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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

der Natur gewöhnt. Eine großartige Wirkung hat der Berliner Eugen Bracht
erreicht in seinem großen Gemälde "Nachts beim König der Berge." Es stellt
die vereisten Gipfel einer gewaltigen Alpenkette im Mondlicht dar. Zu dem
besten auf landschaftlichen Gebiete gehören wie immer die Strandbilder von
Hans von Bartels; durchsichtige Klarheit, Helles Flimmern des Lichtes und
poetische Empfindung zeichnen sie aus. Das Vollendetste leistet er im Aquarell.

Zu den besten Landschaftern Deutschlands gehören gegenwärtig die Düssel¬
dorfer Sezessionisten. Diese haben sich in München der Glaspalastausstellung
und nicht der Sezession angeschlossen, weil sie fühlen, daß sie neben den
Münchner Virtuosen mit ihrer ans feinere Wirkungen berechneten .Kunst nicht
bestehen können. Jedoch ist die Vertretung der Düsseldorfer Sezession in
München zu wenig zahlreich, um dem Besucher eine abgeschlossene Vorstellung zu
liefern; außerdem siud die meisten ihrer Bilder vorher auf der Berliner Aus¬
stellung gewesen, sodaß Nur uns mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen
begnügen können. Die Düsseldorfer betrachten noch immer Berlin als ihren
Kunstmnrkt, weil sie fürchten, in dem Wettbewerb aller Nationen in München
zurückzubleiben. Die Figurenmaler unter ihnen leiden an den unüberwindlichen
Fesseln, in die sie die veraltete Art ihrer Ausbildung schlägt; das Nüchterne,
Verknöcherte, Unfreie, den Mangel an malerischem Blick wird kaum einer von
ihnen los. Ganz anders die Landschafter, die die Hauptgruppe der Sezession
bilden. Sie beobachten mit großer Schärfe die Licht- und Lufterscheinungen
der freien Natur und verstehen diese mit malerischen Mitteln in freiem, lockerm
Vortrag darzustellen. Ihre Landschaften in kleinem Format sind fein gearbeitete,
durchgeistigte Kabinetstücke. Trotz alledem haftet ihrer Kunst etwas Pro¬
vinzielles an, das sie an dem Wettbewerb auf einem Weltmarkt hindert.

Das wäre die ganze spärliche Auslese, die die deutsche Abteilung im
Glaspalast auszuweisen hat, wenn sie nicht bedeutend gehoben würde durch
mehrere Sonderausstellungen. Im "Lenbachsalon" hat sich eine Anzahl von
Gemälden des verstorbnen Viktor Müller und Böcklins zusammengefunden.
Viktor Müller, von Publikum und Kunstgeschichte fast vergessen, tritt uns hier
als eine achtunggebietende Künstlerpersönlichkeit entgegen. Mitten in die mo¬
derne Nüchternheit klingen aus seinen Bildern die Töne der Romantik, die
Freude an Schönheit und Poesie. Neben ihm läßt der Schweizer Meister
Böcklin seine gewaltigen Farbenshmphonien erschallen. Der musikalisch-malerische
Gehalt des bedeutendsten dieser Bilder, des Prometheus auf dem Kaukasus,
ist so groß, wie der einer ganzen Oper. Dazwischen stehen als Zeugen eines
erschütternden Schicksals die beiden Statuetten von Stauffer-Beni, der Adorcmt
und Adrian voll Bubenberg. Übermenschliches hat der Künstler gewollt, er
war Maler und Nadirer gewesen, er ging nach Rom und glaubte nun erst
seine eigentliche Bestimmung zum Plastiker zu erkennen. Mit ganzer Macht
ergriff ihn der Anblick der Antike; in ringender Arbeit wollte er sie bewältigen


Die Münchner Ausstellungen

der Natur gewöhnt. Eine großartige Wirkung hat der Berliner Eugen Bracht
erreicht in seinem großen Gemälde „Nachts beim König der Berge." Es stellt
die vereisten Gipfel einer gewaltigen Alpenkette im Mondlicht dar. Zu dem
besten auf landschaftlichen Gebiete gehören wie immer die Strandbilder von
Hans von Bartels; durchsichtige Klarheit, Helles Flimmern des Lichtes und
poetische Empfindung zeichnen sie aus. Das Vollendetste leistet er im Aquarell.

Zu den besten Landschaftern Deutschlands gehören gegenwärtig die Düssel¬
dorfer Sezessionisten. Diese haben sich in München der Glaspalastausstellung
und nicht der Sezession angeschlossen, weil sie fühlen, daß sie neben den
Münchner Virtuosen mit ihrer ans feinere Wirkungen berechneten .Kunst nicht
bestehen können. Jedoch ist die Vertretung der Düsseldorfer Sezession in
München zu wenig zahlreich, um dem Besucher eine abgeschlossene Vorstellung zu
liefern; außerdem siud die meisten ihrer Bilder vorher auf der Berliner Aus¬
stellung gewesen, sodaß Nur uns mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen
begnügen können. Die Düsseldorfer betrachten noch immer Berlin als ihren
Kunstmnrkt, weil sie fürchten, in dem Wettbewerb aller Nationen in München
zurückzubleiben. Die Figurenmaler unter ihnen leiden an den unüberwindlichen
Fesseln, in die sie die veraltete Art ihrer Ausbildung schlägt; das Nüchterne,
Verknöcherte, Unfreie, den Mangel an malerischem Blick wird kaum einer von
ihnen los. Ganz anders die Landschafter, die die Hauptgruppe der Sezession
bilden. Sie beobachten mit großer Schärfe die Licht- und Lufterscheinungen
der freien Natur und verstehen diese mit malerischen Mitteln in freiem, lockerm
Vortrag darzustellen. Ihre Landschaften in kleinem Format sind fein gearbeitete,
durchgeistigte Kabinetstücke. Trotz alledem haftet ihrer Kunst etwas Pro¬
vinzielles an, das sie an dem Wettbewerb auf einem Weltmarkt hindert.

