Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aussichten der Roichssteiicrn

militärischen Stellung, wenig Gelegenheit, sich in Reichsangelegenheiten bemerk¬
lich und verdient zu machen. Sie werde" bei allen Freunden der bestehenden Ord¬
nung um so mehr an Ausehn gewinnen, je mehr sie durch persönliches Zuthun
bewirken, daß der Fortbestand dieser Ordnung wünschenswert, die Wohlthat
dieser Ordnung fühlbar wird. Das Vorgehen unsrer Fürsten würde die Kreise an¬
spornen, ihre Vereitwilligkeit deutlich werden zulassen, die bisher, wie der Vor¬
stand des Vereins der Eisen- und Stahlindustrielleu, schwachmütig auswichen.

Nicht unmöglich, daß im Reichstage ein die fürstliche Steuerfreiheit betref-
fender, der Kompetenz des Reichstags angepaßter Antrag gestellt werden wird.
Die süddeutsche Volkspartei zeigt große Neigung dazu; die Freisinnigen beider
Linien werden nicht fehlen, die Papaldemokraten und das ganze Zentrum werden
nicht zurückbleiben; und die Sozialdemokraten werden sich dadurch, daß sie damit
eine Anerkennung der bestehenden Verhältnisse begehen würden, nicht abhalten
lassen, dabeizusein, sie haben schou wiederholt Anläufe dazu gemacht. Denn möchte
es den Konservativsten schwer werden, zu widersprechen und abzulehnen.

Der Bundesrat kann einen darauf bezüglichen Antrag des Reichstags
ablehnen oder, wie es bedauerlicherweise schon vorgekommen ist, unbeantwortet
lassen. Welchen Eindruck aber würde das in ganz Deutschland machen? Nein!
dahin wird es der deutsche Kaiser nicht kommen lassen! Mit einem "soviel
ihr Andacht ist," mit Bewilligung einer Art von Einkommensteuer für seine
Person kann der Kaiser freilich nicht vorangehen, denn er h'at keinen Pfennig
Bernfseinkommen. Die Versuche, die 188!) im Bundesrate gemacht wurden,
ihm vou Reichs wegen ein solches zuzuwenden, scheiterten aus verschiednen,
leicht zu erratenden Gründen. Aber Kaiser Wilhelm kann Weitblick beweisen,
kann die Notwendigkeit eines allseitigen fürstlichen Zugeständnisses an den
Neichsbegriff, an die Finanzpolitik und Finanzlage des Reichs erkennen. Herr
Miqnel hat vor einigen Wochen in Osnabrück versichert, daß der Kaiser alle
großen Fragen der Gegenwart vollständig verstehe, daß Deutschland sein Ver¬
trauen auf den Kaiser setzen dürfe. Nun, dem in der ersten Thronrede Kaiser
Wilhelms vom 25. Juni 1888 ausgesprochnen Wunsche, "dem Ausgleiche un¬
gesunder gesellschaftlicher Gegensätze näherzukommen," kann nicht besser ent¬
sprochen werden, als dadurch, daß die Steuerpflicht ohne Ausnahme ans alle
Steuerfähigeu des Steuergebiets erstreckt wird. Der deutsche Kaiser braucht
nur bei dem König von Preußen ein gutes Wort einzulegen, um ihn zu einem
seinen reichen Mitteln entsprechenden Entschluß zu bewegen. Keiner der deutschen
Fürsten wird dann zurückbleiben. Ihr "soviel ihr Andacht ist!" wird dann
in allen Kreisen der Steuerfähigen den guten Willen heben und befestigen.




Die Aussichten der Roichssteiicrn

militärischen Stellung, wenig Gelegenheit, sich in Reichsangelegenheiten bemerk¬
lich und verdient zu machen. Sie werde» bei allen Freunden der bestehenden Ord¬
nung um so mehr an Ausehn gewinnen, je mehr sie durch persönliches Zuthun
bewirken, daß der Fortbestand dieser Ordnung wünschenswert, die Wohlthat
dieser Ordnung fühlbar wird. Das Vorgehen unsrer Fürsten würde die Kreise an¬
spornen, ihre Vereitwilligkeit deutlich werden zulassen, die bisher, wie der Vor¬
stand des Vereins der Eisen- und Stahlindustrielleu, schwachmütig auswichen.

Nicht unmöglich, daß im Reichstage ein die fürstliche Steuerfreiheit betref-
fender, der Kompetenz des Reichstags angepaßter Antrag gestellt werden wird.
Die süddeutsche Volkspartei zeigt große Neigung dazu; die Freisinnigen beider
Linien werden nicht fehlen, die Papaldemokraten und das ganze Zentrum werden
nicht zurückbleiben; und die Sozialdemokraten werden sich dadurch, daß sie damit
eine Anerkennung der bestehenden Verhältnisse begehen würden, nicht abhalten
lassen, dabeizusein, sie haben schou wiederholt Anläufe dazu gemacht. Denn möchte
es den Konservativsten schwer werden, zu widersprechen und abzulehnen.

