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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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!porte oder Thaten?

Mut noch das Geschick hatte, die Leitung der Bewegung in die Hand zu
nehmen. Licht ward es erst wieder in Deutschland, als der Mann der That
berufen wurde und alsbald mit fester Hand die Zügel ergriff. Er hat nicht
viel gewimmert über Agitation und Unzufriedenheit in der Menge, im Gegen¬
teil, das Wimmern besorgte die große Menge oder doch ihre Vertretung, der
das Reden ja auch besser ansteht, als den leitenden Männern. Und als man
ihm einmal zu viel vorwimmerte, da rief er in dem stolzen Bewußtsein seiner
überlegnen Kraft und Einsicht ans: "Der Konflikt wird zu tragisch aufgefaßt
und von der Presse zu tragisch dargestellt. . . . Nicht durch Reden und Majo¬
ritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden -- das ist der
Fehler von 184" und 1849 gewesen--, sondern durch Blut und Eisen!"

Man wird es Bismarck nicht bestreiten können, daß er seine Zeit besser
begriffen hat als die buntscheckige Menge. Mag man das Reich, das er ge¬
schaffen hat, für zu groß oder für zu klein halten -- beides wird ja be¬
hauptet --, er hat doch etwas geschaffen, er hat die blind durch einander
wogenden Strömungen der Zeit zusammengefaßt und in ein breites Bett ge¬
leitet, in dem sie achtunggebietend dcihinfluten können zu gemeinsamem Ziele.
Aber weil die Schöpfung Bismarcks fest gegründet dasteht, darum bedarf es
des Blutes nud Eisens wohl nicht mehr, um die Fragen der Zeit zu lösen,
dann wenigstens nicht, wenn die Regierung auf diese Fragen eingeht und ihre
Lösung anbahnt und leitet. Deal die Fragen, um die es sich hier handelt,
sind innere Angelegenheiten des Reichs, und die sollten in einem gesunden
Staatswesen nicht gewaltsam gelöst werden. Aber es macht den Eindruck, als
"b sich die Reichsregierung dessen gar nicht bewußt wäre, daß den Nachfolgern
des Neichsgründers notwendig die Aufgabe zufallen mußte, den innern Ausbau
des Reichs zu leiten und zu fördern. Wie könnte man sonst so viel klagen
über Verhetzung, Agitation und Beunruhigung der Massen! Man faßt die Lage
wieder "viel zu tragisch" aus. Was sollen die Klagen helfen? Hier heißt es:
frisch zugreifen. Aber freilich, wer in die Speichen eines Rades eingreifen
soll, muß wissen, wohin das Rad rollt. Und die Negierung scheint für die
Ziele, denen unsre Zeit zudrängt, völlig blind zu sei". Wie könnte der lei¬
tende Staatsmann sonst versuchen, den alten Leuten, die im Reichstage sitzen,
mit der Sozialdemokratin gruslig zu machen! Gerade die Entwicklung der
Sozialdemokratie sollte ihn doch darüber belehren, daß man eine innere Gäh-
rung der Gesellschaft nicht gewaltsam zurückdrängen darf, weil sie in einer
häßlichen und gemeingefährlichen Form zu Tage tritt, sondern daß es die
Aufgabe des Staats ist, ihr eine Form zu geben, in der sie sich der Gesamt¬
heit des Staatslebens einfügt. An der Sozialdemokratie sah man zu Anfang
much nnr das lärmende Äußere, die überkluge Agitation, die sich geberdete, als
hätte sie dem Herrgott über die Schulter gesehen, als er den Schöpfuugsplan
entwarf. Daß sich in diesen: Geschrei und Getöse ein Drang Luft machte, der


!porte oder Thaten?

Mut noch das Geschick hatte, die Leitung der Bewegung in die Hand zu
nehmen. Licht ward es erst wieder in Deutschland, als der Mann der That
berufen wurde und alsbald mit fester Hand die Zügel ergriff. Er hat nicht
viel gewimmert über Agitation und Unzufriedenheit in der Menge, im Gegen¬
teil, das Wimmern besorgte die große Menge oder doch ihre Vertretung, der
das Reden ja auch besser ansteht, als den leitenden Männern. Und als man
ihm einmal zu viel vorwimmerte, da rief er in dem stolzen Bewußtsein seiner
überlegnen Kraft und Einsicht ans: „Der Konflikt wird zu tragisch aufgefaßt
und von der Presse zu tragisch dargestellt. . . . Nicht durch Reden und Majo¬
ritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden — das ist der
Fehler von 184« und 1849 gewesen—, sondern durch Blut und Eisen!"

Man wird es Bismarck nicht bestreiten können, daß er seine Zeit besser
begriffen hat als die buntscheckige Menge. Mag man das Reich, das er ge¬
schaffen hat, für zu groß oder für zu klein halten — beides wird ja be¬
hauptet —, er hat doch etwas geschaffen, er hat die blind durch einander
wogenden Strömungen der Zeit zusammengefaßt und in ein breites Bett ge¬
leitet, in dem sie achtunggebietend dcihinfluten können zu gemeinsamem Ziele.
Aber weil die Schöpfung Bismarcks fest gegründet dasteht, darum bedarf es
des Blutes nud Eisens wohl nicht mehr, um die Fragen der Zeit zu lösen,
dann wenigstens nicht, wenn die Regierung auf diese Fragen eingeht und ihre
Lösung anbahnt und leitet. Deal die Fragen, um die es sich hier handelt,
sind innere Angelegenheiten des Reichs, und die sollten in einem gesunden
Staatswesen nicht gewaltsam gelöst werden. Aber es macht den Eindruck, als
»b sich die Reichsregierung dessen gar nicht bewußt wäre, daß den Nachfolgern
des Neichsgründers notwendig die Aufgabe zufallen mußte, den innern Ausbau
des Reichs zu leiten und zu fördern. Wie könnte man sonst so viel klagen
über Verhetzung, Agitation und Beunruhigung der Massen! Man faßt die Lage
wieder „viel zu tragisch" aus. Was sollen die Klagen helfen? Hier heißt es:
frisch zugreifen. Aber freilich, wer in die Speichen eines Rades eingreifen
soll, muß wissen, wohin das Rad rollt. Und die Negierung scheint für die
Ziele, denen unsre Zeit zudrängt, völlig blind zu sei». Wie könnte der lei¬
tende Staatsmann sonst versuchen, den alten Leuten, die im Reichstage sitzen,
mit der Sozialdemokratin gruslig zu machen! Gerade die Entwicklung der
Sozialdemokratie sollte ihn doch darüber belehren, daß man eine innere Gäh-
rung der Gesellschaft nicht gewaltsam zurückdrängen darf, weil sie in einer
häßlichen und gemeingefährlichen Form zu Tage tritt, sondern daß es die
Aufgabe des Staats ist, ihr eine Form zu geben, in der sie sich der Gesamt¬
heit des Staatslebens einfügt. An der Sozialdemokratie sah man zu Anfang
much nnr das lärmende Äußere, die überkluge Agitation, die sich geberdete, als
hätte sie dem Herrgott über die Schulter gesehen, als er den Schöpfuugsplan
entwarf. Daß sich in diesen: Geschrei und Getöse ein Drang Luft machte, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/563>, abgerufen am 02.07.2024.