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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Flüchtlinge

mich vors Regiment, ich soll bitten um Pardon, und ich bekomm gewiß doch
meinen Lohn, das weiß ich schon.

Sie werden dich erschießen, wenn wir ihnen in die Hände fallen, Franz!

Nein, Lucie, beruhigte er sie mit halbem Lächeln. Das gilt nur, wenn nur
Krieg haben

Er hielt an und senkte den Kopf.

Wer weiß es aber, was mir geschieht? fuhr er leise fort. Ich kann eS nicht
sagen. Das liegt alles noch in einem Nebel und verschwimmt in einander. Aber
sie können mir gewiß nichts schlimmeres anthun, als was ich mir selbst angethan habe.

O wären wir doch gestorben, Franz, schluchzte sie.

Er wurde wieder ruhig und strich ihr zärtlich über das Haar. Vor einigen
Stunden, sagte er, habe ich das auch gewünscht, und ich habe gedacht, es wäre
doch am bestem, sie machten ein schnelles Ende mit mir, dann wäre es mit einem-
male aus; so trostlos schaute ich drein und so verzagt. Nun aber denke ich wieder
anders. Wenn ich dir in die Augen blicke, dann scheint mir das Leben so schön
und wonnig zu sein, daß ichs gern behalten möchte.

Es kam plötzlich eine wilde Freude über ihn, die alle Bande seines gepreßten
Herzens zersprengte. O! jauchzte er, zeigt mir in der Welt so eine Liebe und
Schöne!

Sie blickte ihn glücklich an. Sei nicht so ungestüm, Franz. Rufe uicht so
laut, die Leute könnten es hören. Mir fällt eben ein Lied ein, darf ich dirs
singen?

Nicht singen, warnte er, sag es nnr her.

Nein, hersagen kann ich es nicht. Ich habe es immer gesungen, es muß ge¬
sungen werden.

Nun, so singe, aber leise.

Sie faßte seinen Arm nud saug mit zarter Stimme!

Es fiel ein Reif in Frühlingsnacht
Wohl übe" die schonen Blaublttmelein,
Sie sind verweilet, verdorret.
Ein Knabe hüte ein Mägdlein lieb.
Sie liefen heimlich von Hause fort.
Es wnsztS nicht Vater noch Mutter.
Sie liefen weit inS fremde Land,
Sie hatten weder Glück noch Stern,
Sie sind verdorben, gestorben.

Das ist ein trauriges Lied, sagte er, aber du hast etwas vergessen.

Sie sah ihn unter Thränen an.

Es giebt noch einen Vers, Lucie, den wolle" wir nicht vergessen.

Und nun sangen sie leise mit einander:

Da legte sie ihr Haupt an seine Brust. Ja, du Lieber, es ist ein trauriges
Lied. Sie trugen Wohl viel Schmerzen mit einander, als sie so hin und her wandern
mußten. Aber ganz ohne Trost sind sie doch nicht gewesen, denn sie hatten ein¬
ander lieb. Und zuletzt, obgleich sie in der Fremde gestorben sind, haben sie doch
ein Grab neben einander gefunden, die armen Bürschlein, und ruhen ans. Wohin
aber führt unser Weg? Wohin gehen wir?


Die Flüchtlinge

mich vors Regiment, ich soll bitten um Pardon, und ich bekomm gewiß doch
meinen Lohn, das weiß ich schon.

Sie werden dich erschießen, wenn wir ihnen in die Hände fallen, Franz!

Nein, Lucie, beruhigte er sie mit halbem Lächeln. Das gilt nur, wenn nur
Krieg haben

Er hielt an und senkte den Kopf.

Wer weiß es aber, was mir geschieht? fuhr er leise fort. Ich kann eS nicht
sagen. Das liegt alles noch in einem Nebel und verschwimmt in einander. Aber
sie können mir gewiß nichts schlimmeres anthun, als was ich mir selbst angethan habe.

O wären wir doch gestorben, Franz, schluchzte sie.

Er wurde wieder ruhig und strich ihr zärtlich über das Haar. Vor einigen
Stunden, sagte er, habe ich das auch gewünscht, und ich habe gedacht, es wäre
doch am bestem, sie machten ein schnelles Ende mit mir, dann wäre es mit einem-
male aus; so trostlos schaute ich drein und so verzagt. Nun aber denke ich wieder
anders. Wenn ich dir in die Augen blicke, dann scheint mir das Leben so schön
und wonnig zu sein, daß ichs gern behalten möchte.

Es kam plötzlich eine wilde Freude über ihn, die alle Bande seines gepreßten
Herzens zersprengte. O! jauchzte er, zeigt mir in der Welt so eine Liebe und
Schöne!

