Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vie Aussichten der Reichsstenern

lich als Wirtschaftsgebiet, als nationaler Haushalt, als die große Genossen¬
schaft, der Preußen wie eine der Hansestädte, Schwarzburg wie Baiern an¬
gehört, und die unsre Staatsoberhäupter wie die letzten Hüttenbewvhner
umfaßt. Politisch erscheint uns die Nation vorläufig wohlgegliedert, aber
sozial sind ihre Gruppen, wie die kaiserliche Botschaft und die Thronreden zu¬
geben und einschärfen, verbesserungsbedürftig. Im ganzen kommen die Genossen
unsrer Volksgenossenschaft gut, leidlich gut und minder gut mit einander aus;
hoffentlich werden sie noch einmal einträchtig und dann immer erfolgreicher
zusammenwirken. Sollten wir nicht noch dahin kommen, im Reichsschatze
den stärksten Kumulator und Motor für des Reiches Wohlfahrt zu sehen?

Dr. Theodor Barth braucht nicht zu versichern, daß die Steuerkraft des
Reichs (will sagen der Neichsangehörigen) einmal zu Ende gehe; denn das be¬
streitet niemand. Wenn Herr Eugen Richter, wie es Vonseiten seiner Partei¬
genossen schon 1863 im preußischen Landtage geschah, beteuert, mehr Steuern,
mis jetzt aufgebracht werden, seien nicht aufzubringen, so sagt das nicht der
allsgezeichnete Rechner und Finanzkenner, nicht der weniger bedeutende National¬
ökonom, sondern nur -- der Redner. So oft die Reichstags- und Landtags¬
mehrheit gegen ihn entschied, ist es mit dem Aufbringen der Millionen noch
jedesmal ohne besondre Beschwerden gegangen.

Wir verargen es den Genannten nicht, wenn sie das unter Zustimmung
der Parlamentsmehrheit weit vorgeschrittne Schuldenmachen des Reichs mi߬
billigen, da Freiherr von Maltzahn beim Einbringen des Budgets für 1893/94
ganz wohlgemut erklärte, es werde "auch in diesem Jahre auf eine -- solide
Gestaltung unsrer Finanzen verzichtet werden müssen." Sie wollen nichts
andres als wir, wenn sie auf Schonung der Weuigerbemittelteu dringen. Aber
wir haben auch wohlhabende, reiche, sehr reiche, höchst- und allerhöchstreiche
Leute uuter uns.

Schonung der Steuerkraft! Wo Kraft vorhanden ist, da soll sie gebraucht
werden. Ein unglücklicher Krieg kostet mehr, als der größte Militnraufwcmd
in Friedenszeiten. Wer nicht wagt, der gewinnt nicht. Das beständige Un¬
möglich! Unerschwinglich! das vom Freisinn gegen unser Heer, unsre Flotte,
unsre Kolonien ausgespielt wird, läßt uns kalt. Einige Sätze des Herrn Rickert
vom 24. Juni 1890 verdienen hier in Erinnerung gebracht zu werden; ihr
erheiternder Eindruck wird nicht ausbleiben. "Wir sind für die Zukunftspläne
des Kriegsministers (v. Verth) -- hieß es -- nicht reich genug. Wir haben
nicht die Steuerkraft dafür, und ich hoffe Mlle es nur wenigstens geheißen
"ich bedauere"s den Beweis noch liefern zu können. Ich bin Optimist vom
Kopf bis zur Zehe, aber bei dem Studium unsrer Finanzverhältnisse, bei der
Kenntnis von der Lage unsrer arbeitenden Klassen und kleinen Leute ^die wohl¬
habenden und die reichen gehören doch auch her!j muß ich sagen: Bis hierher
und nicht weiter! Das fühlt man in den weitesten Volkskreisen, bis in die


