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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Unser Zeitungselend

nur Leute von ganz tüchtiger Vorbildung anzustellen. Deal der einlaufende
Stoff, ob er um von irgendwelchen x-beliebigen Leuten aus dem Publikum oder
von regelmäßigen Lokalberichterstattern und Korrespondenten oder aus den großen
Depeschenbüreans geliefert wird, bedarf der gründlichsten Umarbeitung, wenn er
genießbar werden soll. Andrerseits aber muß es jedem Redakteur möglich
gemacht werden, sich von der Arbeit des bloßen Sammelns und Znscunmen-
stellens freizumachen, wenn ihm eine Anregung zu eigner Gedankenarbeit kommt.
Die einzelnen Fächer der Redaktivnsarbeit müssen also doppelt besetzt sein, d. h-
zu einer mittelgroßen Provinzialzeitung gehören mindestens vier bis sechs tüchtige
Redakteure. Die meisten Blätter dieser Art arbeiten aber mit zweien, höchstens
mit dreien, von denen einer womöglich noch jedem Arm- oder Beinbruch, der
in der Stadt vorfällt, nachlaufen muß. Es ist nicht einzusehn, warum die
ausreichende Besetzung der leitenden Kräfte einer Zeitung nicht gesetzlich er¬
zwungen werden könnte. Straßen-, Bau-, Wege-, Wasser- und Eisenbahn¬
polizei sorgen dafür, daß das leibliche Wohl der Staatsbürger durch Nach¬
lässigkeit oder Gewinnsucht des Einzelnen nicht geschädigt werde. Das geistige
Wohl seiner Mitmenschen aber kann jeder ungebildete oder gewissenlose Zeitnngs-
besitzer untergraben, solange er will, darum kümmert sich der Staat nicht.

Natürlich müssen die Journalisten an der Hebung ihres Standes auch
selbst mitarbeiten. Es ist der Fluch dieses Standes, daß ihm alles Gesinde!
zuströmt, das anderwärts nicht unterkommen kann. Von diesen zweifelhaften
Elementen müssen sich die Redakteure selbst befreien. Und der Weg, auf dem
das zu geschehen hat, ist Wohl nicht so schwer zu finden. Durch einen allge¬
meinen Appell an das Ehrgefühl erreicht man nichts, durch Ehrengerichte
würde schon etwas zu machen sein. Wenn diese irgendwo notwendig sind, so
sind sie es für die Berufsklasse der Redakteure. Man darf doch Wohl eine
Reinigung des Standes erwarten, wenn jeder Lump, der sich in der Presse
breit macht, durch die öffentliche Erklärung eines Ehrenrath an den Pranger
gestellt wird. Nechtsauwülte und Ärzte haben ja eine ähnliche Einrichtung,
und wir glauben nicht, daß es unter ihnen nur annähernd so viele dunkle
Ehrenmänner giebt, wie unter den Vertretern der Presse. Es ist hier nicht
der Ort, die praktische Form dieser Einrichtung weiter zu verfolgen. Es sollte
uns aber freuen, wenn diese Vorschlage auch nur den Anstoß zu Verbesse¬
rungen gäben.




Unser Zeitungselend

nur Leute von ganz tüchtiger Vorbildung anzustellen. Deal der einlaufende
Stoff, ob er um von irgendwelchen x-beliebigen Leuten aus dem Publikum oder
von regelmäßigen Lokalberichterstattern und Korrespondenten oder aus den großen
Depeschenbüreans geliefert wird, bedarf der gründlichsten Umarbeitung, wenn er
genießbar werden soll. Andrerseits aber muß es jedem Redakteur möglich
gemacht werden, sich von der Arbeit des bloßen Sammelns und Znscunmen-
stellens freizumachen, wenn ihm eine Anregung zu eigner Gedankenarbeit kommt.
Die einzelnen Fächer der Redaktivnsarbeit müssen also doppelt besetzt sein, d. h-
zu einer mittelgroßen Provinzialzeitung gehören mindestens vier bis sechs tüchtige
Redakteure. Die meisten Blätter dieser Art arbeiten aber mit zweien, höchstens
mit dreien, von denen einer womöglich noch jedem Arm- oder Beinbruch, der
in der Stadt vorfällt, nachlaufen muß. Es ist nicht einzusehn, warum die
ausreichende Besetzung der leitenden Kräfte einer Zeitung nicht gesetzlich er¬
zwungen werden könnte. Straßen-, Bau-, Wege-, Wasser- und Eisenbahn¬
polizei sorgen dafür, daß das leibliche Wohl der Staatsbürger durch Nach¬
lässigkeit oder Gewinnsucht des Einzelnen nicht geschädigt werde. Das geistige
Wohl seiner Mitmenschen aber kann jeder ungebildete oder gewissenlose Zeitnngs-
besitzer untergraben, solange er will, darum kümmert sich der Staat nicht.

