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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Unser Zeitungselend

wachsen"!, darunter doch auch ein paar Hunderte von gebildeten Leuten zu liefern
hat, müßten ganz besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Aber es ist
wahrhaft rtthreud, mit wie wenig unsre Zeitungsverleger zufrieden sind. Ans Be¬
herrschung und anständige Behandlung der deutschen Sprache wird vollends kein
Anspruch mehr erhoben. Es ist ja auch nicht nötig, denn der Text des Blattes
wird aus Schnitzeln und Spänen, Abfall von andrer Herren Tische, zusammen¬
geklebt. Und was der Herr Redakteur unbedingt selbst schreiben muß, Berichte
über Theater, Konzerte und örtliche Fragen, das ist meist so hohles Zeug,
daß wenig darauf ankommt, ob es in gutem oder schlechtem Deutsch geschrieben
ist. Größere Provinzblätter halten zwar darauf, daß wenigstens ihre Re¬
dakteure eine tüchtige Bildung genossen haben, notabene, wenn die Besitzer der
Zeitung selbst so viel Bildung haben, das beurteilen zu können! Aber sie
stellen nicht genug Leute an, sodaß die einzelnen überbürdet sind und gar nichts
anders thun können, als den Stoff mechanisch aneinanderreihen. Der Verfasser
dieses Aufsatzes hat einmal an einem größern Provinzialblatte gearbeitet, das
18 bis 20000 Abonnenten zählte und seinem Besitzer einen jährlichen Rein¬
gewinn von 50 bis 60000 Mark abwarf. Wir waren drei Redakteure und
bezogen zusammen -- Mark Gehalt im Jahre; der Chef war im siebenten
oder achten Jahre an dem Blatte thätig. Wir hatten alle drei Lust und Liebe
zur Sache, kamen sehr gut mit einander aus und thaten infolgedessen unsre
Schuldigkeit, so gut wir konnten. Vor allem hielten wir auch auf anständiges
Deutsch. Aber man mußte ja froh sein, wenn man aus den Korrespondenzen,
die täglich aus ein paar Dutzend Landstädtchen einliefen, die orthographischen
Fehler ausgemerzt hatte! Mehr daran zu bessern, erlaubte die Zeit nicht.
Denn da waren auch noch einige dreißig Zeitungen durchzulesen und Lokal¬
berichte zu schreiben. Korrektnrenlesen folgte später. Einmal hatten wir von
halb neun Uhr morgens bis dreiviertel drei nachmittags gearbeitet, aßen dann
zu Mittag und gingen bis halb fünf Uhr spazieren. Als wir in die Redaktion
zurückkamen, rief uns der Verleger zu sich, klopfte uns freundlich auf die
Schulter und sagte: "Meine Herren, solange Sie in meinem Geschäft arbeiten,
sehen Sie doch zu, daß Sie um drei Uhr wieder auf Ihrem Posten sind, nicht
wahr?" Ein andrer Zeitungsverlag, der uns bekannt ist, druckt täglich zwei
Ausgaben einer Prvviuzialzeitung von zusammen acht Seiten und ein An¬
zeigenblatt, dessen Umfang zwischen vier und zwanzig Seiten schwankt. Die
ganze Nedaktionsarbeit -- für die Zeitung allein fünf bis sechs Seiten Text
täglich -- besorgte bis vor kurzem der Chefredakteur mit einem Lokalbericht¬
erstatter von mäßigem Schreibertalent! Daß da von "einwandfreier" Ver¬
arbeitung, geschweige von eigner Arbeit nicht die Rede sein kann, braucht wohl
nicht gesagt zu werden.

Wenn unsre Zeitungen in Form und Inhalt besser werden sollen, so
müssen sich die Zeitungsverleger entschließen, durchweg mehr Redakteure und


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wachsen«!, darunter doch auch ein paar Hunderte von gebildeten Leuten zu liefern
hat, müßten ganz besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Aber es ist
wahrhaft rtthreud, mit wie wenig unsre Zeitungsverleger zufrieden sind. Ans Be¬
herrschung und anständige Behandlung der deutschen Sprache wird vollends kein
Anspruch mehr erhoben. Es ist ja auch nicht nötig, denn der Text des Blattes
wird aus Schnitzeln und Spänen, Abfall von andrer Herren Tische, zusammen¬
geklebt. Und was der Herr Redakteur unbedingt selbst schreiben muß, Berichte
über Theater, Konzerte und örtliche Fragen, das ist meist so hohles Zeug,
daß wenig darauf ankommt, ob es in gutem oder schlechtem Deutsch geschrieben
ist. Größere Provinzblätter halten zwar darauf, daß wenigstens ihre Re¬
dakteure eine tüchtige Bildung genossen haben, notabene, wenn die Besitzer der
Zeitung selbst so viel Bildung haben, das beurteilen zu können! Aber sie
stellen nicht genug Leute an, sodaß die einzelnen überbürdet sind und gar nichts
anders thun können, als den Stoff mechanisch aneinanderreihen. Der Verfasser
dieses Aufsatzes hat einmal an einem größern Provinzialblatte gearbeitet, das
18 bis 20000 Abonnenten zählte und seinem Besitzer einen jährlichen Rein¬
gewinn von 50 bis 60000 Mark abwarf. Wir waren drei Redakteure und
bezogen zusammen — Mark Gehalt im Jahre; der Chef war im siebenten
oder achten Jahre an dem Blatte thätig. Wir hatten alle drei Lust und Liebe
zur Sache, kamen sehr gut mit einander aus und thaten infolgedessen unsre
Schuldigkeit, so gut wir konnten. Vor allem hielten wir auch auf anständiges
Deutsch. Aber man mußte ja froh sein, wenn man aus den Korrespondenzen,
die täglich aus ein paar Dutzend Landstädtchen einliefen, die orthographischen
Fehler ausgemerzt hatte! Mehr daran zu bessern, erlaubte die Zeit nicht.
Denn da waren auch noch einige dreißig Zeitungen durchzulesen und Lokal¬
berichte zu schreiben. Korrektnrenlesen folgte später. Einmal hatten wir von
halb neun Uhr morgens bis dreiviertel drei nachmittags gearbeitet, aßen dann
zu Mittag und gingen bis halb fünf Uhr spazieren. Als wir in die Redaktion
zurückkamen, rief uns der Verleger zu sich, klopfte uns freundlich auf die
Schulter und sagte: „Meine Herren, solange Sie in meinem Geschäft arbeiten,
sehen Sie doch zu, daß Sie um drei Uhr wieder auf Ihrem Posten sind, nicht
wahr?" Ein andrer Zeitungsverlag, der uns bekannt ist, druckt täglich zwei
Ausgaben einer Prvviuzialzeitung von zusammen acht Seiten und ein An¬
zeigenblatt, dessen Umfang zwischen vier und zwanzig Seiten schwankt. Die
ganze Nedaktionsarbeit — für die Zeitung allein fünf bis sechs Seiten Text
täglich — besorgte bis vor kurzem der Chefredakteur mit einem Lokalbericht¬
erstatter von mäßigem Schreibertalent! Daß da von „einwandfreier" Ver¬
arbeitung, geschweige von eigner Arbeit nicht die Rede sein kann, braucht wohl
nicht gesagt zu werden.