Vie Aussichten der Reichsstenern

lich als Wirtschaftsgebiet, als nationaler Haushalt, als die große Genossen¬
schaft, der Preußen wie eine der Hansestädte, Schwarzburg wie Baiern an¬
gehört, und die unsre Staatsoberhäupter wie die letzten Hüttenbewvhner
umfaßt. Politisch erscheint uns die Nation vorläufig wohlgegliedert, aber
sozial sind ihre Gruppen, wie die kaiserliche Botschaft und die Thronreden zu¬
geben und einschärfen, verbesserungsbedürftig. Im ganzen kommen die Genossen
unsrer Volksgenossenschaft gut, leidlich gut und minder gut mit einander aus;
hoffentlich werden sie noch einmal einträchtig und dann immer erfolgreicher
zusammenwirken. Sollten wir nicht noch dahin kommen, im Reichsschatze
den stärksten Kumulator und Motor für des Reiches Wohlfahrt zu sehen?

Dr. Theodor Barth braucht nicht zu versichern, daß die Steuerkraft des
Reichs (will sagen der Neichsangehörigen) einmal zu Ende gehe; denn das be¬
streitet niemand. Wenn Herr Eugen Richter, wie es Vonseiten seiner Partei¬
genossen schon 1863 im preußischen Landtage geschah, beteuert, mehr Steuern,
mis jetzt aufgebracht werden, seien nicht aufzubringen, so sagt das nicht der
allsgezeichnete Rechner und Finanzkenner, nicht der weniger bedeutende National¬
ökonom, sondern nur — der Redner. So oft die Reichstags- und Landtags¬
mehrheit gegen ihn entschied, ist es mit dem Aufbringen der Millionen noch
jedesmal ohne besondre Beschwerden gegangen.

Wir verargen es den Genannten nicht, wenn sie das unter Zustimmung
der Parlamentsmehrheit weit vorgeschrittne Schuldenmachen des Reichs mi߬
billigen, da Freiherr von Maltzahn beim Einbringen des Budgets für 1893/94
ganz wohlgemut erklärte, es werde „auch in diesem Jahre auf eine — solide
Gestaltung unsrer Finanzen verzichtet werden müssen." Sie wollen nichts
andres als wir, wenn sie auf Schonung der Weuigerbemittelteu dringen. Aber
wir haben auch wohlhabende, reiche, sehr reiche, höchst- und allerhöchstreiche
Leute uuter uns.

