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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Suggestionen in der Politik

von Leute", die ihre Sachkenntnis aus ihrem Leibblatte schöpfen, begegnen wir
aber auch in andern wichtigen Angelegenheiten fort und fort; ja ronseaueuter-
weise möchte man den Sachkundigen -- ausgenommen, wo es sich um Börsen-
vder Tabaksteuer handelt -- das Recht der Äußerung ganz absprechen, denn --
sie steheu in dem Verdacht, bei der Entscheidung der Frage interessirt zu sein,
und Interessenvertretung und Interessenpolitik gehören zu der Übel größten.

Das hört man auch aus dem Munde von Personen, die bei einigem Nach¬
denken das Grundlose solcher Behauptung erkennen würden. Der Satz ist
ist ihnen eben "suggerirt" worden, wie so vieles, was in politischen Gesprächen
vorgebracht wird. Die Zeitungen, die Parlaments- und Volksversammlnngs-
redner sagen Lesern und Hörern so oft auf den Kopf zu: "Das ist eure Ansicht,
wie die Ansicht aller liberalen, aufgeklärten Menschen," daß Leser und Hörer
endlich in der That der Ansicht zu sein glauben, oder sich doch für verpflichtet
halten, das Gegenteil nicht zu bekennen.

Bleiben wir zunächst bei der Suggestion der Verwerflichkeit der Interessen-
vertretung. Mein Ofen raucht, und ich bin in der Sache soweit Fachmann,
daß ich den Rauch sehr deutlich spüre, seiue Schädlichkeit erkenne, und der
erste Gedanke ist, einen Geschäftsmann zu rufen, der sich auf Ofenbau versteht.
Das wäre jedoch sehr verfehlt, denn der Mann würde ein Interesse daran
haben, die Ausbefferungsarbeit zu übernehmen. Deshalb rufe ich einen Mann,
der in Vereinen Vortrüge über den besten Staat hält und daher auch über
den besten Ofen muß Auskunft geben können. Zum Glück für seiue Thätig¬
keit in überfüllten, dunstigen Räumen ist er mit einem unausrottbaren Stock¬
schnupfen behaftet und giebt mir die beruhigende Versicherung, meine Klage
sei unbegründet, es sei kein Rauch zu spüren. Leider will sich meine Nase
nicht überzeugen lassen, und ich nehme meine Zuflucht zu einem Professor der
Medizin, der mich belehrt, daß der menschliche Körper auch eine Art Ofen,
das Atmen ein steter Verbrennungsprozeß, das Einatmen von Kohlenoxyd
aber durchaus nicht empfehlenswert sei. Nun kommt ein Advokat an die Reihe,
und der weiß natürlich Rat: "Der Ofen muß abgetragen werden!" Und als
das geschehen ist, die Kacheln zum Teil zerschlagen auf dem Boden herum¬
liegen, entfernt er sich selbstzufrieden mit den Worten: "Sehen Sie, jetzt raucht
er nicht mehr." Unterdessen hat meine Magd eigenmächtig einen Töpfer ge¬
holt, der meint, der Ofen sei mir schlecht gefegt gewesen, der Nuß stecke
ja noch im Rohre.

Welche Übertreibung, welch ein schlechtes Gleichnis! Welcher Thor würde
so handeln? - Wer? Nun die Wähler, die sich einbilden, der Wahlakt habe
eine gewisse Verwandtschaft mit der katholischen Priesterweihe, insofern die
-- gleichviel durch welche Mittel erreichte -- Stimmenmehrheit bezeuge, daß
der Gewählte alles Profane abgestreift habe und von Gott selbst (Volkes-
ftimme, Gottesstimme!) erleuchtet sei. Deal jeder Mensch, treibe er, was er


Grenzboten IV 1303 >tÄ
Suggestionen in der Politik

von Leute«, die ihre Sachkenntnis aus ihrem Leibblatte schöpfen, begegnen wir
aber auch in andern wichtigen Angelegenheiten fort und fort; ja ronseaueuter-
weise möchte man den Sachkundigen — ausgenommen, wo es sich um Börsen-
vder Tabaksteuer handelt — das Recht der Äußerung ganz absprechen, denn —
sie steheu in dem Verdacht, bei der Entscheidung der Frage interessirt zu sein,
und Interessenvertretung und Interessenpolitik gehören zu der Übel größten.

Das hört man auch aus dem Munde von Personen, die bei einigem Nach¬
denken das Grundlose solcher Behauptung erkennen würden. Der Satz ist
ist ihnen eben „suggerirt" worden, wie so vieles, was in politischen Gesprächen
vorgebracht wird. Die Zeitungen, die Parlaments- und Volksversammlnngs-
redner sagen Lesern und Hörern so oft auf den Kopf zu: „Das ist eure Ansicht,
wie die Ansicht aller liberalen, aufgeklärten Menschen," daß Leser und Hörer
endlich in der That der Ansicht zu sein glauben, oder sich doch für verpflichtet
halten, das Gegenteil nicht zu bekennen.

