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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Unser Zeitungselend

zu nehmen braucht, so pflegt es in seinem redaktionellen Teil den gemeinen
Klatsch und den pikanten Skandal. Das Unheil, das diese Blätter mit ihren
"sensationellen" Nachrichten anstiften, bleibt lange im stillen, denn Verrohung
des Geschmacks ist ein Übel, das schleichend weiter frißt, bis dann plötzlich
ein Vorfall wie der zwischen dem General Kirchhof und dem "verantwortlichen
Leiter" des Berliner Tageblatts ein grelles Streiflicht auf den trüben Sumpf
und seine Giftpflanzen wirft. Dann wird alsbald "offiziös geschrieben," daß
die Negierung einen Gesetzentwurf ausarbeiten lasse, der der ganzen Presse
ohne Unterschied einen Klotz ans Bein binden soll. Wird der Entwurf Gesetz,
so macht er natürlich in erster Linie der anständigen Presse das Leben sauer,
denn die Biedermänner, die ihren idealen Lebenszweck darin erblicken, General¬
anzeiger zu gründen -- es giebt deren wirklich, die nichts andres thun --,
schlüpfen auch durch die engsten Maschen des Strafgesetzbuches durch. Will
mau ihnen das Handwerk gründlich legen, so muß man sie auf ihrem eigensten
Gebiete fassen, auf dein des Geschäfts. Man erhebe von jeder neuen Zeitung,
die nicht ganz unzweideutig nachweisen kaun, daß ein Bedürfnis nach einer
neuen Gründung vorliegt, eine so hohe Abgabe, daß das bloße Geschäft da¬
durch sehr erschwert wird. Und man erhebe diese Abgabe, die natürlich in
einem bestimmten Verhältnis zum Preise des Blattes und zur Höhe der Auf¬
lage stehen muß, bis es sich trotz dieses Hindernisses eine gewisse Zahl von
Lesern erworben hat, womit das Bedürfnis nachgewiesen wäre, oder bis es
selig entschlafen ist. Dieser Vorschlag hat nicht den Zweck, Herrn Miquel "eine
neue Steuerauelle zu erschließen," wie es immer so sinnreich heißt, sondern
dem Fortwuchern eines Parasiten dadurch Einhalt zu thun, daß man ihm die
Lebensbedingungen schwerer macht. Kann man dies Verfahren auch auf die
bestehenden Blätter ausdehnen in einer Form, die die anständige Presse schont,
um so besser. Sollten darüber ein paar hundert Zeitungsgeschüfte in Deutsch¬
land zu Grunde gehen, so wäre das ja ein sehr erfreulicher Erfolg. Zeitungen
giebts dreimal zu viel, und wer eine Krankheit los werden will, darf auch
die Krisis nicht scheuen.

Das beste freilich muß in der Presse wie überall im Leben die Selbst¬
hilfe thun, für die der Staat nur endlich freie Bahn schaffen möge. Vor
allem sollten es die Verleger aufgeben, mit so wenigen und so schlechten Kräften
zu arbeiten. Auch Zeitungen, die ihren Verlegern viele Tausende einbringen,
bezahlen oft so schundige Pfennighonorare, daß sie sich natürlich mit jämmerlichen
Gesellen begnügen müssen. Wenn das Publikum den Mitarbeiterkreis mancher
Zeitung i" einem Gruppenbilde photographirt sehen könnte! Es nähme nicht
eine Nummer mehr in die Hand. Die Kräfte, die die meisten unsrer Lokal¬
blätter leiten und machen, stehen in schreienden Mißverhältnis zu dem große"
Einfluß, den diese Blätter auszuüben imstande sind. Mau sollte meinen, an
die Fähigkeiten eines Menschen, der die geistige Nahrung für Tausende von Er-


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zu nehmen braucht, so pflegt es in seinem redaktionellen Teil den gemeinen
Klatsch und den pikanten Skandal. Das Unheil, das diese Blätter mit ihren
„sensationellen" Nachrichten anstiften, bleibt lange im stillen, denn Verrohung
des Geschmacks ist ein Übel, das schleichend weiter frißt, bis dann plötzlich
ein Vorfall wie der zwischen dem General Kirchhof und dem „verantwortlichen
Leiter" des Berliner Tageblatts ein grelles Streiflicht auf den trüben Sumpf
und seine Giftpflanzen wirft. Dann wird alsbald „offiziös geschrieben," daß
die Negierung einen Gesetzentwurf ausarbeiten lasse, der der ganzen Presse
ohne Unterschied einen Klotz ans Bein binden soll. Wird der Entwurf Gesetz,
so macht er natürlich in erster Linie der anständigen Presse das Leben sauer,
denn die Biedermänner, die ihren idealen Lebenszweck darin erblicken, General¬
anzeiger zu gründen — es giebt deren wirklich, die nichts andres thun —,
schlüpfen auch durch die engsten Maschen des Strafgesetzbuches durch. Will
mau ihnen das Handwerk gründlich legen, so muß man sie auf ihrem eigensten
Gebiete fassen, auf dein des Geschäfts. Man erhebe von jeder neuen Zeitung,
die nicht ganz unzweideutig nachweisen kaun, daß ein Bedürfnis nach einer
neuen Gründung vorliegt, eine so hohe Abgabe, daß das bloße Geschäft da¬
durch sehr erschwert wird. Und man erhebe diese Abgabe, die natürlich in
einem bestimmten Verhältnis zum Preise des Blattes und zur Höhe der Auf¬
lage stehen muß, bis es sich trotz dieses Hindernisses eine gewisse Zahl von
Lesern erworben hat, womit das Bedürfnis nachgewiesen wäre, oder bis es
selig entschlafen ist. Dieser Vorschlag hat nicht den Zweck, Herrn Miquel „eine
neue Steuerauelle zu erschließen," wie es immer so sinnreich heißt, sondern
dem Fortwuchern eines Parasiten dadurch Einhalt zu thun, daß man ihm die
Lebensbedingungen schwerer macht. Kann man dies Verfahren auch auf die
bestehenden Blätter ausdehnen in einer Form, die die anständige Presse schont,
um so besser. Sollten darüber ein paar hundert Zeitungsgeschüfte in Deutsch¬
land zu Grunde gehen, so wäre das ja ein sehr erfreulicher Erfolg. Zeitungen
giebts dreimal zu viel, und wer eine Krankheit los werden will, darf auch
die Krisis nicht scheuen.