Schonung der Steuerkraft! Wo Kraft vorhanden ist, da soll sie gebraucht
werden. Ein unglücklicher Krieg kostet mehr, als der größte Militnraufwcmd
in Friedenszeiten. Wer nicht wagt, der gewinnt nicht. Das beständige Un¬
möglich! Unerschwinglich! das vom Freisinn gegen unser Heer, unsre Flotte,
unsre Kolonien ausgespielt wird, läßt uns kalt. Einige Sätze des Herrn Rickert
vom 24. Juni 1890 verdienen hier in Erinnerung gebracht zu werden; ihr
erheiternder Eindruck wird nicht ausbleiben. „Wir sind für die Zukunftspläne
des Kriegsministers (v. Verth) — hieß es — nicht reich genug. Wir haben
nicht die Steuerkraft dafür, und ich hoffe Mlle es nur wenigstens geheißen
»ich bedauere«s den Beweis noch liefern zu können. Ich bin Optimist vom
Kopf bis zur Zehe, aber bei dem Studium unsrer Finanzverhältnisse, bei der
Kenntnis von der Lage unsrer arbeitenden Klassen und kleinen Leute ^die wohl¬
habenden und die reichen gehören doch auch her!j muß ich sagen: Bis hierher
und nicht weiter! Das fühlt man in den weitesten Volkskreisen, bis in die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216070"/>
          <fw type="header" place="top"> Vie Aussichten der Reichsstenern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1134" prev="#ID_1133"> lich als Wirtschaftsgebiet, als nationaler Haushalt, als die große Genossen¬<lb/>
schaft, der Preußen wie eine der Hansestädte, Schwarzburg wie Baiern an¬<lb/>
gehört, und die unsre Staatsoberhäupter wie die letzten Hüttenbewvhner<lb/>
umfaßt. Politisch erscheint uns die Nation vorläufig wohlgegliedert, aber<lb/>
sozial sind ihre Gruppen, wie die kaiserliche Botschaft und die Thronreden zu¬<lb/>
geben und einschärfen, verbesserungsbedürftig. Im ganzen kommen die Genossen<lb/>
unsrer Volksgenossenschaft gut, leidlich gut und minder gut mit einander aus;<lb/>
hoffentlich werden sie noch einmal einträchtig und dann immer erfolgreicher<lb/>
zusammenwirken. Sollten wir nicht noch dahin kommen, im Reichsschatze<lb/>
den stärksten Kumulator und Motor für des Reiches Wohlfahrt zu sehen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1135"> Dr. Theodor Barth braucht nicht zu versichern, daß die Steuerkraft des<lb/>
Reichs (will sagen der Neichsangehörigen) einmal zu Ende gehe; denn das be¬<lb/>
streitet niemand. Wenn Herr Eugen Richter, wie es Vonseiten seiner Partei¬<lb/>
genossen schon 1863 im preußischen Landtage geschah, beteuert, mehr Steuern,<lb/>
mis jetzt aufgebracht werden, seien nicht aufzubringen, so sagt das nicht der<lb/>
allsgezeichnete Rechner und Finanzkenner, nicht der weniger bedeutende National¬<lb/>
ökonom, sondern nur &#x2014; der Redner. So oft die Reichstags- und Landtags¬<lb/>
mehrheit gegen ihn entschied, ist es mit dem Aufbringen der Millionen noch<lb/>
jedesmal ohne besondre Beschwerden gegangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1136"> Wir verargen es den Genannten nicht, wenn sie das unter Zustimmung<lb/>
der Parlamentsmehrheit weit vorgeschrittne Schuldenmachen des Reichs mi߬<lb/>
billigen, da Freiherr von Maltzahn beim Einbringen des Budgets für 1893/94<lb/>
ganz wohlgemut erklärte, es werde &#x201E;auch in diesem Jahre auf eine &#x2014; solide<lb/>
Gestaltung unsrer Finanzen verzichtet werden müssen." Sie wollen nichts<lb/>
andres als wir, wenn sie auf Schonung der Weuigerbemittelteu dringen. Aber<lb/>
wir haben auch wohlhabende, reiche, sehr reiche, höchst- und allerhöchstreiche<lb/>
Leute uuter uns.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1137" next="#ID_1138"> Schonung der Steuerkraft! Wo Kraft vorhanden ist, da soll sie gebraucht<lb/>
werden. Ein unglücklicher Krieg kostet mehr, als der größte Militnraufwcmd<lb/>
in Friedenszeiten. Wer nicht wagt, der gewinnt nicht. Das beständige Un¬<lb/>
möglich! Unerschwinglich! das vom Freisinn gegen unser Heer, unsre Flotte,<lb/>
unsre Kolonien ausgespielt wird, läßt uns kalt. Einige Sätze des Herrn Rickert<lb/>
