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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Suggestionen in der Politik

Arzneien, die Dentschlmid nach fremdem Rate gegen sein allgemeines Unbe¬
hagen gewissenhaft eingenommen hat, teils wegen ihrer Znsammensetzung, teils
wegen der Größe der Dosen nicht zuträglich gewesen sind, sodaß es sich übler
befindet als früher. Das muß aber ertragen werden. Mit andern Worten:
von den Rechten und Freiheiten, die wir uns nach fremden Mustern beigelegt
haben, bekommen uns einige recht schlecht, aber etwas von ihnen aufzugeben
oder doch umzumodeln wird für ganz unmöglich erklärt. Allerdings ändern
wir fort und fort an unsern Gesetzen und Einrichtungen, und das ist erlaubt,
insofern es in der Richtung nach links geschieht, die Wendung "halbrechts"
kann niemals gestattet werden. Tragen wir das Grimmen in uns mit Würde,
vielleicht hört es von selbst ans, und wenn nicht -- nun dann ist wenigstens
die Ehre gerettet, der gute Name in den freisinnigen Zeitungen und bei ge¬
wissen guten Freunden und getreue" Nachbarn, die uns von Herzen sehr viel
"Freiheit" und sehr wenig Macht gönnen.

Wohl jedermann kennt solche wunderlichen Leute in Menge. Ob die
neuesten Wahlen dazu beitragen werden, den Aberglauben zu erschüttern? Sind
sie selbst schon ein Zeichen, daß man anfängt, allgemein zur Besinnung zu
kommen? Wir wagen es noch nicht zu hoffen. Angenommen, daß hie und
da Wähler die Phrasen des Freisinns satt bekommen haben, so wäre das, da
es so spät eintritt, ein Erfolg, der für den Augenblick sehr wenig bedeutet
und für die Zukunft keine Bürgschaft leistet. Überdies erschwert der Umstand,
daß für die diesmaligen Wahlen eine so bestimmte Wahlparole wie: "Ver¬
mehrung der Wehrkraft oder nicht?" ausgegeben war, allgemeinere Schlu߬
folgerungen.

Die Möglichkeit einer reinigenden Wirkung des diesmaligen Kampfes wollen
wir dessenungeachtet nicht bestreiten. Denn gerade die Behandlung von Mi¬
litärfragen in parlamentarischen Versammlungen ist vor allem dazu angethan,
die Augen über den Wert des jetzigen Parlamentarismus zu öffnen. An und
für sich bieten solche Verhandlungen ein komisches Schauspiel. Aus der einen
Seite die Heeresverwaltung, auf der andern eine Mehrheit von Advokaten, Zei-
tnngsschreibern, Beamten, Pastoren, Lehrern u. s. w., die, wenn es hochtönend,
den einjährigen Dienst geleistet haben. Und diese begnügen sich nicht mit der
Erklärung, die Bevölkerung könne die vermehrte Militärlast nicht trage", nein,
sie belehre" die Fachmämier über die beste Organisation, über die für die Aus¬
bildung der Soldaten erforderliche Zeit u. tgi. in. mit derselben Sachkenntnis
und Gründlichkeit, mit der ihre Vorgänger vor dreißig Jahren die Heeres¬
reform Wilhelms I. bekämpften. Das wird "ran doch eine Posse nennen dürfen,
so wenig der Unterschied in der Lage von damals zu verkennen ist, als ein
kriegserfahrener Herrscher und ein Moltke die Reform als unumgänglich be¬
gründeten. Diesem Widersinn, daß Männer, die von der in Verhandlung
stehenden Sache etwas gründliches wissen, überschriee" und überstimmt werden


Suggestionen in der Politik

Arzneien, die Dentschlmid nach fremdem Rate gegen sein allgemeines Unbe¬
hagen gewissenhaft eingenommen hat, teils wegen ihrer Znsammensetzung, teils
wegen der Größe der Dosen nicht zuträglich gewesen sind, sodaß es sich übler
befindet als früher. Das muß aber ertragen werden. Mit andern Worten:
von den Rechten und Freiheiten, die wir uns nach fremden Mustern beigelegt
haben, bekommen uns einige recht schlecht, aber etwas von ihnen aufzugeben
oder doch umzumodeln wird für ganz unmöglich erklärt. Allerdings ändern
wir fort und fort an unsern Gesetzen und Einrichtungen, und das ist erlaubt,
insofern es in der Richtung nach links geschieht, die Wendung „halbrechts"
kann niemals gestattet werden. Tragen wir das Grimmen in uns mit Würde,
vielleicht hört es von selbst ans, und wenn nicht — nun dann ist wenigstens
die Ehre gerettet, der gute Name in den freisinnigen Zeitungen und bei ge¬
wissen guten Freunden und getreue» Nachbarn, die uns von Herzen sehr viel
„Freiheit" und sehr wenig Macht gönnen.

Wohl jedermann kennt solche wunderlichen Leute in Menge. Ob die
neuesten Wahlen dazu beitragen werden, den Aberglauben zu erschüttern? Sind
sie selbst schon ein Zeichen, daß man anfängt, allgemein zur Besinnung zu
kommen? Wir wagen es noch nicht zu hoffen. Angenommen, daß hie und
da Wähler die Phrasen des Freisinns satt bekommen haben, so wäre das, da
es so spät eintritt, ein Erfolg, der für den Augenblick sehr wenig bedeutet
und für die Zukunft keine Bürgschaft leistet. Überdies erschwert der Umstand,
daß für die diesmaligen Wahlen eine so bestimmte Wahlparole wie: „Ver¬
mehrung der Wehrkraft oder nicht?" ausgegeben war, allgemeinere Schlu߬
folgerungen.

Die Möglichkeit einer reinigenden Wirkung des diesmaligen Kampfes wollen
wir dessenungeachtet nicht bestreiten. Denn gerade die Behandlung von Mi¬
litärfragen in parlamentarischen Versammlungen ist vor allem dazu angethan,
die Augen über den Wert des jetzigen Parlamentarismus zu öffnen. An und
für sich bieten solche Verhandlungen ein komisches Schauspiel. Aus der einen
Seite die Heeresverwaltung, auf der andern eine Mehrheit von Advokaten, Zei-
tnngsschreibern, Beamten, Pastoren, Lehrern u. s. w., die, wenn es hochtönend,
den einjährigen Dienst geleistet haben. Und diese begnügen sich nicht mit der
Erklärung, die Bevölkerung könne die vermehrte Militärlast nicht trage», nein,
sie belehre» die Fachmämier über die beste Organisation, über die für die Aus¬
bildung der Soldaten erforderliche Zeit u. tgi. in. mit derselben Sachkenntnis
und Gründlichkeit, mit der ihre Vorgänger vor dreißig Jahren die Heeres¬
reform Wilhelms I. bekämpften. Das wird »ran doch eine Posse nennen dürfen,
so wenig der Unterschied in der Lage von damals zu verkennen ist, als ein
kriegserfahrener Herrscher und ein Moltke die Reform als unumgänglich be¬
gründeten. Diesem Widersinn, daß Männer, die von der in Verhandlung
stehenden Sache etwas gründliches wissen, überschriee» und überstimmt werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/336>, abgerufen am 04.07.2024.