Der Bundesrat kann einen darauf bezüglichen Antrag des Reichstags
ablehnen oder, wie es bedauerlicherweise schon vorgekommen ist, unbeantwortet
lassen. Welchen Eindruck aber würde das in ganz Deutschland machen? Nein!
dahin wird es der deutsche Kaiser nicht kommen lassen! Mit einem „soviel
ihr Andacht ist," mit Bewilligung einer Art von Einkommensteuer für seine
Person kann der Kaiser freilich nicht vorangehen, denn er h'at keinen Pfennig
Bernfseinkommen. Die Versuche, die 188!) im Bundesrate gemacht wurden,
ihm vou Reichs wegen ein solches zuzuwenden, scheiterten aus verschiednen,
leicht zu erratenden Gründen. Aber Kaiser Wilhelm kann Weitblick beweisen,
kann die Notwendigkeit eines allseitigen fürstlichen Zugeständnisses an den
Neichsbegriff, an die Finanzpolitik und Finanzlage des Reichs erkennen. Herr
Miqnel hat vor einigen Wochen in Osnabrück versichert, daß der Kaiser alle
großen Fragen der Gegenwart vollständig verstehe, daß Deutschland sein Ver¬
trauen auf den Kaiser setzen dürfe. Nun, dem in der ersten Thronrede Kaiser
Wilhelms vom 25. Juni 1888 ausgesprochnen Wunsche, „dem Ausgleiche un¬
gesunder gesellschaftlicher Gegensätze näherzukommen," kann nicht besser ent¬
sprochen werden, als dadurch, daß die Steuerpflicht ohne Ausnahme ans alle
Steuerfähigeu des Steuergebiets erstreckt wird. Der deutsche Kaiser braucht
nur bei dem König von Preußen ein gutes Wort einzulegen, um ihn zu einem
seinen reichen Mitteln entsprechenden Entschluß zu bewegen. Keiner der deutschen
Fürsten wird dann zurückbleiben. Ihr „soviel ihr Andacht ist!" wird dann
in allen Kreisen der Steuerfähigen den guten Willen heben und befestigen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216080"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aussichten der Roichssteiicrn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1169" prev="#ID_1168"> militärischen Stellung, wenig Gelegenheit, sich in Reichsangelegenheiten bemerk¬<lb/>
lich und verdient zu machen. Sie werde» bei allen Freunden der bestehenden Ord¬<lb/>
nung um so mehr an Ausehn gewinnen, je mehr sie durch persönliches Zuthun<lb/>
bewirken, daß der Fortbestand dieser Ordnung wünschenswert, die Wohlthat<lb/>
dieser Ordnung fühlbar wird. Das Vorgehen unsrer Fürsten würde die Kreise an¬<lb/>
spornen, ihre Vereitwilligkeit deutlich werden zulassen, die bisher, wie der Vor¬<lb/>
stand des Vereins der Eisen- und Stahlindustrielleu, schwachmütig auswichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170"> Nicht unmöglich, daß im Reichstage ein die fürstliche Steuerfreiheit betref-<lb/>
fender, der Kompetenz des Reichstags angepaßter Antrag gestellt werden wird.<lb/>
Die süddeutsche Volkspartei zeigt große Neigung dazu; die Freisinnigen beider<lb/>
Linien werden nicht fehlen, die Papaldemokraten und das ganze Zentrum werden<lb/>
nicht zurückbleiben; und die Sozialdemokraten werden sich dadurch, daß sie damit<lb/>
eine Anerkennung der bestehenden Verhältnisse begehen würden, nicht abhalten<lb/>
lassen, dabeizusein, sie haben schou wiederholt Anläufe dazu gemacht. Denn möchte<lb/>
es den Konservativsten schwer werden, zu widersprechen und abzulehnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171"> Der Bundesrat kann einen darauf bezüglichen Antrag des Reichstags<lb/>
ablehnen oder, wie es bedauerlicherweise schon vorgekommen ist, unbeantwortet<lb/>
lassen. Welchen Eindruck aber würde das in ganz Deutschland machen? Nein!<lb/>
dahin wird es der deutsche Kaiser nicht kommen lassen! Mit einem &#x201E;soviel<lb/>
ihr Andacht ist," mit Bewilligung einer Art von Einkommensteuer für seine<lb/>
Person kann der Kaiser freilich nicht vorangehen, denn er h'at keinen Pfennig<lb/>
Bernfseinkommen. Die Versuche, die 188!) im Bundesrate gemacht wurden,<lb/>
ihm vou Reichs wegen ein solches zuzuwenden, scheiterten aus verschiednen,<lb/>
leicht zu erratenden Gründen. Aber Kaiser Wilhelm kann Weitblick beweisen,<lb/>
kann die Notwendigkeit eines allseitigen fürstlichen Zugeständnisses an den<lb/>
