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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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vieMandarbeiterfrage

Heuerling, er war nicht der Duzbruder seines Brodherrn und hatte reine selb¬
ständige Ackerwirtschaft, aber er hatte sein sicheres Auskommen lind sein festes
Heim. Aber es blieb nicht so. Die Dreschmaschine und die Zuckerrübe, wie
v. d. Goltz sagt, die kapitalistische Gutswirtschaft, wie Knapp es nennt,
haben dem Jnstmannswesen ein Ende gemacht oder werden es demnächst machen;
nach Webers Ansicht wenigstens hat es keine Zukunft mehr. Mit Einführung
der Dreschmaschine hörte der Anteil der Jnseen am Erdrusch auf, die inten¬
sivere Kultur, die dem Boden höher" Ertrag abgewinnt, vermindert die Ge¬
neigtheit des Gutsherrn, für den Jnseen einige Morgen Acker bestellen zu
lassen, und läßt den reinen Geldlohn vorteilhafter erscheinen (während sich als
Zwischenform das Deputat hie und da noch hält), und da die Dreschmaschine
den größten Teil der Winterarbeit hinweggenommen hat, so braucht der Guts¬
besitzer nicht mehr sämtliche Arbeiter das ganze Jahr hindurch: er vermindert
die Zahl der Jnseen und mietet im Sommer Wanderarbeiter, und zwar zieht
er solche vor, die mit dem niedrigsten Geldlohn zufrieden sind. Damit sind
drei Wirkungen gegeben, deren Bedeutung weit über die Arbeiterfrage im engern
Sinne hinausreicht. Erstens ist an die Stelle der Interessengemeinschaft, die
selbst den Jnseen noch an den Gutsbesitzer band -- denn die Höhe seines Ein¬
kommens hing ja vom Ausfall der Ernte auf dem Gute ab --, der nackte
Interessengegensatz getreten wie in der Industrie. Zweitens wandern die deutschen
Arbeiter ab (Abwanderung, zum Unterschiede von der Auswanderung, ist jetzt
der Fachausdruck für die Wanderung in eine andre Provinz des Vaterlandes),
weil sie sich den verschlechterten Lebensbedingungen nicht fügen wollen oder
können. Und drittens wandern Polen aus Rußland ein. V. d. Goltz
meint, der Großgrundbesitz werde und müsse, die Fortdauer der jetzigen Boden¬
verteilung und der heutigen Wirtschaftsweise vorausgesetzt, den ganzen Osten
der preußischen Monarchie polnisch machen, und Dr. Weber schloß seine Be¬
trachtungen über diesen Gegenstand mit den Sätzen: "Also, meine Herren, der
Großgrundbesitz ist das Element, das im Osten zur Zeit am stärksten polo-
nisirt. Es ist ^nur noch) eine Frage der Zeit, wann der Augenblick gekommen
sein wird, wo er in seinem Auftrete" gemeinschaftliche Sache mit den Polen
wird machen müssen." "

Für den Jnstmann wie fürs Vaterland gleich verhängnisvoll ist die jetzige
Unsicherheit seiner Stellung. Der Einlicger und der Jnstmann -- sagt v. d.
Goltz S. 134 -- "können zwar beliebig ihren Wohnsitz wechseln, aber sie
müssen ihn auch oft wechseln. Wenn der Mietherr dem Einlieger die Woh¬
nung, der Gutsherr den Jnstleuten den Kontrakt kündigt, so ist in der Regel
damit gleichzeitig für sie die Notwendigkeit verbunden, auch den Ort ihres
Wohnsitzes und ihrer Arbeitsstätte zu verändern, sich von Altersgenossen und
Freunden, vielleicht von Verwandten zu trennen. Von einer eigentlichen Heimat
ist bei vielen von ihnen keine Rede mehr; das Heimatsgefühl ist aber gerade


vieMandarbeiterfrage

Heuerling, er war nicht der Duzbruder seines Brodherrn und hatte reine selb¬
ständige Ackerwirtschaft, aber er hatte sein sicheres Auskommen lind sein festes
Heim. Aber es blieb nicht so. Die Dreschmaschine und die Zuckerrübe, wie
v. d. Goltz sagt, die kapitalistische Gutswirtschaft, wie Knapp es nennt,
haben dem Jnstmannswesen ein Ende gemacht oder werden es demnächst machen;
nach Webers Ansicht wenigstens hat es keine Zukunft mehr. Mit Einführung
der Dreschmaschine hörte der Anteil der Jnseen am Erdrusch auf, die inten¬
sivere Kultur, die dem Boden höher» Ertrag abgewinnt, vermindert die Ge¬
neigtheit des Gutsherrn, für den Jnseen einige Morgen Acker bestellen zu
lassen, und läßt den reinen Geldlohn vorteilhafter erscheinen (während sich als
Zwischenform das Deputat hie und da noch hält), und da die Dreschmaschine
den größten Teil der Winterarbeit hinweggenommen hat, so braucht der Guts¬
besitzer nicht mehr sämtliche Arbeiter das ganze Jahr hindurch: er vermindert
die Zahl der Jnseen und mietet im Sommer Wanderarbeiter, und zwar zieht
er solche vor, die mit dem niedrigsten Geldlohn zufrieden sind. Damit sind
drei Wirkungen gegeben, deren Bedeutung weit über die Arbeiterfrage im engern
Sinne hinausreicht. Erstens ist an die Stelle der Interessengemeinschaft, die
selbst den Jnseen noch an den Gutsbesitzer band — denn die Höhe seines Ein¬
kommens hing ja vom Ausfall der Ernte auf dem Gute ab —, der nackte
Interessengegensatz getreten wie in der Industrie. Zweitens wandern die deutschen
Arbeiter ab (Abwanderung, zum Unterschiede von der Auswanderung, ist jetzt
der Fachausdruck für die Wanderung in eine andre Provinz des Vaterlandes),
weil sie sich den verschlechterten Lebensbedingungen nicht fügen wollen oder
können. Und drittens wandern Polen aus Rußland ein. V. d. Goltz
meint, der Großgrundbesitz werde und müsse, die Fortdauer der jetzigen Boden¬
verteilung und der heutigen Wirtschaftsweise vorausgesetzt, den ganzen Osten
der preußischen Monarchie polnisch machen, und Dr. Weber schloß seine Be¬
trachtungen über diesen Gegenstand mit den Sätzen: „Also, meine Herren, der
Großgrundbesitz ist das Element, das im Osten zur Zeit am stärksten polo-
nisirt. Es ist ^nur noch) eine Frage der Zeit, wann der Augenblick gekommen
sein wird, wo er in seinem Auftrete» gemeinschaftliche Sache mit den Polen
wird machen müssen." »

Für den Jnstmann wie fürs Vaterland gleich verhängnisvoll ist die jetzige
Unsicherheit seiner Stellung. Der Einlicger und der Jnstmann — sagt v. d.
Goltz S. 134 — „können zwar beliebig ihren Wohnsitz wechseln, aber sie
müssen ihn auch oft wechseln. Wenn der Mietherr dem Einlieger die Woh¬
nung, der Gutsherr den Jnstleuten den Kontrakt kündigt, so ist in der Regel
damit gleichzeitig für sie die Notwendigkeit verbunden, auch den Ort ihres
Wohnsitzes und ihrer Arbeitsstätte zu verändern, sich von Altersgenossen und
Freunden, vielleicht von Verwandten zu trennen. Von einer eigentlichen Heimat
ist bei vielen von ihnen keine Rede mehr; das Heimatsgefühl ist aber gerade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/362>, abgerufen am 22.07.2024.