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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Indische Zustände

pagnien Sikhs, eine Kompagnie Brnhmanen, eine Kompagnie Radschputen,
zwei Kompagnien muhammedanische Pundschabis, eine Kompagnie Pathans und
eine Kompagnie Dvgras hat. Wie in den neuern Kriegsschiffen der Ausbrei¬
tung des Wassers beim Leckwcrden dnrch die wasserdichten Abteilungen, so
wird in dem indischen Heere dem Umsichgreifen einer Meuterei durch die Tren¬
nung der verschiednen sozialen Elemente vorgebeugt.

Daneben ist die militärische Stellung der Engländer in Indien auch sonst
bedeutend verstärkt worden. Bei der Reorganisation nach Unterdrückung des
großen Aufstandes wurde der Grundsatz festgehalten, daß das Verhältnis zwischen
einheimischen und europäischen Truppen das von 2 :1 niemals bedeutend über¬
steigen und daß die gesamte Artillerie ausschließlich von Europäern bemannt
werden solle. So standen 1856 den 232000 Sepohs nur 39000 Europäer
gegenüber, jetzt dagegen den 141000 Sepoys 71000 Europäer. Alle größern
Festungen des Landes sind heute von britischer Artillerie besetzt, alle Arsenale
von britischen Truppenteile" bewacht, und alle schweren und Feldbatterien werden
von Europäern bedient. Außerdem stellt eine Truppe von 71000 Europäern
jetzt an und für sich eine weit größere Truppemnacht dar, als vor fünfund¬
dreißig Jahren. Damals waren die britischen Truppen in kleinen Abteilungen
über das Land zerstreut, und es war schwierig, zeitraubend und kostspielig,
auch uur eine kleine britische Streitmacht an irgend einem Punkte Indiens zu
sammeln. Als der Aufstand nusbrach, waren kaum 650 Kilometer Eisenbahnen
fertig, während augenblicklich 27000 Kilometer in Betrieb sind. Alle größern
Garnisonen, Festungen und Arsenale sind jetzt mit einander und mit der Küste
durch Schienenwege verbunden. Während 1857 ein Regiment drei bis vier
Monate brauchte, um von der Küste nach dem Pundschab zu marschieren, kann
es jetzt in einer Woche von Kalkutta nach Lahore gebracht werden. Verstär-
kungen von England, die damals um das Kap herum drei Monate unterwegs
waren, landen jetzt in Bombay binnen dreißig Tagen nach der Abfahrt von
Plymouth. Schließlich darf auch das Vvluuteerkorps nicht vergessen werden.
Aus Europäern und Eurasiern bestehend, etwa 25000 Mann stark, zwar
nicht hervorragend ausgebildet, aber gut bewaffnet, könnte sich dieses Korps
im Falle eines Aufstandes sür Verteidigungszwecke sehr nützlich erweisen und
würde jedenfalls die Wiederkehr der schlimmsten Unglücksfälle des Jahres 1857
verhüten. Nach alledem kann es nicht zweifelhaft sein, daß eine Meuterei der
Sepoys heutzutage weit rascher niedergeschlagen werden würde als vor dreißig
Jahren. Und im allgemeinen kann auch die Regierung auf die Treue ihrer
einheimischen Truppen zählen, denn die erwähnten Aufstände von 1796 und
1857 bilden doch nur einige dunkle Flecken in dem hellen Bilde eines ganzen
Jahrhunderts von treuen Diensten.

Aber die Macht der britischen Regierung in Indien beruht nicht allein
auf dem Heer. Der immer wachsende Einfluß des Staates auf alle Gebiete


Indische Zustände

pagnien Sikhs, eine Kompagnie Brnhmanen, eine Kompagnie Radschputen,
zwei Kompagnien muhammedanische Pundschabis, eine Kompagnie Pathans und
eine Kompagnie Dvgras hat. Wie in den neuern Kriegsschiffen der Ausbrei¬
tung des Wassers beim Leckwcrden dnrch die wasserdichten Abteilungen, so
wird in dem indischen Heere dem Umsichgreifen einer Meuterei durch die Tren¬
nung der verschiednen sozialen Elemente vorgebeugt.