Neichsbegriff, an die Finanzpolitik und Finanzlage des Reichs erkennen. Herr<lb/>
Miqnel hat vor einigen Wochen in Osnabrück versichert, daß der Kaiser alle<lb/>
großen Fragen der Gegenwart vollständig verstehe, daß Deutschland sein Ver¬<lb/>
trauen auf den Kaiser setzen dürfe. Nun, dem in der ersten Thronrede Kaiser<lb/>
Wilhelms vom 25. Juni 1888 ausgesprochnen Wunsche, &#x201E;dem Ausgleiche un¬<lb/>
gesunder gesellschaftlicher Gegensätze näherzukommen," kann nicht besser ent¬<lb/>
sprochen werden, als dadurch, daß die Steuerpflicht ohne Ausnahme ans alle<lb/>
Steuerfähigeu des Steuergebiets erstreckt wird. Der deutsche Kaiser braucht<lb/>
nur bei dem König von Preußen ein gutes Wort einzulegen, um ihn zu einem<lb/>
seinen reichen Mitteln entsprechenden Entschluß zu bewegen. Keiner der deutschen<lb/>
Fürsten wird dann zurückbleiben. Ihr &#x201E;soviel ihr Andacht ist!" wird dann<lb/>
in allen Kreisen der Steuerfähigen den guten Willen heben und befestigen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] Die Aussichten der Roichssteiicrn militärischen Stellung, wenig Gelegenheit, sich in Reichsangelegenheiten bemerk¬ lich und verdient zu machen. Sie werde» bei allen Freunden der bestehenden Ord¬ nung um so mehr an Ausehn gewinnen, je mehr sie durch persönliches Zuthun bewirken, daß der Fortbestand dieser Ordnung wünschenswert, die Wohlthat dieser Ordnung fühlbar wird. Das Vorgehen unsrer Fürsten würde die Kreise an¬ spornen, ihre Vereitwilligkeit deutlich werden zulassen, die bisher, wie der Vor¬ stand des Vereins der Eisen- und Stahlindustrielleu, schwachmütig auswichen. Nicht unmöglich, daß im Reichstage ein die fürstliche Steuerfreiheit betref- fender, der Kompetenz des Reichstags angepaßter Antrag gestellt werden wird. Die süddeutsche Volkspartei zeigt große Neigung dazu; die Freisinnigen beider Linien werden nicht fehlen, die Papaldemokraten und das ganze Zentrum werden nicht zurückbleiben; und die Sozialdemokraten werden sich dadurch, daß sie damit eine Anerkennung der bestehenden Verhältnisse begehen würden, nicht abhalten lassen, dabeizusein, sie haben schou wiederholt Anläufe dazu gemacht. Denn möchte es den Konservativsten schwer werden, zu widersprechen und abzulehnen. Der Bundesrat kann einen darauf bezüglichen Antrag des Reichstags ablehnen oder, wie es bedauerlicherweise schon vorgekommen ist, unbeantwortet lassen. Welchen Eindruck aber würde das in ganz Deutschland machen? Nein! dahin wird es der deutsche Kaiser nicht kommen lassen! Mit einem „soviel ihr Andacht ist," mit Bewilligung einer Art von Einkommensteuer für seine Person kann der Kaiser freilich nicht vorangehen, denn er h'at keinen Pfennig Bernfseinkommen. Die Versuche, die 188!) im Bundesrate gemacht wurden, ihm vou Reichs wegen ein solches zuzuwenden, scheiterten aus verschiednen, leicht zu erratenden Gründen. Aber Kaiser Wilhelm kann Weitblick beweisen, kann die Notwendigkeit eines allseitigen fürstlichen Zugeständnisses an den Neichsbegriff, an die Finanzpolitik und Finanzlage des Reichs erkennen. Herr Miqnel hat vor einigen Wochen in Osnabrück versichert, daß der Kaiser alle großen Fragen der Gegenwart vollständig verstehe, daß Deutschland sein Ver¬ trauen auf den Kaiser setzen dürfe. Nun, dem in der ersten Thronrede Kaiser Wilhelms vom 25. Juni 1888 ausgesprochnen Wunsche, „dem Ausgleiche un¬ gesunder gesellschaftlicher Gegensätze näherzukommen," kann nicht besser ent¬ sprochen werden, als dadurch, daß die Steuerpflicht ohne Ausnahme ans alle Steuerfähigeu des Steuergebiets erstreckt wird. Der deutsche Kaiser braucht nur bei dem König von Preußen ein gutes Wort einzulegen, um ihn zu einem seinen reichen Mitteln entsprechenden Entschluß zu bewegen. Keiner der deutschen Fürsten wird dann zurückbleiben. Ihr „soviel ihr Andacht ist!" wird dann in allen Kreisen der Steuerfähigen den guten Willen heben und befestigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/356>, abgerufen am 22.07.2024.