vom 24. Juni 1890 verdienen hier in Erinnerung gebracht zu werden; ihr<lb/>
erheiternder Eindruck wird nicht ausbleiben. &#x201E;Wir sind für die Zukunftspläne<lb/>
des Kriegsministers (v. Verth) &#x2014; hieß es &#x2014; nicht reich genug. Wir haben<lb/>
nicht die Steuerkraft dafür, und ich hoffe Mlle es nur wenigstens geheißen<lb/>
»ich bedauere«s den Beweis noch liefern zu können. Ich bin Optimist vom<lb/>
Kopf bis zur Zehe, aber bei dem Studium unsrer Finanzverhältnisse, bei der<lb/>
Kenntnis von der Lage unsrer arbeitenden Klassen und kleinen Leute ^die wohl¬<lb/>
habenden und die reichen gehören doch auch her!j muß ich sagen: Bis hierher<lb/>
und nicht weiter! Das fühlt man in den weitesten Volkskreisen, bis in die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] Vie Aussichten der Reichsstenern lich als Wirtschaftsgebiet, als nationaler Haushalt, als die große Genossen¬ schaft, der Preußen wie eine der Hansestädte, Schwarzburg wie Baiern an¬ gehört, und die unsre Staatsoberhäupter wie die letzten Hüttenbewvhner umfaßt. Politisch erscheint uns die Nation vorläufig wohlgegliedert, aber sozial sind ihre Gruppen, wie die kaiserliche Botschaft und die Thronreden zu¬ geben und einschärfen, verbesserungsbedürftig. Im ganzen kommen die Genossen unsrer Volksgenossenschaft gut, leidlich gut und minder gut mit einander aus; hoffentlich werden sie noch einmal einträchtig und dann immer erfolgreicher zusammenwirken. Sollten wir nicht noch dahin kommen, im Reichsschatze den stärksten Kumulator und Motor für des Reiches Wohlfahrt zu sehen? Dr. Theodor Barth braucht nicht zu versichern, daß die Steuerkraft des Reichs (will sagen der Neichsangehörigen) einmal zu Ende gehe; denn das be¬ streitet niemand. Wenn Herr Eugen Richter, wie es Vonseiten seiner Partei¬ genossen schon 1863 im preußischen Landtage geschah, beteuert, mehr Steuern, mis jetzt aufgebracht werden, seien nicht aufzubringen, so sagt das nicht der allsgezeichnete Rechner und Finanzkenner, nicht der weniger bedeutende National¬ ökonom, sondern nur — der Redner. So oft die Reichstags- und Landtags¬ mehrheit gegen ihn entschied, ist es mit dem Aufbringen der Millionen noch jedesmal ohne besondre Beschwerden gegangen. Wir verargen es den Genannten nicht, wenn sie das unter Zustimmung der Parlamentsmehrheit weit vorgeschrittne Schuldenmachen des Reichs mi߬ billigen, da Freiherr von Maltzahn beim Einbringen des Budgets für 1893/94 ganz wohlgemut erklärte, es werde „auch in diesem Jahre auf eine — solide Gestaltung unsrer Finanzen verzichtet werden müssen." Sie wollen nichts andres als wir, wenn sie auf Schonung der Weuigerbemittelteu dringen. Aber wir haben auch wohlhabende, reiche, sehr reiche, höchst- und allerhöchstreiche Leute uuter uns. Schonung der Steuerkraft! Wo Kraft vorhanden ist, da soll sie gebraucht werden. Ein unglücklicher Krieg kostet mehr, als der größte Militnraufwcmd in Friedenszeiten. Wer nicht wagt, der gewinnt nicht. Das beständige Un¬ möglich! Unerschwinglich! das vom Freisinn gegen unser Heer, unsre Flotte, unsre Kolonien ausgespielt wird, läßt uns kalt. Einige Sätze des Herrn Rickert vom 24. Juni 1890 verdienen hier in Erinnerung gebracht zu werden; ihr erheiternder Eindruck wird nicht ausbleiben. „Wir sind für die Zukunftspläne des Kriegsministers (v. Verth) — hieß es — nicht reich genug. Wir haben nicht die Steuerkraft dafür, und ich hoffe Mlle es nur wenigstens geheißen »ich bedauere«s den Beweis noch liefern zu können. Ich bin Optimist vom Kopf bis zur Zehe, aber bei dem Studium unsrer Finanzverhältnisse, bei der Kenntnis von der Lage unsrer arbeitenden Klassen und kleinen Leute ^die wohl¬ habenden und die reichen gehören doch auch her!j muß ich sagen: Bis hierher und nicht weiter! Das fühlt man in den weitesten Volkskreisen, bis in die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/346>, abgerufen am 02.07.2024.