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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

reichen Jüngling, die Bergpredigt und Christus vor Pilatus, Niemand wird
in Gebhardt deu bedeutenden Menschenschilderer verkennen, aber in seiner sonder¬
baren Auffassung biblischer Szenen hat er nicht das Richtige gefunden. Der
Künstler stützt sich darauf, daß uns heilige Bilder weder im orientalischen
Gewände, noch in dein unsrer Zeit heilig anmuten und ergreifen, und daß
die religiöse Malerei im idealen Stil süßlich und flach geworden ist. Er nimmt
daher das Kostüm aus der Zeit der deutschen Renaissame, in der die meisten
Altarbilder unsrer Kirchen gemalt seien, und von denen wir von Jugend um
dnrch Gewöhnung deu Eindruck des Weihevollen hätten. Die meisten deutschen
Altarbilder sind aber keineswegs in der Zeit der deutschen Renaissance, sondern
im Barock- und Rotokvzeitalter mit idealem Kostüm gemalt worden; ferner
haben die am meisten bekannten Meisterwerke der religiösen Kunst, die Gemälde
Raphaels und derer, die ihm folgen, das ideale Kostüm. Es werden auch
nur sehr wenige den Gedankengang des Künstlers erraten, und daher wird die
erste Empfindung vor Gebhardts Bildern immer die des Erstaunens sein, und
das beeinträchtigt von vornherein die Wirkung. Ganz verderblich ist es, wenn
ein solcher Künstler Schule bildet und Nachahmung findet; nur eine schwächere
Natur wird sich einem so eigenartigen Meister ganz hingeben. Bei Gebhardt
kann man die barocke Laune über seiner Meisterschaft in der Menschenschilderung
vergessen, bei einem Schüler aber bleibt nichts als die Laune übrig. Das ist
um so schlimmer, als der Kunst Gebhardts das eigentliche Malerische fehlt,
es fehlt ihr auch die hinreißende Beredsamkeit, sie ist viel mehr ein Produkt
des Verstandes als des genießenden Auges und der beflügelter Phantasie.
Ein reiner Nachahmer Gebhardts ist Louis Feldmann; obwohl er noch die
volle Frische der Jugend hat, gelingt es ihm doch nicht, sich aus dem All¬
gemeinern, Flandern zu der markigen Charakteristik Gebhardts zu erhebe".
Solche Naturen sind in Gefahr, mit zunehmenden Jahren immer mehr an
Gestaltungskraft zu verlieren. Wie sehr die eigentliche Begabung Gebhardts
auf dem Gebiete der Bildniskunst liegt, zeigen auf dem Gemälde der Berg¬
predigt die Figuren, die seine und die Züge seiner Frau und seiner Kinder tragen.
Sie fallen durch ihre viel größere Lebendigkeit, ja schon durch ihre bessere
Technik gleich auf deu ersten Blick auf. Es ist sehr zu bedauern, daß Gebhardt
so selten ein Bildnis malt.

Während in Berlin und in Düsseldorf gerade die Sezessionisten die Land¬
schaft eifrig pflegen, findet sie sich bei den Münchner Sezessionisten gar nicht,
aber auch im Glaspalast wird die Zahl der von Münchnern ausgestellten
Landschaften in jedem Jahre geringer. Die bedeutendsten unter deu Münchner
Landschaftern schildern das Großartige der Natur: Raupp und Wopfner in
Sturm und Wetter auf dem Chiemsee, Ludwig Willrvider in dem Sturm aus
der Heide. Das Bild Willrviders hat uicht mehr die Macht seiner frühern
Werke, auch haben wir uns inzwischen an eine frischere und derbere Auffassung


Die Münchner Ausstellungen

reichen Jüngling, die Bergpredigt und Christus vor Pilatus, Niemand wird
in Gebhardt deu bedeutenden Menschenschilderer verkennen, aber in seiner sonder¬
baren Auffassung biblischer Szenen hat er nicht das Richtige gefunden. Der
Künstler stützt sich darauf, daß uns heilige Bilder weder im orientalischen
Gewände, noch in dein unsrer Zeit heilig anmuten und ergreifen, und daß
die religiöse Malerei im idealen Stil süßlich und flach geworden ist. Er nimmt
daher das Kostüm aus der Zeit der deutschen Renaissame, in der die meisten
Altarbilder unsrer Kirchen gemalt seien, und von denen wir von Jugend um
dnrch Gewöhnung deu Eindruck des Weihevollen hätten. Die meisten deutschen
Altarbilder sind aber keineswegs in der Zeit der deutschen Renaissance, sondern
im Barock- und Rotokvzeitalter mit idealem Kostüm gemalt worden; ferner
haben die am meisten bekannten Meisterwerke der religiösen Kunst, die Gemälde
Raphaels und derer, die ihm folgen, das ideale Kostüm. Es werden auch
nur sehr wenige den Gedankengang des Künstlers erraten, und daher wird die
erste Empfindung vor Gebhardts Bildern immer die des Erstaunens sein, und
das beeinträchtigt von vornherein die Wirkung. Ganz verderblich ist es, wenn
ein solcher Künstler Schule bildet und Nachahmung findet; nur eine schwächere
Natur wird sich einem so eigenartigen Meister ganz hingeben. Bei Gebhardt
kann man die barocke Laune über seiner Meisterschaft in der Menschenschilderung
vergessen, bei einem Schüler aber bleibt nichts als die Laune übrig. Das ist
um so schlimmer, als der Kunst Gebhardts das eigentliche Malerische fehlt,
es fehlt ihr auch die hinreißende Beredsamkeit, sie ist viel mehr ein Produkt
des Verstandes als des genießenden Auges und der beflügelter Phantasie.
Ein reiner Nachahmer Gebhardts ist Louis Feldmann; obwohl er noch die
volle Frische der Jugend hat, gelingt es ihm doch nicht, sich aus dem All¬
gemeinern, Flandern zu der markigen Charakteristik Gebhardts zu erhebe».
Solche Naturen sind in Gefahr, mit zunehmenden Jahren immer mehr an
Gestaltungskraft zu verlieren. Wie sehr die eigentliche Begabung Gebhardts
auf dem Gebiete der Bildniskunst liegt, zeigen auf dem Gemälde der Berg¬
predigt die Figuren, die seine und die Züge seiner Frau und seiner Kinder tragen.
Sie fallen durch ihre viel größere Lebendigkeit, ja schon durch ihre bessere
Technik gleich auf deu ersten Blick auf. Es ist sehr zu bedauern, daß Gebhardt
so selten ein Bildnis malt.