Das wäre die ganze spärliche Auslese, die die deutsche Abteilung im
Glaspalast auszuweisen hat, wenn sie nicht bedeutend gehoben würde durch
mehrere Sonderausstellungen. Im „Lenbachsalon" hat sich eine Anzahl von
Gemälden des verstorbnen Viktor Müller und Böcklins zusammengefunden.
Viktor Müller, von Publikum und Kunstgeschichte fast vergessen, tritt uns hier
als eine achtunggebietende Künstlerpersönlichkeit entgegen. Mitten in die mo¬
derne Nüchternheit klingen aus seinen Bildern die Töne der Romantik, die
Freude an Schönheit und Poesie. Neben ihm läßt der Schweizer Meister
Böcklin seine gewaltigen Farbenshmphonien erschallen. Der musikalisch-malerische
Gehalt des bedeutendsten dieser Bilder, des Prometheus auf dem Kaukasus,
ist so groß, wie der einer ganzen Oper. Dazwischen stehen als Zeugen eines
erschütternden Schicksals die beiden Statuetten von Stauffer-Beni, der Adorcmt
und Adrian voll Bubenberg. Übermenschliches hat der Künstler gewollt, er
war Maler und Nadirer gewesen, er ging nach Rom und glaubte nun erst
seine eigentliche Bestimmung zum Plastiker zu erkennen. Mit ganzer Macht
ergriff ihn der Anblick der Antike; in ringender Arbeit wollte er sie bewältigen


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[0046] Die Münchner Ausstellungen der Natur gewöhnt. Eine großartige Wirkung hat der Berliner Eugen Bracht erreicht in seinem großen Gemälde „Nachts beim König der Berge." Es stellt die vereisten Gipfel einer gewaltigen Alpenkette im Mondlicht dar. Zu dem besten auf landschaftlichen Gebiete gehören wie immer die Strandbilder von Hans von Bartels; durchsichtige Klarheit, Helles Flimmern des Lichtes und poetische Empfindung zeichnen sie aus. Das Vollendetste leistet er im Aquarell. Zu den besten Landschaftern Deutschlands gehören gegenwärtig die Düssel¬ dorfer Sezessionisten. Diese haben sich in München der Glaspalastausstellung und nicht der Sezession angeschlossen, weil sie fühlen, daß sie neben den Münchner Virtuosen mit ihrer ans feinere Wirkungen berechneten .Kunst nicht bestehen können. Jedoch ist die Vertretung der Düsseldorfer Sezession in München zu wenig zahlreich, um dem Besucher eine abgeschlossene Vorstellung zu liefern; außerdem siud die meisten ihrer Bilder vorher auf der Berliner Aus¬ stellung gewesen, sodaß Nur uns mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen begnügen können. Die Düsseldorfer betrachten noch immer Berlin als ihren Kunstmnrkt, weil sie fürchten, in dem Wettbewerb aller Nationen in München zurückzubleiben. Die Figurenmaler unter ihnen leiden an den unüberwindlichen Fesseln, in die sie die veraltete Art ihrer Ausbildung schlägt; das Nüchterne, Verknöcherte, Unfreie, den Mangel an malerischem Blick wird kaum einer von ihnen los. Ganz anders die Landschafter, die die Hauptgruppe der Sezession bilden. Sie beobachten mit großer Schärfe die Licht- und Lufterscheinungen der freien Natur und verstehen diese mit malerischen Mitteln in freiem, lockerm Vortrag darzustellen. Ihre Landschaften in kleinem Format sind fein gearbeitete, durchgeistigte Kabinetstücke. Trotz alledem haftet ihrer Kunst etwas Pro¬ vinzielles an, das sie an dem Wettbewerb auf einem Weltmarkt hindert. Das wäre die ganze spärliche Auslese, die die deutsche Abteilung im Glaspalast auszuweisen hat, wenn sie nicht bedeutend gehoben würde durch mehrere Sonderausstellungen. Im „Lenbachsalon" hat sich eine Anzahl von Gemälden des verstorbnen Viktor Müller und Böcklins zusammengefunden. Viktor Müller, von Publikum und Kunstgeschichte fast vergessen, tritt uns hier als eine achtunggebietende Künstlerpersönlichkeit entgegen. Mitten in die mo¬ derne Nüchternheit klingen aus seinen Bildern die Töne der Romantik, die Freude an Schönheit und Poesie. Neben ihm läßt der Schweizer Meister Böcklin seine gewaltigen Farbenshmphonien erschallen. Der musikalisch-malerische Gehalt des bedeutendsten dieser Bilder, des Prometheus auf dem Kaukasus, ist so groß, wie der einer ganzen Oper. Dazwischen stehen als Zeugen eines erschütternden Schicksals die beiden Statuetten von Stauffer-Beni, der Adorcmt und Adrian voll Bubenberg. Übermenschliches hat der Künstler gewollt, er war Maler und Nadirer gewesen, er ging nach Rom und glaubte nun erst seine eigentliche Bestimmung zum Plastiker zu erkennen. Mit ganzer Macht ergriff ihn der Anblick der Antike; in ringender Arbeit wollte er sie bewältigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/46>, abgerufen am 24.07.2024.