Sie blickte ihn glücklich an. Sei nicht so ungestüm, Franz. Rufe uicht so
laut, die Leute könnten es hören. Mir fällt eben ein Lied ein, darf ich dirs
singen?

Nicht singen, warnte er, sag es nnr her.

Nein, hersagen kann ich es nicht. Ich habe es immer gesungen, es muß ge¬
sungen werden.

Nun, so singe, aber leise.

Sie faßte seinen Arm nud saug mit zarter Stimme!

Es fiel ein Reif in Frühlingsnacht
Wohl übe» die schonen Blaublttmelein,
Sie sind verweilet, verdorret.
Ein Knabe hüte ein Mägdlein lieb.
Sie liefen heimlich von Hause fort.
Es wnsztS nicht Vater noch Mutter.
Sie liefen weit inS fremde Land,
Sie hatten weder Glück noch Stern,
Sie sind verdorben, gestorben.

Das ist ein trauriges Lied, sagte er, aber du hast etwas vergessen.

Sie sah ihn unter Thränen an.

Es giebt noch einen Vers, Lucie, den wolle» wir nicht vergessen.

Und nun sangen sie leise mit einander:

Da legte sie ihr Haupt an seine Brust. Ja, du Lieber, es ist ein trauriges
Lied. Sie trugen Wohl viel Schmerzen mit einander, als sie so hin und her wandern
mußten. Aber ganz ohne Trost sind sie doch nicht gewesen, denn sie hatten ein¬
ander lieb. Und zuletzt, obgleich sie in der Fremde gestorben sind, haben sie doch
ein Grab neben einander gefunden, die armen Bürschlein, und ruhen ans. Wohin
aber führt unser Weg? Wohin gehen wir?


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[0394] Die Flüchtlinge mich vors Regiment, ich soll bitten um Pardon, und ich bekomm gewiß doch meinen Lohn, das weiß ich schon. Sie werden dich erschießen, wenn wir ihnen in die Hände fallen, Franz! Nein, Lucie, beruhigte er sie mit halbem Lächeln. Das gilt nur, wenn nur Krieg haben Er hielt an und senkte den Kopf. Wer weiß es aber, was mir geschieht? fuhr er leise fort. Ich kann eS nicht sagen. Das liegt alles noch in einem Nebel und verschwimmt in einander. Aber sie können mir gewiß nichts schlimmeres anthun, als was ich mir selbst angethan habe. O wären wir doch gestorben, Franz, schluchzte sie. Er wurde wieder ruhig und strich ihr zärtlich über das Haar. Vor einigen Stunden, sagte er, habe ich das auch gewünscht, und ich habe gedacht, es wäre doch am bestem, sie machten ein schnelles Ende mit mir, dann wäre es mit einem- male aus; so trostlos schaute ich drein und so verzagt. Nun aber denke ich wieder anders. Wenn ich dir in die Augen blicke, dann scheint mir das Leben so schön und wonnig zu sein, daß ichs gern behalten möchte. Es kam plötzlich eine wilde Freude über ihn, die alle Bande seines gepreßten Herzens zersprengte. O! jauchzte er, zeigt mir in der Welt so eine Liebe und Schöne! Sie blickte ihn glücklich an. Sei nicht so ungestüm, Franz. Rufe uicht so laut, die Leute könnten es hören. Mir fällt eben ein Lied ein, darf ich dirs singen? Nicht singen, warnte er, sag es nnr her. Nein, hersagen kann ich es nicht. Ich habe es immer gesungen, es muß ge¬ sungen werden. Nun, so singe, aber leise. Sie faßte seinen Arm nud saug mit zarter Stimme! Es fiel ein Reif in Frühlingsnacht Wohl übe» die schonen Blaublttmelein, Sie sind verweilet, verdorret. Ein Knabe hüte ein Mägdlein lieb. Sie liefen heimlich von Hause fort. Es wnsztS nicht Vater noch Mutter. Sie liefen weit inS fremde Land, Sie hatten weder Glück noch Stern, Sie sind verdorben, gestorben. Das ist ein trauriges Lied, sagte er, aber du hast etwas vergessen. Sie sah ihn unter Thränen an. Es giebt noch einen Vers, Lucie, den wolle» wir nicht vergessen. Und nun sangen sie leise mit einander: Da legte sie ihr Haupt an seine Brust. Ja, du Lieber, es ist ein trauriges Lied. Sie trugen Wohl viel Schmerzen mit einander, als sie so hin und her wandern mußten. Aber ganz ohne Trost sind sie doch nicht gewesen, denn sie hatten ein¬ ander lieb. Und zuletzt, obgleich sie in der Fremde gestorben sind, haben sie doch ein Grab neben einander gefunden, die armen Bürschlein, und ruhen ans. Wohin aber führt unser Weg? Wohin gehen wir?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/394>, abgerufen am 22.07.2024.