Natürlich müssen die Journalisten an der Hebung ihres Standes auch
selbst mitarbeiten. Es ist der Fluch dieses Standes, daß ihm alles Gesinde!
zuströmt, das anderwärts nicht unterkommen kann. Von diesen zweifelhaften
Elementen müssen sich die Redakteure selbst befreien. Und der Weg, auf dem
das zu geschehen hat, ist Wohl nicht so schwer zu finden. Durch einen allge¬
meinen Appell an das Ehrgefühl erreicht man nichts, durch Ehrengerichte
würde schon etwas zu machen sein. Wenn diese irgendwo notwendig sind, so
sind sie es für die Berufsklasse der Redakteure. Man darf doch Wohl eine
Reinigung des Standes erwarten, wenn jeder Lump, der sich in der Presse
breit macht, durch die öffentliche Erklärung eines Ehrenrath an den Pranger
gestellt wird. Nechtsauwülte und Ärzte haben ja eine ähnliche Einrichtung,
und wir glauben nicht, daß es unter ihnen nur annähernd so viele dunkle
Ehrenmänner giebt, wie unter den Vertretern der Presse. Es ist hier nicht
der Ort, die praktische Form dieser Einrichtung weiter zu verfolgen. Es sollte
uns aber freuen, wenn diese Vorschlage auch nur den Anstoß zu Verbesse¬
rungen gäben.




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[0320] Unser Zeitungselend nur Leute von ganz tüchtiger Vorbildung anzustellen. Deal der einlaufende Stoff, ob er um von irgendwelchen x-beliebigen Leuten aus dem Publikum oder von regelmäßigen Lokalberichterstattern und Korrespondenten oder aus den großen Depeschenbüreans geliefert wird, bedarf der gründlichsten Umarbeitung, wenn er genießbar werden soll. Andrerseits aber muß es jedem Redakteur möglich gemacht werden, sich von der Arbeit des bloßen Sammelns und Znscunmen- stellens freizumachen, wenn ihm eine Anregung zu eigner Gedankenarbeit kommt. Die einzelnen Fächer der Redaktivnsarbeit müssen also doppelt besetzt sein, d. h- zu einer mittelgroßen Provinzialzeitung gehören mindestens vier bis sechs tüchtige Redakteure. Die meisten Blätter dieser Art arbeiten aber mit zweien, höchstens mit dreien, von denen einer womöglich noch jedem Arm- oder Beinbruch, der in der Stadt vorfällt, nachlaufen muß. Es ist nicht einzusehn, warum die ausreichende Besetzung der leitenden Kräfte einer Zeitung nicht gesetzlich er¬ zwungen werden könnte. Straßen-, Bau-, Wege-, Wasser- und Eisenbahn¬ polizei sorgen dafür, daß das leibliche Wohl der Staatsbürger durch Nach¬ lässigkeit oder Gewinnsucht des Einzelnen nicht geschädigt werde. Das geistige Wohl seiner Mitmenschen aber kann jeder ungebildete oder gewissenlose Zeitnngs- besitzer untergraben, solange er will, darum kümmert sich der Staat nicht. Natürlich müssen die Journalisten an der Hebung ihres Standes auch selbst mitarbeiten. Es ist der Fluch dieses Standes, daß ihm alles Gesinde! zuströmt, das anderwärts nicht unterkommen kann. Von diesen zweifelhaften Elementen müssen sich die Redakteure selbst befreien. Und der Weg, auf dem das zu geschehen hat, ist Wohl nicht so schwer zu finden. Durch einen allge¬ meinen Appell an das Ehrgefühl erreicht man nichts, durch Ehrengerichte würde schon etwas zu machen sein. Wenn diese irgendwo notwendig sind, so sind sie es für die Berufsklasse der Redakteure. Man darf doch Wohl eine Reinigung des Standes erwarten, wenn jeder Lump, der sich in der Presse breit macht, durch die öffentliche Erklärung eines Ehrenrath an den Pranger gestellt wird. Nechtsauwülte und Ärzte haben ja eine ähnliche Einrichtung, und wir glauben nicht, daß es unter ihnen nur annähernd so viele dunkle Ehrenmänner giebt, wie unter den Vertretern der Presse. Es ist hier nicht der Ort, die praktische Form dieser Einrichtung weiter zu verfolgen. Es sollte uns aber freuen, wenn diese Vorschlage auch nur den Anstoß zu Verbesse¬ rungen gäben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/320>, abgerufen am 22.07.2024.