Das beste freilich muß in der Presse wie überall im Leben die Selbst¬
hilfe thun, für die der Staat nur endlich freie Bahn schaffen möge. Vor
allem sollten es die Verleger aufgeben, mit so wenigen und so schlechten Kräften
zu arbeiten. Auch Zeitungen, die ihren Verlegern viele Tausende einbringen,
bezahlen oft so schundige Pfennighonorare, daß sie sich natürlich mit jämmerlichen
Gesellen begnügen müssen. Wenn das Publikum den Mitarbeiterkreis mancher
Zeitung i» einem Gruppenbilde photographirt sehen könnte! Es nähme nicht
eine Nummer mehr in die Hand. Die Kräfte, die die meisten unsrer Lokal¬
blätter leiten und machen, stehen in schreienden Mißverhältnis zu dem große»
Einfluß, den diese Blätter auszuüben imstande sind. Mau sollte meinen, an
die Fähigkeiten eines Menschen, der die geistige Nahrung für Tausende von Er-


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[0318] Unser Zeitungselend zu nehmen braucht, so pflegt es in seinem redaktionellen Teil den gemeinen Klatsch und den pikanten Skandal. Das Unheil, das diese Blätter mit ihren „sensationellen" Nachrichten anstiften, bleibt lange im stillen, denn Verrohung des Geschmacks ist ein Übel, das schleichend weiter frißt, bis dann plötzlich ein Vorfall wie der zwischen dem General Kirchhof und dem „verantwortlichen Leiter" des Berliner Tageblatts ein grelles Streiflicht auf den trüben Sumpf und seine Giftpflanzen wirft. Dann wird alsbald „offiziös geschrieben," daß die Negierung einen Gesetzentwurf ausarbeiten lasse, der der ganzen Presse ohne Unterschied einen Klotz ans Bein binden soll. Wird der Entwurf Gesetz, so macht er natürlich in erster Linie der anständigen Presse das Leben sauer, denn die Biedermänner, die ihren idealen Lebenszweck darin erblicken, General¬ anzeiger zu gründen — es giebt deren wirklich, die nichts andres thun —, schlüpfen auch durch die engsten Maschen des Strafgesetzbuches durch. Will mau ihnen das Handwerk gründlich legen, so muß man sie auf ihrem eigensten Gebiete fassen, auf dein des Geschäfts. Man erhebe von jeder neuen Zeitung, die nicht ganz unzweideutig nachweisen kaun, daß ein Bedürfnis nach einer neuen Gründung vorliegt, eine so hohe Abgabe, daß das bloße Geschäft da¬ durch sehr erschwert wird. Und man erhebe diese Abgabe, die natürlich in einem bestimmten Verhältnis zum Preise des Blattes und zur Höhe der Auf¬ lage stehen muß, bis es sich trotz dieses Hindernisses eine gewisse Zahl von Lesern erworben hat, womit das Bedürfnis nachgewiesen wäre, oder bis es selig entschlafen ist. Dieser Vorschlag hat nicht den Zweck, Herrn Miquel „eine neue Steuerauelle zu erschließen," wie es immer so sinnreich heißt, sondern dem Fortwuchern eines Parasiten dadurch Einhalt zu thun, daß man ihm die Lebensbedingungen schwerer macht. Kann man dies Verfahren auch auf die bestehenden Blätter ausdehnen in einer Form, die die anständige Presse schont, um so besser. Sollten darüber ein paar hundert Zeitungsgeschüfte in Deutsch¬ land zu Grunde gehen, so wäre das ja ein sehr erfreulicher Erfolg. Zeitungen giebts dreimal zu viel, und wer eine Krankheit los werden will, darf auch die Krisis nicht scheuen. Das beste freilich muß in der Presse wie überall im Leben die Selbst¬ hilfe thun, für die der Staat nur endlich freie Bahn schaffen möge. Vor allem sollten es die Verleger aufgeben, mit so wenigen und so schlechten Kräften zu arbeiten. Auch Zeitungen, die ihren Verlegern viele Tausende einbringen, bezahlen oft so schundige Pfennighonorare, daß sie sich natürlich mit jämmerlichen Gesellen begnügen müssen. Wenn das Publikum den Mitarbeiterkreis mancher Zeitung i» einem Gruppenbilde photographirt sehen könnte! Es nähme nicht eine Nummer mehr in die Hand. Die Kräfte, die die meisten unsrer Lokal¬ blätter leiten und machen, stehen in schreienden Mißverhältnis zu dem große» Einfluß, den diese Blätter auszuüben imstande sind. Mau sollte meinen, an die Fähigkeiten eines Menschen, der die geistige Nahrung für Tausende von Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/318>, abgerufen am 22.07.2024.