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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Flüchtlinge

Wir gehen zunächst zur Mutter.

Und dann?

Und dünn fliehen wir iibers Meer.

Aber wird sie dich ziehen lassen? fragte Lucie bedenklich.

Was soll sie anders machen, nachdem das geschehen ist! Sie ist stolz.

Sie ist stolz, wiederholte Lucie leise. Franz, ich fürchte mich! Ich hatte ge¬
hofft, ganz anders vor sie zu trete" als so. Einst hatte ich gedacht, das sollte mein
glücklichster und stolzester Tag sein, wenn du mich in dein Haus brachtest, und
um wird es mein bitterster, schmerzvollster sein!

Rede nicht so, versetzte er bedrückt. Du machst mir das Herz schwer. Es
muß nun einmal überwunden werden, Lucie.

Sie trocknete rasch ihre Thränen und versuchte wieder zu lächeln.

Wir ziehen also übers Meer, Franz?

Er nickte.

Was fangen wir aber in Amerika an?

Da kaufen wir uns eine Farm, ganz einsam im tiefen Walde. Dort Hausen
wir und haben dann nnr uns allein.

Nun kosten sie wieder mit einander und malten sich das Blockhaus jenseits
des Meeres uns. Franz hatte so viel in die Hütte hineinzuwüuschen, daß ihn
das Mädchen errötend ans die Finger klopfte, aber es machte ihr sichtlich Fremde,
seinen Worten zu lauschen und die Zukunft so freundlich schildern zu hören.

Allmählich gelangten sie wieder in mehr betretene Teile des Waldes und
wunderten sich, daß so viele Wege hin und her führten, bald sich kreuzten, bald sich
nnswichen, ja oft lange Strecken hindurch dicht neben einander herliefen.

Wie man sich nur in diesem Gewirr zurechtfinden kann? sagte Lucie. Sollte
man nicht meinen, jeder dieser Wege führe in die Irre?

Das geht nnr uns so, antwortete Franz. Die Leute, die hier wohnen, kennen
sich wohl aus und lassen sich nicht verwirren.

Krenz und quer, wie unser Weg, seufzte sie.

Ja Lucie, sagte er tröstend. Auch bei uns geht das wirr durch einander,
und nur wissen nicht, wohin es führt, der liebe Gott weiß es nilein.

Sie nickte freundlich. Nun wurde es ihnen feierlich zu Mute, und sie gingen
schweigend dahin. Es war ihnen eingefallen, daß Sonntag war.

Lichter wurde es über den Wipfeln, von goldnem Glänze war der Wald
durchströmt, und mehreremale kamen Glockentöne herauf zu ihnen. Die Menschen
wurden ermahnt, den Frieden zu suchen, und um fanden auch die Flüchtlinge Ruhe.

Ein Haselbusch wiegte seine schlanken Zweige über den Schlummernden, und
neben ihnen sang ein Rotkehlchen. Es wurde Mittag, und der Wald war von
Glut durchhaucht. Mehreremnl gingen Menschen vorüber, dann wurde es stiller
und stiller. Die Schatten wurden dunkler und breiter, wieder klangen die Glocken
der Dörfer durch die Abendkühle, und noch immer schliefen sie. Über ihnen zogen
die leichten Gebilde der Wolken, die Sterne tauchten empor aus dem Man des Him¬
mels. Der Mond ergoß sein Licht über den still träumenden Wald, und leise rauschten
die Zweige.

(Fortsetzunn folgt)




Die Flüchtlinge

Wir gehen zunächst zur Mutter.

Und dann?

Und dünn fliehen wir iibers Meer.

Aber wird sie dich ziehen lassen? fragte Lucie bedenklich.

Was soll sie anders machen, nachdem das geschehen ist! Sie ist stolz.

Sie ist stolz, wiederholte Lucie leise. Franz, ich fürchte mich! Ich hatte ge¬
hofft, ganz anders vor sie zu trete» als so. Einst hatte ich gedacht, das sollte mein
glücklichster und stolzester Tag sein, wenn du mich in dein Haus brachtest, und
um wird es mein bitterster, schmerzvollster sein!

Rede nicht so, versetzte er bedrückt. Du machst mir das Herz schwer. Es
muß nun einmal überwunden werden, Lucie.

Sie trocknete rasch ihre Thränen und versuchte wieder zu lächeln.

Wir ziehen also übers Meer, Franz?

Er nickte.

Was fangen wir aber in Amerika an?

Da kaufen wir uns eine Farm, ganz einsam im tiefen Walde. Dort Hausen
wir und haben dann nnr uns allein.

Nun kosten sie wieder mit einander und malten sich das Blockhaus jenseits
des Meeres uns. Franz hatte so viel in die Hütte hineinzuwüuschen, daß ihn
das Mädchen errötend ans die Finger klopfte, aber es machte ihr sichtlich Fremde,
seinen Worten zu lauschen und die Zukunft so freundlich schildern zu hören.

Allmählich gelangten sie wieder in mehr betretene Teile des Waldes und
wunderten sich, daß so viele Wege hin und her führten, bald sich kreuzten, bald sich
nnswichen, ja oft lange Strecken hindurch dicht neben einander herliefen.