Während in Berlin und in Düsseldorf gerade die Sezessionisten die Land¬
schaft eifrig pflegen, findet sie sich bei den Münchner Sezessionisten gar nicht,
aber auch im Glaspalast wird die Zahl der von Münchnern ausgestellten
Landschaften in jedem Jahre geringer. Die bedeutendsten unter deu Münchner
Landschaftern schildern das Großartige der Natur: Raupp und Wopfner in
Sturm und Wetter auf dem Chiemsee, Ludwig Willrvider in dem Sturm aus
der Heide. Das Bild Willrviders hat uicht mehr die Macht seiner frühern
Werke, auch haben wir uns inzwischen an eine frischere und derbere Auffassung


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[0045] Die Münchner Ausstellungen reichen Jüngling, die Bergpredigt und Christus vor Pilatus, Niemand wird in Gebhardt deu bedeutenden Menschenschilderer verkennen, aber in seiner sonder¬ baren Auffassung biblischer Szenen hat er nicht das Richtige gefunden. Der Künstler stützt sich darauf, daß uns heilige Bilder weder im orientalischen Gewände, noch in dein unsrer Zeit heilig anmuten und ergreifen, und daß die religiöse Malerei im idealen Stil süßlich und flach geworden ist. Er nimmt daher das Kostüm aus der Zeit der deutschen Renaissame, in der die meisten Altarbilder unsrer Kirchen gemalt seien, und von denen wir von Jugend um dnrch Gewöhnung deu Eindruck des Weihevollen hätten. Die meisten deutschen Altarbilder sind aber keineswegs in der Zeit der deutschen Renaissance, sondern im Barock- und Rotokvzeitalter mit idealem Kostüm gemalt worden; ferner haben die am meisten bekannten Meisterwerke der religiösen Kunst, die Gemälde Raphaels und derer, die ihm folgen, das ideale Kostüm. Es werden auch nur sehr wenige den Gedankengang des Künstlers erraten, und daher wird die erste Empfindung vor Gebhardts Bildern immer die des Erstaunens sein, und das beeinträchtigt von vornherein die Wirkung. Ganz verderblich ist es, wenn ein solcher Künstler Schule bildet und Nachahmung findet; nur eine schwächere Natur wird sich einem so eigenartigen Meister ganz hingeben. Bei Gebhardt kann man die barocke Laune über seiner Meisterschaft in der Menschenschilderung vergessen, bei einem Schüler aber bleibt nichts als die Laune übrig. Das ist um so schlimmer, als der Kunst Gebhardts das eigentliche Malerische fehlt, es fehlt ihr auch die hinreißende Beredsamkeit, sie ist viel mehr ein Produkt des Verstandes als des genießenden Auges und der beflügelter Phantasie. Ein reiner Nachahmer Gebhardts ist Louis Feldmann; obwohl er noch die volle Frische der Jugend hat, gelingt es ihm doch nicht, sich aus dem All¬ gemeinern, Flandern zu der markigen Charakteristik Gebhardts zu erhebe». Solche Naturen sind in Gefahr, mit zunehmenden Jahren immer mehr an Gestaltungskraft zu verlieren. Wie sehr die eigentliche Begabung Gebhardts auf dem Gebiete der Bildniskunst liegt, zeigen auf dem Gemälde der Berg¬ predigt die Figuren, die seine und die Züge seiner Frau und seiner Kinder tragen. Sie fallen durch ihre viel größere Lebendigkeit, ja schon durch ihre bessere Technik gleich auf deu ersten Blick auf. Es ist sehr zu bedauern, daß Gebhardt so selten ein Bildnis malt. Während in Berlin und in Düsseldorf gerade die Sezessionisten die Land¬ schaft eifrig pflegen, findet sie sich bei den Münchner Sezessionisten gar nicht, aber auch im Glaspalast wird die Zahl der von Münchnern ausgestellten Landschaften in jedem Jahre geringer. Die bedeutendsten unter deu Münchner Landschaftern schildern das Großartige der Natur: Raupp und Wopfner in Sturm und Wetter auf dem Chiemsee, Ludwig Willrvider in dem Sturm aus der Heide. Das Bild Willrviders hat uicht mehr die Macht seiner frühern Werke, auch haben wir uns inzwischen an eine frischere und derbere Auffassung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/45>, abgerufen am 24.08.2024.