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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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und ihre Größe in dem eignen Schaffen erreichen. Aber die Geisteskraft reichte
nicht aus, der junge Künstler erlag dem Wahnsinn. Von den beiden Statuetten,
seinen einzigen plastischen Werken, zeigt der Adorant, daß der Künstler seine
große Kenntnis der Antike noch nicht bis zum freien Schaffen verarbeitet hatte,
während das kleine Standbild des Adrian von Bubenberg zu den größten
Hoffnungen hätte berechtigen können. In einem andern Raum der Ausstellung
befinden sich die Bildnisradirungen Stauffers. Sie zeugen von einem wahr¬
haft klassischen Gefühl für einfache Größe und von urwüchsiger Naturfrische
in Auffassung und Wiedergabe. Wer, angeregt durch die Betrachtung der
ausgestellten Werke Stauffers, dessen bedeutende Persönlichkeit ganz kennen
lernen will, der lese seine im vorigen Jahre herausgegebnen Briefe, sie gewähren
den genußreichsten Einblick in ein den höchsten Zielen geweihtes Leben.

Noch eine Sammelausstellnng ziert die deutsche Abteilung des Glaspalastes,
es sind die Bilder des Österreichers Emil Schindler. Auch er war, wie Viktor
Müller, ein Romantiker, aber nicht auf figürlichen, sondern auf landschaftlichen
Gebiete. Wer es liebt, das reiche Empfindungsleben eines Menschen im Bilde
ausgedrückt zu sehen, wer Freude hat an der Poesie stiller Thäler, an der
Wehmut eines verlassenen Friedhofes, der betrachte das Lebenswerk dieses
sympathischen Meisters. Solche Sonderausstellungen eines einzelnen Künstlers
wirken innerhalb einer größern Ausstellung höchst wohlthuend. Wenn man
verwirrt und ermüdet ist durch das Vielerlei in den andern Sälen, hier
kann man sich erholen, indem man gleichsam in der Werkstatt eines einzelnen
Künstlers weilt.

Nach dem Eintritt der Sezession bleibt der bei weitem interessanteste Teil
der Ausstellung im Glaspalast das Ausland. Vor allein nehmen die Fran¬
zosen unser Interesse in Anspruch. Auch sie haben übrigens geglaubt, mit
bekannten und geschätzten Namen und Werken nachhelfen zu müssen. Neben
Gemälden von Daubignh, Corot, Millet, Diaz, Rousseau sind namentlich
Meissvnier lind Mnnkaesh vertreten. Von der Hand Meissoniers bewundern
wir außer einigen fertigen kleinen Bildern eine Reihe erst untermalter und
halbfertiger Arbeite". Da finden wir alles, was der modernsten Kunst fehlt,
lebendige Sicherheit der Zeichnung, Reichtum und Kraft der Farbe, Zartheit
des Tones, Liebe für die Natur, unermüdliche Sorgfalt bis ins Kleinste-
Von Mnnkaesh sind Gemälde ältern und jiingern Datums da, solche mit braunem
Gesamtton und charakteristischer Menschcnschilderuug, wie die Gemälde "Das
Leihhaus" und "Episode aus dem ungarischen Kriege 1848," andre mit reicher,
geschmackvoller Farbe, wie die eleganten Zimmerinterieurs auf dem Bildnis
einer Dame und auf dem kleinen Genrebild "Die Amme." Von Neuschöpfungen
der Malerei finden wir mir einen kleinen Teil dessen, was der Pariser Salon
in diesem Jahre gebracht hat, darunter die beiden großen Gemälde Nohbets,
des preisgekrönten Ringers im malerischen Wettkampf. Das eine ist die Riesen-


und ihre Größe in dem eignen Schaffen erreichen. Aber die Geisteskraft reichte
nicht aus, der junge Künstler erlag dem Wahnsinn. Von den beiden Statuetten,
seinen einzigen plastischen Werken, zeigt der Adorant, daß der Künstler seine
große Kenntnis der Antike noch nicht bis zum freien Schaffen verarbeitet hatte,
während das kleine Standbild des Adrian von Bubenberg zu den größten
Hoffnungen hätte berechtigen können. In einem andern Raum der Ausstellung
befinden sich die Bildnisradirungen Stauffers. Sie zeugen von einem wahr¬
haft klassischen Gefühl für einfache Größe und von urwüchsiger Naturfrische
in Auffassung und Wiedergabe. Wer, angeregt durch die Betrachtung der
ausgestellten Werke Stauffers, dessen bedeutende Persönlichkeit ganz kennen
lernen will, der lese seine im vorigen Jahre herausgegebnen Briefe, sie gewähren
den genußreichsten Einblick in ein den höchsten Zielen geweihtes Leben.

Noch eine Sammelausstellnng ziert die deutsche Abteilung des Glaspalastes,
es sind die Bilder des Österreichers Emil Schindler. Auch er war, wie Viktor
Müller, ein Romantiker, aber nicht auf figürlichen, sondern auf landschaftlichen
Gebiete. Wer es liebt, das reiche Empfindungsleben eines Menschen im Bilde
ausgedrückt zu sehen, wer Freude hat an der Poesie stiller Thäler, an der
Wehmut eines verlassenen Friedhofes, der betrachte das Lebenswerk dieses
sympathischen Meisters. Solche Sonderausstellungen eines einzelnen Künstlers
wirken innerhalb einer größern Ausstellung höchst wohlthuend. Wenn man
verwirrt und ermüdet ist durch das Vielerlei in den andern Sälen, hier
kann man sich erholen, indem man gleichsam in der Werkstatt eines einzelnen
Künstlers weilt.

Nach dem Eintritt der Sezession bleibt der bei weitem interessanteste Teil
der Ausstellung im Glaspalast das Ausland. Vor allein nehmen die Fran¬
zosen unser Interesse in Anspruch. Auch sie haben übrigens geglaubt, mit
bekannten und geschätzten Namen und Werken nachhelfen zu müssen. Neben
Gemälden von Daubignh, Corot, Millet, Diaz, Rousseau sind namentlich
Meissvnier lind Mnnkaesh vertreten. Von der Hand Meissoniers bewundern
wir außer einigen fertigen kleinen Bildern eine Reihe erst untermalter und
halbfertiger Arbeite». Da finden wir alles, was der modernsten Kunst fehlt,
lebendige Sicherheit der Zeichnung, Reichtum und Kraft der Farbe, Zartheit
des Tones, Liebe für die Natur, unermüdliche Sorgfalt bis ins Kleinste-
Von Mnnkaesh sind Gemälde ältern und jiingern Datums da, solche mit braunem
Gesamtton und charakteristischer Menschcnschilderuug, wie die Gemälde „Das
Leihhaus" und „Episode aus dem ungarischen Kriege 1848," andre mit reicher,
geschmackvoller Farbe, wie die eleganten Zimmerinterieurs auf dem Bildnis
einer Dame und auf dem kleinen Genrebild „Die Amme." Von Neuschöpfungen
der Malerei finden wir mir einen kleinen Teil dessen, was der Pariser Salon
in diesem Jahre gebracht hat, darunter die beiden großen Gemälde Nohbets,
des preisgekrönten Ringers im malerischen Wettkampf. Das eine ist die Riesen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/47>, abgerufen am 04.07.2024.