Wie man sich nur in diesem Gewirr zurechtfinden kann? sagte Lucie. Sollte
man nicht meinen, jeder dieser Wege führe in die Irre?

Das geht nnr uns so, antwortete Franz. Die Leute, die hier wohnen, kennen
sich wohl aus und lassen sich nicht verwirren.

Krenz und quer, wie unser Weg, seufzte sie.

Ja Lucie, sagte er tröstend. Auch bei uns geht das wirr durch einander,
und nur wissen nicht, wohin es führt, der liebe Gott weiß es nilein.

Sie nickte freundlich. Nun wurde es ihnen feierlich zu Mute, und sie gingen
schweigend dahin. Es war ihnen eingefallen, daß Sonntag war.

Lichter wurde es über den Wipfeln, von goldnem Glänze war der Wald
durchströmt, und mehreremale kamen Glockentöne herauf zu ihnen. Die Menschen
wurden ermahnt, den Frieden zu suchen, und um fanden auch die Flüchtlinge Ruhe.

Ein Haselbusch wiegte seine schlanken Zweige über den Schlummernden, und
neben ihnen sang ein Rotkehlchen. Es wurde Mittag, und der Wald war von
Glut durchhaucht. Mehreremnl gingen Menschen vorüber, dann wurde es stiller
und stiller. Die Schatten wurden dunkler und breiter, wieder klangen die Glocken
der Dörfer durch die Abendkühle, und noch immer schliefen sie. Über ihnen zogen
die leichten Gebilde der Wolken, die Sterne tauchten empor aus dem Man des Him¬
mels. Der Mond ergoß sein Licht über den still träumenden Wald, und leise rauschten
die Zweige.

(Fortsetzunn folgt)




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[0395] Die Flüchtlinge Wir gehen zunächst zur Mutter. Und dann? Und dünn fliehen wir iibers Meer. Aber wird sie dich ziehen lassen? fragte Lucie bedenklich. Was soll sie anders machen, nachdem das geschehen ist! Sie ist stolz. Sie ist stolz, wiederholte Lucie leise. Franz, ich fürchte mich! Ich hatte ge¬ hofft, ganz anders vor sie zu trete» als so. Einst hatte ich gedacht, das sollte mein glücklichster und stolzester Tag sein, wenn du mich in dein Haus brachtest, und um wird es mein bitterster, schmerzvollster sein! Rede nicht so, versetzte er bedrückt. Du machst mir das Herz schwer. Es muß nun einmal überwunden werden, Lucie. Sie trocknete rasch ihre Thränen und versuchte wieder zu lächeln. Wir ziehen also übers Meer, Franz? Er nickte. Was fangen wir aber in Amerika an? Da kaufen wir uns eine Farm, ganz einsam im tiefen Walde. Dort Hausen wir und haben dann nnr uns allein. Nun kosten sie wieder mit einander und malten sich das Blockhaus jenseits des Meeres uns. Franz hatte so viel in die Hütte hineinzuwüuschen, daß ihn das Mädchen errötend ans die Finger klopfte, aber es machte ihr sichtlich Fremde, seinen Worten zu lauschen und die Zukunft so freundlich schildern zu hören. Allmählich gelangten sie wieder in mehr betretene Teile des Waldes und wunderten sich, daß so viele Wege hin und her führten, bald sich kreuzten, bald sich nnswichen, ja oft lange Strecken hindurch dicht neben einander herliefen. Wie man sich nur in diesem Gewirr zurechtfinden kann? sagte Lucie. Sollte man nicht meinen, jeder dieser Wege führe in die Irre? Das geht nnr uns so, antwortete Franz. Die Leute, die hier wohnen, kennen sich wohl aus und lassen sich nicht verwirren. Krenz und quer, wie unser Weg, seufzte sie. Ja Lucie, sagte er tröstend. Auch bei uns geht das wirr durch einander, und nur wissen nicht, wohin es führt, der liebe Gott weiß es nilein. Sie nickte freundlich. Nun wurde es ihnen feierlich zu Mute, und sie gingen schweigend dahin. Es war ihnen eingefallen, daß Sonntag war. Lichter wurde es über den Wipfeln, von goldnem Glänze war der Wald durchströmt, und mehreremale kamen Glockentöne herauf zu ihnen. Die Menschen wurden ermahnt, den Frieden zu suchen, und um fanden auch die Flüchtlinge Ruhe. Ein Haselbusch wiegte seine schlanken Zweige über den Schlummernden, und neben ihnen sang ein Rotkehlchen. Es wurde Mittag, und der Wald war von Glut durchhaucht. Mehreremnl gingen Menschen vorüber, dann wurde es stiller und stiller. Die Schatten wurden dunkler und breiter, wieder klangen die Glocken der Dörfer durch die Abendkühle, und noch immer schliefen sie. Über ihnen zogen die leichten Gebilde der Wolken, die Sterne tauchten empor aus dem Man des Him¬ mels. Der Mond ergoß sein Licht über den still träumenden Wald, und leise rauschten die Zweige. (Fortsetzunn folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/395>, abgerufen am 22.07.2024.