Bleiben wir zunächst bei der Suggestion der Verwerflichkeit der Interessen-
vertretung. Mein Ofen raucht, und ich bin in der Sache soweit Fachmann,
daß ich den Rauch sehr deutlich spüre, seiue Schädlichkeit erkenne, und der
erste Gedanke ist, einen Geschäftsmann zu rufen, der sich auf Ofenbau versteht.
Das wäre jedoch sehr verfehlt, denn der Mann würde ein Interesse daran
haben, die Ausbefferungsarbeit zu übernehmen. Deshalb rufe ich einen Mann,
der in Vereinen Vortrüge über den besten Staat hält und daher auch über
den besten Ofen muß Auskunft geben können. Zum Glück für seiue Thätig¬
keit in überfüllten, dunstigen Räumen ist er mit einem unausrottbaren Stock¬
schnupfen behaftet und giebt mir die beruhigende Versicherung, meine Klage
sei unbegründet, es sei kein Rauch zu spüren. Leider will sich meine Nase
nicht überzeugen lassen, und ich nehme meine Zuflucht zu einem Professor der
Medizin, der mich belehrt, daß der menschliche Körper auch eine Art Ofen,
das Atmen ein steter Verbrennungsprozeß, das Einatmen von Kohlenoxyd
aber durchaus nicht empfehlenswert sei. Nun kommt ein Advokat an die Reihe,
und der weiß natürlich Rat: „Der Ofen muß abgetragen werden!" Und als
das geschehen ist, die Kacheln zum Teil zerschlagen auf dem Boden herum¬
liegen, entfernt er sich selbstzufrieden mit den Worten: „Sehen Sie, jetzt raucht
er nicht mehr." Unterdessen hat meine Magd eigenmächtig einen Töpfer ge¬
holt, der meint, der Ofen sei mir schlecht gefegt gewesen, der Nuß stecke
ja noch im Rohre.

Welche Übertreibung, welch ein schlechtes Gleichnis! Welcher Thor würde
so handeln? - Wer? Nun die Wähler, die sich einbilden, der Wahlakt habe
eine gewisse Verwandtschaft mit der katholischen Priesterweihe, insofern die
— gleichviel durch welche Mittel erreichte — Stimmenmehrheit bezeuge, daß
der Gewählte alles Profane abgestreift habe und von Gott selbst (Volkes-
ftimme, Gottesstimme!) erleuchtet sei. Deal jeder Mensch, treibe er, was er


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[0337] Suggestionen in der Politik von Leute«, die ihre Sachkenntnis aus ihrem Leibblatte schöpfen, begegnen wir aber auch in andern wichtigen Angelegenheiten fort und fort; ja ronseaueuter- weise möchte man den Sachkundigen — ausgenommen, wo es sich um Börsen- vder Tabaksteuer handelt — das Recht der Äußerung ganz absprechen, denn — sie steheu in dem Verdacht, bei der Entscheidung der Frage interessirt zu sein, und Interessenvertretung und Interessenpolitik gehören zu der Übel größten. Das hört man auch aus dem Munde von Personen, die bei einigem Nach¬ denken das Grundlose solcher Behauptung erkennen würden. Der Satz ist ist ihnen eben „suggerirt" worden, wie so vieles, was in politischen Gesprächen vorgebracht wird. Die Zeitungen, die Parlaments- und Volksversammlnngs- redner sagen Lesern und Hörern so oft auf den Kopf zu: „Das ist eure Ansicht, wie die Ansicht aller liberalen, aufgeklärten Menschen," daß Leser und Hörer endlich in der That der Ansicht zu sein glauben, oder sich doch für verpflichtet halten, das Gegenteil nicht zu bekennen. Bleiben wir zunächst bei der Suggestion der Verwerflichkeit der Interessen- vertretung. Mein Ofen raucht, und ich bin in der Sache soweit Fachmann, daß ich den Rauch sehr deutlich spüre, seiue Schädlichkeit erkenne, und der erste Gedanke ist, einen Geschäftsmann zu rufen, der sich auf Ofenbau versteht. Das wäre jedoch sehr verfehlt, denn der Mann würde ein Interesse daran haben, die Ausbefferungsarbeit zu übernehmen. Deshalb rufe ich einen Mann, der in Vereinen Vortrüge über den besten Staat hält und daher auch über den besten Ofen muß Auskunft geben können. Zum Glück für seiue Thätig¬ keit in überfüllten, dunstigen Räumen ist er mit einem unausrottbaren Stock¬ schnupfen behaftet und giebt mir die beruhigende Versicherung, meine Klage sei unbegründet, es sei kein Rauch zu spüren. Leider will sich meine Nase nicht überzeugen lassen, und ich nehme meine Zuflucht zu einem Professor der Medizin, der mich belehrt, daß der menschliche Körper auch eine Art Ofen, das Atmen ein steter Verbrennungsprozeß, das Einatmen von Kohlenoxyd aber durchaus nicht empfehlenswert sei. Nun kommt ein Advokat an die Reihe, und der weiß natürlich Rat: „Der Ofen muß abgetragen werden!" Und als das geschehen ist, die Kacheln zum Teil zerschlagen auf dem Boden herum¬ liegen, entfernt er sich selbstzufrieden mit den Worten: „Sehen Sie, jetzt raucht er nicht mehr." Unterdessen hat meine Magd eigenmächtig einen Töpfer ge¬ holt, der meint, der Ofen sei mir schlecht gefegt gewesen, der Nuß stecke ja noch im Rohre. Welche Übertreibung, welch ein schlechtes Gleichnis! Welcher Thor würde so handeln? - Wer? Nun die Wähler, die sich einbilden, der Wahlakt habe eine gewisse Verwandtschaft mit der katholischen Priesterweihe, insofern die — gleichviel durch welche Mittel erreichte — Stimmenmehrheit bezeuge, daß der Gewählte alles Profane abgestreift habe und von Gott selbst (Volkes- ftimme, Gottesstimme!) erleuchtet sei. Deal jeder Mensch, treibe er, was er Grenzboten IV 1303 >tÄ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/337>, abgerufen am 04.07.2024.