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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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diese Umgestaltung den rationellen und intensiven Betrieb möglich machte und
die Produktivität der Landwirtschaft außerordentlich erhöhte, darin besteht der
Vorteil dieser Umwandlung für die Nation.

Die Schattenseite liegt in den Arbeiterverhältnifsen. Mehr und mehr
entfernte sich der zum Tagelöhner herabgesunkene Ackerhänsler von dem Bauer,
dessen Standesgenosse er bis dahin gewesen war. Bis 1840 zwar blieb der
Bauer noch bescheiden, denn es ging ihm schlecht; die Kriegslasten, die Kosten
der Regulirung drückten ihn, und seine Erzeugnisse galten nicht viel auf dem
Markte. Dann aber kam seine goldne Zeit; die Preise stiegen, und indem er
sich die technischen Fortschritte aneignete, in denen ihm der Rittergutsbesitzer
voranging, vermehrte er die Menge seiner verkäuflichen Produkte. Er wurde
ein Herr, der den Rittergutsbesitzern nahe steht, und eine tiefe Kluft scheidet
ihn von den Nachkommen seiner ehemaligen "nicht regulirten" Standesgenossen.
Diese bilden ein von allen übrigen Ständen abgesondertes Proletariat, aus
dem es keinen Ausweg und sür das es keine Hoffnung des Emporsteigens giebt.

Durch die Gemeinheitsteilung wurde die Lage der kleinen Leute noch
weiter verschlechtert. Durch sie, pflegten sie in Pommern zu sagen, sind die
Bauern zu Edelleuten geworden und wir zu Bettlern. Indem sie ihren An¬
teil an der Gemeindeweide, das Recht auf Raffholz und Laubstreu verloren,
wurde ihnen die Viehhaltung unmöglich und die Heizung verteuert/') In jenen
Gegenden, wo früher durch das Bauernlegen die spannfähigen Güter vermindert
worden waren und daher jetzt das Rittergut vorherrscht, namentlich in Pom¬
mern, Ost- und Westpreußen, hat nach Aufhebung der Leibeigenschaft die Ar-
beitsverfassnng zunächst die Form der Jnstmannschaft angenommen. "Der
Gutsbesitzer -- sagt Knapp -- sichert sich dnrch Vertrag auf längere Zeit die
Arbeitskraft -- nicht etwa eines Mannes, sondern -- einer Arbeiterfamilie.
Die Familie wird in einen Kater gesetzt, der auf dem Boden des Gutsherrn
steht, und muß sich bereit halten, einen Mann und einen Gehilfen (den soge¬
nannten Scharwerker) zu stellen. Dafür wird nur ein ganz geringer Tage-
lohn bezahlt; in der Hauptsache empfängt der Juste, außer dem Genuß der
Wohnung, gewöhnlich etwas Gartenland, das er für sich benutzt; und außer¬
dem wird für ihn eine Anzahl Morgen Landes in den gutsherrlichen Schlägen
bestellt; was da geerntet wird an Getreide, Hülsenfrüchten oder Kartoffeln,
das gehört dem Jnseen. Endlich hat der Juste das Recht, während des
Winters das Getreide des Gutsherrn auszudreschen gegen einen bestimmten
Bruchteil des Erdrusches." Das wäre ja uun ganz schön gewesen, wenn es
so geblieben wäre. Der Juste stand zwar nicht so da, wie der westfälische



*) Wie dadurch auch der ärmere Bauer geschädigt worden ist, hat mau in der Futternot
des vergangnen Sommers erfahren. V. d. Goltz fuhrt aus den Grenzboten, Jahrgang 1893)
Heft 24, S. 509 den Ausspruch Bismarcks vom Jahre 1849 an: "Land haben sie (die Bauern
und Streu brauchen sie; statt dessen vermehrt man ihr Bedürfnis an Streu."
Grenzboten IV 1893 45,

diese Umgestaltung den rationellen und intensiven Betrieb möglich machte und
die Produktivität der Landwirtschaft außerordentlich erhöhte, darin besteht der
Vorteil dieser Umwandlung für die Nation.

Die Schattenseite liegt in den Arbeiterverhältnifsen. Mehr und mehr
entfernte sich der zum Tagelöhner herabgesunkene Ackerhänsler von dem Bauer,
dessen Standesgenosse er bis dahin gewesen war. Bis 1840 zwar blieb der
Bauer noch bescheiden, denn es ging ihm schlecht; die Kriegslasten, die Kosten
der Regulirung drückten ihn, und seine Erzeugnisse galten nicht viel auf dem
Markte. Dann aber kam seine goldne Zeit; die Preise stiegen, und indem er
sich die technischen Fortschritte aneignete, in denen ihm der Rittergutsbesitzer
voranging, vermehrte er die Menge seiner verkäuflichen Produkte. Er wurde
ein Herr, der den Rittergutsbesitzern nahe steht, und eine tiefe Kluft scheidet
ihn von den Nachkommen seiner ehemaligen „nicht regulirten" Standesgenossen.
Diese bilden ein von allen übrigen Ständen abgesondertes Proletariat, aus
dem es keinen Ausweg und sür das es keine Hoffnung des Emporsteigens giebt.

Durch die Gemeinheitsteilung wurde die Lage der kleinen Leute noch
weiter verschlechtert. Durch sie, pflegten sie in Pommern zu sagen, sind die
Bauern zu Edelleuten geworden und wir zu Bettlern. Indem sie ihren An¬
teil an der Gemeindeweide, das Recht auf Raffholz und Laubstreu verloren,
wurde ihnen die Viehhaltung unmöglich und die Heizung verteuert/') In jenen
Gegenden, wo früher durch das Bauernlegen die spannfähigen Güter vermindert
worden waren und daher jetzt das Rittergut vorherrscht, namentlich in Pom¬
mern, Ost- und Westpreußen, hat nach Aufhebung der Leibeigenschaft die Ar-
beitsverfassnng zunächst die Form der Jnstmannschaft angenommen. „Der
Gutsbesitzer — sagt Knapp — sichert sich dnrch Vertrag auf längere Zeit die
Arbeitskraft — nicht etwa eines Mannes, sondern — einer Arbeiterfamilie.
Die Familie wird in einen Kater gesetzt, der auf dem Boden des Gutsherrn
steht, und muß sich bereit halten, einen Mann und einen Gehilfen (den soge¬
nannten Scharwerker) zu stellen. Dafür wird nur ein ganz geringer Tage-
lohn bezahlt; in der Hauptsache empfängt der Juste, außer dem Genuß der
Wohnung, gewöhnlich etwas Gartenland, das er für sich benutzt; und außer¬
dem wird für ihn eine Anzahl Morgen Landes in den gutsherrlichen Schlägen
bestellt; was da geerntet wird an Getreide, Hülsenfrüchten oder Kartoffeln,
das gehört dem Jnseen. Endlich hat der Juste das Recht, während des
Winters das Getreide des Gutsherrn auszudreschen gegen einen bestimmten
Bruchteil des Erdrusches." Das wäre ja uun ganz schön gewesen, wenn es
so geblieben wäre. Der Juste stand zwar nicht so da, wie der westfälische



*) Wie dadurch auch der ärmere Bauer geschädigt worden ist, hat mau in der Futternot
des vergangnen Sommers erfahren. V. d. Goltz fuhrt aus den Grenzboten, Jahrgang 1893)
Heft 24, S. 509 den Ausspruch Bismarcks vom Jahre 1849 an: „Land haben sie (die Bauern
und Streu brauchen sie; statt dessen vermehrt man ihr Bedürfnis an Streu."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/361>, abgerufen am 22.07.2024.