigkeit hat, den für 2000 Mann für einen Tag fortschaffen." Natürlich<lb/>
bleibt die Verpflegung größerer Massen auf dem langen Marsche immer eine<lb/>
äußerst schwierige Aufgabe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2448" next="#ID_2449"> Daß also der Marsch eines größern Heeres vom Kaspisee zum Indus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0630] Indische Zustände aus wiederholt nach Kandahar marschiert sind. Also aus der ganzen Strecke sind schon früher Kanonen gefahren. Gewiß dürfen die Schwierigkeiten der Gebirgsmärsche nicht unterschätzt werden. Die weiten Entfernungen, die Höhe der Pässe, die Rauheit der Gebirge, die dünne Bevölkerung der Gegenden, der niedere Kulturzustand des Landes und die damit verbundne schieche Beschaffen¬ heit der Wege, der kriegerische Sinn der wilden Gebirgsstämme — das alles bildet eine Reihe von Hindernissen, deren Überwindung sehr hohe Anforderungen an Führer und Truppen stellt. Aber in der Genügsamkeit des russischen Sol¬ daten, in seiner Gewöhnung an Entbehrungen und an Unbilden des Klimas sind die hauptsächlichsten Voraussetzungen zur Bewältigung der gestellten Auf¬ gaben gegeben. Schon wiederholt haben russische Heere durch derartige Marsch¬ leistungen Bewunderung erregt. Suwarows Winterzng über die Alpe» stellte jedenfalls höhere Ansprüche an die physische Leistungsfähigkeit der Truppen, als ein Sommermarsch über den Hindukusch und den Snleiman. Und auch die langjährigen Bergkämpfe im Kaukasus legten den Regimentern des Zaren außer¬ gewöhnliche Strapazen auf. Aber'die Verpflegung! Hat nicht Wellington, das große militärische Orakel der Engländer, zu Beginn dieses Jahrhunderts einmal von Afghanistan gesagt, daß „eine kleine Armee darin vernichtet werden, eine große darin verhungern müsse"? Nein, auch die Verpflegung eines größern Heeres ist möglich; hat sie sich doch früher als möglich erwiesen. An 100000 Manu hat einst Alexander vom Kaspisee über Merv (Margiana), Herat (Alexandria), Farcih (Pharazana), Kandahar Wexandropvlis), Kabul (Cabura) und Balkh (Baktrci) nach dem Jaxartes geführt und von dort zurück über Balkh, Kabul nach Lahor (Taxila). Und mehrere von den Heeren späterer Eroberer zählten über 80000 Mann und bestanden ans asiatischen Aufgeboteu, die gewöhnlich ebenso viel zerstörten, wie sie verzehrten. Freilich darf nicht anßer Acht gelassen werden, daß diese zum großen Teil Nomaden waren, die bei der Menge ihrer Transportmittel eine ungeheure Schnelligkeit entfalte» konnten und in ihren Herden eine Art wandelnden Magazins besaßen. Aber diese Vorzüge können durch eine ge¬ regelte Verpflegung ausgeglichen werden. . In Khorassan und dem Thale von Herat dürften überhaupt keine Schwierigkeiten entstehen. Weiterhin auf dem Marsche durch Afghanistan findet sich Wasser überall, während die saftigen Gebirgswiesen hinreichendes Futter für die Pferde liefern. Die Mitführung von Eßwaren für die Menschen ist durch die Erfindung der komprimirten Nah¬ rungsmittel ungemein erleichtert worden. „Kann doch ein einziges Kamel den Bedarf für 1000 Mann und ein roher Wagen, der nur zehn Zentner Trag¬ fähigkeit hat, den für 2000 Mann für einen Tag fortschaffen." Natürlich bleibt die Verpflegung größerer Massen auf dem langen Marsche immer eine äußerst schwierige Aufgabe. Daß also der Marsch eines größern Heeres vom Kaspisee zum Indus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/630
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/630>, abgerufen am 22.07.2024.