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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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und Gewerbe müssen und werden sich wieder erholen, und wo heute Ruhe
und Ode herrscht, wird bald wieder der Dainpshammer dröhnen und die Säge
kreischen.

Man hat die Fehler erkannt, die gemacht worden sind. Man hat schwer
unter ihnen zu leiden gehabt und wird noch schwer zu leiden habe". Aber
schon sind Schritte gethan, um die verderblichen Zustünde zu beseitigen.

Der Kongreß hat sich im Prinzip für den Widerruf des Kompromisses
von 1881, der Sherman-Silber-Akte, erklärt, und schon ist ein Ausschuß des Ab¬
geordnetenhauses eifrig mit der Revision des Zollgesetzes, des größten Übels,
beschäftigt. In wenigen Monaten wird die gemäßigte Wilsonbill dem Kon¬
greß vorliegen und ohne Zweifel in kurzer Zeit das verderbliche, Hochschutz¬
zöllnerische Mac Kinleygesetz verdrängen. Die Amerikaner haben eingesehen,
wie wenig Vorteil dieses Gesetz dem Lande gebracht hat. Einzelne Industrielle
hat es zu Millionären gemacht; die große Menge aber hat empfindlich unter
seinen Bestimmungen gelitten, und in den breiten Schichten des Volks ist man
sich schon lange darüber klar, daß die Hochschutzzvllpolitik Mac Kinleys das Land
dem Ruin schneller und unaufhaltsamer entgegenführen muß, als irgend eine
andre Maßregel, die berüchtigte Sherman-Silber-Akte nicht ausgenommen.




Unser Zeitungselend

egen die sogenannten "parteilosen Blätter" schrieb kürzlich die
Nationalzeitung: "Mit dem Schlagwort: "Die Politik verdirbt
den Charakter" begann in Wahrheit ein lediglich auf Gelderwerb
gerichteter Konkurrenzkampf gegen die politischen Zeitungen.
Durch den Parteizwist sollte das deutsche Volk um seine Ge¬
mütlichkeit, um alle seine idyllischen Tugenden und Ideale gebracht worden
sein. Pfiffig und geschickt wandte sich die Spekulation an das Micheltum, das
in Deutschland nicht aussterben kann, Neuigkeiten, Klatsch und Unterhaltung
plattester Art wurden die Devise dieser neuen Art von Zeitungen, die sich in
dem Gefühl ihrer geistigen Jnferioritüt mit entsprechenden nichtssagenden Namen
begnügten. Auch den Frauen, denen diese leichte Lektüre willkommner ist, als
die Ernsthaftigkeit der politischen Zeitungen, bevorzugen den Anzeiger oder den
Figaro, auch seiner Billigkeit wegen. Das billigste Blatt, das die zahlreichsten
Anzeigen, alle Neuigkeiten der Welt und besonders aus der Stadt, nicht allein
den Skandal von gestern, sondern auch deu Skandal der Nacht und die "Mau


und Gewerbe müssen und werden sich wieder erholen, und wo heute Ruhe
und Ode herrscht, wird bald wieder der Dainpshammer dröhnen und die Säge
kreischen.

Man hat die Fehler erkannt, die gemacht worden sind. Man hat schwer
unter ihnen zu leiden gehabt und wird noch schwer zu leiden habe». Aber
schon sind Schritte gethan, um die verderblichen Zustünde zu beseitigen.

Der Kongreß hat sich im Prinzip für den Widerruf des Kompromisses
von 1881, der Sherman-Silber-Akte, erklärt, und schon ist ein Ausschuß des Ab¬
geordnetenhauses eifrig mit der Revision des Zollgesetzes, des größten Übels,
beschäftigt. In wenigen Monaten wird die gemäßigte Wilsonbill dem Kon¬
greß vorliegen und ohne Zweifel in kurzer Zeit das verderbliche, Hochschutz¬
zöllnerische Mac Kinleygesetz verdrängen. Die Amerikaner haben eingesehen,
wie wenig Vorteil dieses Gesetz dem Lande gebracht hat. Einzelne Industrielle
hat es zu Millionären gemacht; die große Menge aber hat empfindlich unter
seinen Bestimmungen gelitten, und in den breiten Schichten des Volks ist man
sich schon lange darüber klar, daß die Hochschutzzvllpolitik Mac Kinleys das Land
dem Ruin schneller und unaufhaltsamer entgegenführen muß, als irgend eine
andre Maßregel, die berüchtigte Sherman-Silber-Akte nicht ausgenommen.




Unser Zeitungselend

egen die sogenannten „parteilosen Blätter" schrieb kürzlich die
Nationalzeitung: „Mit dem Schlagwort: »Die Politik verdirbt
den Charakter« begann in Wahrheit ein lediglich auf Gelderwerb
gerichteter Konkurrenzkampf gegen die politischen Zeitungen.
Durch den Parteizwist sollte das deutsche Volk um seine Ge¬
mütlichkeit, um alle seine idyllischen Tugenden und Ideale gebracht worden
sein. Pfiffig und geschickt wandte sich die Spekulation an das Micheltum, das
in Deutschland nicht aussterben kann, Neuigkeiten, Klatsch und Unterhaltung
plattester Art wurden die Devise dieser neuen Art von Zeitungen, die sich in
dem Gefühl ihrer geistigen Jnferioritüt mit entsprechenden nichtssagenden Namen
begnügten. Auch den Frauen, denen diese leichte Lektüre willkommner ist, als
die Ernsthaftigkeit der politischen Zeitungen, bevorzugen den Anzeiger oder den
Figaro, auch seiner Billigkeit wegen. Das billigste Blatt, das die zahlreichsten
Anzeigen, alle Neuigkeiten der Welt und besonders aus der Stadt, nicht allein
den Skandal von gestern, sondern auch deu Skandal der Nacht und die »Mau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/307>, abgerufen am 22.07.2024.