Daneben ist die militärische Stellung der Engländer in Indien auch sonst
bedeutend verstärkt worden. Bei der Reorganisation nach Unterdrückung des
großen Aufstandes wurde der Grundsatz festgehalten, daß das Verhältnis zwischen
einheimischen und europäischen Truppen das von 2 :1 niemals bedeutend über¬
steigen und daß die gesamte Artillerie ausschließlich von Europäern bemannt
werden solle. So standen 1856 den 232000 Sepohs nur 39000 Europäer
gegenüber, jetzt dagegen den 141000 Sepoys 71000 Europäer. Alle größern
Festungen des Landes sind heute von britischer Artillerie besetzt, alle Arsenale
von britischen Truppenteile« bewacht, und alle schweren und Feldbatterien werden
von Europäern bedient. Außerdem stellt eine Truppe von 71000 Europäern
jetzt an und für sich eine weit größere Truppemnacht dar, als vor fünfund¬
dreißig Jahren. Damals waren die britischen Truppen in kleinen Abteilungen
über das Land zerstreut, und es war schwierig, zeitraubend und kostspielig,
auch uur eine kleine britische Streitmacht an irgend einem Punkte Indiens zu
sammeln. Als der Aufstand nusbrach, waren kaum 650 Kilometer Eisenbahnen
fertig, während augenblicklich 27000 Kilometer in Betrieb sind. Alle größern
Garnisonen, Festungen und Arsenale sind jetzt mit einander und mit der Küste
durch Schienenwege verbunden. Während 1857 ein Regiment drei bis vier
Monate brauchte, um von der Küste nach dem Pundschab zu marschieren, kann
es jetzt in einer Woche von Kalkutta nach Lahore gebracht werden. Verstär-
kungen von England, die damals um das Kap herum drei Monate unterwegs
waren, landen jetzt in Bombay binnen dreißig Tagen nach der Abfahrt von
Plymouth. Schließlich darf auch das Vvluuteerkorps nicht vergessen werden.
Aus Europäern und Eurasiern bestehend, etwa 25000 Mann stark, zwar
nicht hervorragend ausgebildet, aber gut bewaffnet, könnte sich dieses Korps
im Falle eines Aufstandes sür Verteidigungszwecke sehr nützlich erweisen und
würde jedenfalls die Wiederkehr der schlimmsten Unglücksfälle des Jahres 1857
verhüten. Nach alledem kann es nicht zweifelhaft sein, daß eine Meuterei der
Sepoys heutzutage weit rascher niedergeschlagen werden würde als vor dreißig
Jahren. Und im allgemeinen kann auch die Regierung auf die Treue ihrer
einheimischen Truppen zählen, denn die erwähnten Aufstände von 1796 und
1857 bilden doch nur einige dunkle Flecken in dem hellen Bilde eines ganzen
Jahrhunderts von treuen Diensten.

Aber die Macht der britischen Regierung in Indien beruht nicht allein
auf dem Heer. Der immer wachsende Einfluß des Staates auf alle Gebiete


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[0619] Indische Zustände pagnien Sikhs, eine Kompagnie Brnhmanen, eine Kompagnie Radschputen, zwei Kompagnien muhammedanische Pundschabis, eine Kompagnie Pathans und eine Kompagnie Dvgras hat. Wie in den neuern Kriegsschiffen der Ausbrei¬ tung des Wassers beim Leckwcrden dnrch die wasserdichten Abteilungen, so wird in dem indischen Heere dem Umsichgreifen einer Meuterei durch die Tren¬ nung der verschiednen sozialen Elemente vorgebeugt. Daneben ist die militärische Stellung der Engländer in Indien auch sonst bedeutend verstärkt worden. Bei der Reorganisation nach Unterdrückung des großen Aufstandes wurde der Grundsatz festgehalten, daß das Verhältnis zwischen einheimischen und europäischen Truppen das von 2 :1 niemals bedeutend über¬ steigen und daß die gesamte Artillerie ausschließlich von Europäern bemannt werden solle. So standen 1856 den 232000 Sepohs nur 39000 Europäer gegenüber, jetzt dagegen den 141000 Sepoys 71000 Europäer. Alle größern Festungen des Landes sind heute von britischer Artillerie besetzt, alle Arsenale von britischen Truppenteile« bewacht, und alle schweren und Feldbatterien werden von Europäern bedient. Außerdem stellt eine Truppe von 71000 Europäern jetzt an und für sich eine weit größere Truppemnacht dar, als vor fünfund¬ dreißig Jahren. Damals waren die britischen Truppen in kleinen Abteilungen über das Land zerstreut, und es war schwierig, zeitraubend und kostspielig, auch uur eine kleine britische Streitmacht an irgend einem Punkte Indiens zu sammeln. Als der Aufstand nusbrach, waren kaum 650 Kilometer Eisenbahnen fertig, während augenblicklich 27000 Kilometer in Betrieb sind. Alle größern Garnisonen, Festungen und Arsenale sind jetzt mit einander und mit der Küste durch Schienenwege verbunden. Während 1857 ein Regiment drei bis vier Monate brauchte, um von der Küste nach dem Pundschab zu marschieren, kann es jetzt in einer Woche von Kalkutta nach Lahore gebracht werden. Verstär- kungen von England, die damals um das Kap herum drei Monate unterwegs waren, landen jetzt in Bombay binnen dreißig Tagen nach der Abfahrt von Plymouth. Schließlich darf auch das Vvluuteerkorps nicht vergessen werden. Aus Europäern und Eurasiern bestehend, etwa 25000 Mann stark, zwar nicht hervorragend ausgebildet, aber gut bewaffnet, könnte sich dieses Korps im Falle eines Aufstandes sür Verteidigungszwecke sehr nützlich erweisen und würde jedenfalls die Wiederkehr der schlimmsten Unglücksfälle des Jahres 1857 verhüten. Nach alledem kann es nicht zweifelhaft sein, daß eine Meuterei der Sepoys heutzutage weit rascher niedergeschlagen werden würde als vor dreißig Jahren. Und im allgemeinen kann auch die Regierung auf die Treue ihrer einheimischen Truppen zählen, denn die erwähnten Aufstände von 1796 und 1857 bilden doch nur einige dunkle Flecken in dem hellen Bilde eines ganzen Jahrhunderts von treuen Diensten. Aber die Macht der britischen Regierung in Indien beruht nicht allein auf dem Heer. Der immer wachsende Einfluß des Staates auf alle Gebiete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/619>, abgerufen am 02.07.2024.