Wenn unsre Zeitungen in Form und Inhalt besser werden sollen, so
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[0319] Unser Zeitungselend wachsen«!, darunter doch auch ein paar Hunderte von gebildeten Leuten zu liefern hat, müßten ganz besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Aber es ist wahrhaft rtthreud, mit wie wenig unsre Zeitungsverleger zufrieden sind. Ans Be¬ herrschung und anständige Behandlung der deutschen Sprache wird vollends kein Anspruch mehr erhoben. Es ist ja auch nicht nötig, denn der Text des Blattes wird aus Schnitzeln und Spänen, Abfall von andrer Herren Tische, zusammen¬ geklebt. Und was der Herr Redakteur unbedingt selbst schreiben muß, Berichte über Theater, Konzerte und örtliche Fragen, das ist meist so hohles Zeug, daß wenig darauf ankommt, ob es in gutem oder schlechtem Deutsch geschrieben ist. Größere Provinzblätter halten zwar darauf, daß wenigstens ihre Re¬ dakteure eine tüchtige Bildung genossen haben, notabene, wenn die Besitzer der Zeitung selbst so viel Bildung haben, das beurteilen zu können! Aber sie stellen nicht genug Leute an, sodaß die einzelnen überbürdet sind und gar nichts anders thun können, als den Stoff mechanisch aneinanderreihen. Der Verfasser dieses Aufsatzes hat einmal an einem größern Provinzialblatte gearbeitet, das 18 bis 20000 Abonnenten zählte und seinem Besitzer einen jährlichen Rein¬ gewinn von 50 bis 60000 Mark abwarf. Wir waren drei Redakteure und bezogen zusammen — Mark Gehalt im Jahre; der Chef war im siebenten oder achten Jahre an dem Blatte thätig. Wir hatten alle drei Lust und Liebe zur Sache, kamen sehr gut mit einander aus und thaten infolgedessen unsre Schuldigkeit, so gut wir konnten. Vor allem hielten wir auch auf anständiges Deutsch. Aber man mußte ja froh sein, wenn man aus den Korrespondenzen, die täglich aus ein paar Dutzend Landstädtchen einliefen, die orthographischen Fehler ausgemerzt hatte! Mehr daran zu bessern, erlaubte die Zeit nicht. Denn da waren auch noch einige dreißig Zeitungen durchzulesen und Lokal¬ berichte zu schreiben. Korrektnrenlesen folgte später. Einmal hatten wir von halb neun Uhr morgens bis dreiviertel drei nachmittags gearbeitet, aßen dann zu Mittag und gingen bis halb fünf Uhr spazieren. Als wir in die Redaktion zurückkamen, rief uns der Verleger zu sich, klopfte uns freundlich auf die Schulter und sagte: „Meine Herren, solange Sie in meinem Geschäft arbeiten, sehen Sie doch zu, daß Sie um drei Uhr wieder auf Ihrem Posten sind, nicht wahr?" Ein andrer Zeitungsverlag, der uns bekannt ist, druckt täglich zwei Ausgaben einer Prvviuzialzeitung von zusammen acht Seiten und ein An¬ zeigenblatt, dessen Umfang zwischen vier und zwanzig Seiten schwankt. Die ganze Nedaktionsarbeit — für die Zeitung allein fünf bis sechs Seiten Text täglich — besorgte bis vor kurzem der Chefredakteur mit einem Lokalbericht¬ erstatter von mäßigem Schreibertalent! Daß da von „einwandfreier" Ver¬ arbeitung, geschweige von eigner Arbeit nicht die Rede sein kann, braucht wohl nicht gesagt zu werden. Wenn unsre Zeitungen in Form und Inhalt besser werden sollen, so müssen sich die Zeitungsverleger entschließen, durchweg mehr Redakteure und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/319>, abgerufen am 22.07.2024.