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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Krisis in Amerika

leistete" der Entwicklung der Industrie Vorschub und setzten den Arbeitgeber
zugleich in den Stund, seinen Leuten Löhne zu zahlen, zwei-, dreimal so hoch
als die in Europa üblichen. Dein Arbeiter wurde es dadurch möglich, sich
ein eignes Heim zu erwerben und sich ein sorgenloses Leben im Alter zu
sichern.

Nach und nach aber verließ man die Bahnen republikanischer Einfachheit.
Luxus und Begehrlichkeit fanden in immer größern Kreisen Eingang; die Jagd
nach dem allmächtigen Dollar, der allein die gesteigerten Ansprüche zu be¬
friedigen imstande war, nahm immer größern Umfang an, und allmählich
wurden der Unvermögende und der Wenigerbemittelte planmäßig von den be¬
sitzenden Klassen ausgebeutet. Das Kleingewerbe wurde unterdrückt; die hohen
Eingangszölle verteuerten viele Rohmaterialien so sehr, daß immer größere
Kapitalien zum Betriebe der Gewerbe und Industrien nötig wurden, und so
sah sich der kleine Mann gezwungen, sein eignes Geschäft aufzugeben und
Arbeit bei seinem frühern, kapitalkräftigern Nachbar zu suchen. Nachdem ans
diese Weise die Zahl der selbständigen Gewerbtreibenden unverhältnismäßig
klein geworden war, vereinigten sie sich zu einem Versuch, die herrschende
Partei zu einer weitern Erhöhung der Zölle zu veranlassen, angeblich damit
sie in den Stand gesetzt würden, die wirtschaftliche Lage ihrer Arbeiter uoch
weiter aufzubessern, thatsächlich aber um sich selbst zu bereichern. Die repu¬
blikanische Partei willigte ein, den Wünschen der Großindustriellen gerecht zu
werden, konnte aber diesen Plan vorläufig nicht verwirklichen, da im Jahre
1885 durch die Erwählung Grover Clevelcmds die demokratische Partei ans
Nuder kam.

Die Demokraten versuchten nun gerade den entgegengesetzten Weg ein-
zuschlagen. Sie wollten die Zölle, namentlich auf Rohmaterial, heruntersetzen
und dadurch einerseits den Unbemittelten wieder die Möglichkeit schaffen, ihr
Gewerbe selbständig zu treiben, andrerseits die Lebensbedürfnisse der arbei¬
tenden Klassen billiger machen und schließlich der weitern Ansammlung eines
Überschusses von Bargeld im Bundesschatz, das dem Verkehr entzogen ist,
vorbeugen. Unglücklicherweise drang aber Cleveland mit diesen Reform-
Vorschlägen während der vier Jahre seiner ersten Amtsführung nicht durch,
und die Großindustrielleu benutzten die Gelegenheit der Präsidentenwahl im
Herbst 1888, dnrch massenhaften Kauf von Stimmen wieder für die republi¬
kanische Partei das Heft in die Hand zu bekommen.

Nach der Einsetzung des Präsidenten Harrisvn im Frühjahr 1889 hieß
es nnn so schnell wie möglich ein Hochschutzzollgesetz zu schassen und so die
Großindustriellen für ihre enormen Beitrüge zum republikanischen Wahlfonds
zu entschädigen. Die Annahme der Mac Kiulehbill war die Erfüllung dieses
Versprechens. Aber statt nun wenigstens die Zusagen höherer Löhne, die man
den Arbeitern für ihre Unterstützung bei der Wahl in Aussicht gestellt hatte,


Die Krisis in Amerika

leistete» der Entwicklung der Industrie Vorschub und setzten den Arbeitgeber
zugleich in den Stund, seinen Leuten Löhne zu zahlen, zwei-, dreimal so hoch
als die in Europa üblichen. Dein Arbeiter wurde es dadurch möglich, sich
ein eignes Heim zu erwerben und sich ein sorgenloses Leben im Alter zu
sichern.

Nach und nach aber verließ man die Bahnen republikanischer Einfachheit.
Luxus und Begehrlichkeit fanden in immer größern Kreisen Eingang; die Jagd
nach dem allmächtigen Dollar, der allein die gesteigerten Ansprüche zu be¬
friedigen imstande war, nahm immer größern Umfang an, und allmählich
wurden der Unvermögende und der Wenigerbemittelte planmäßig von den be¬
sitzenden Klassen ausgebeutet. Das Kleingewerbe wurde unterdrückt; die hohen
Eingangszölle verteuerten viele Rohmaterialien so sehr, daß immer größere
Kapitalien zum Betriebe der Gewerbe und Industrien nötig wurden, und so
sah sich der kleine Mann gezwungen, sein eignes Geschäft aufzugeben und
Arbeit bei seinem frühern, kapitalkräftigern Nachbar zu suchen. Nachdem ans
diese Weise die Zahl der selbständigen Gewerbtreibenden unverhältnismäßig
klein geworden war, vereinigten sie sich zu einem Versuch, die herrschende
Partei zu einer weitern Erhöhung der Zölle zu veranlassen, angeblich damit
sie in den Stand gesetzt würden, die wirtschaftliche Lage ihrer Arbeiter uoch
weiter aufzubessern, thatsächlich aber um sich selbst zu bereichern. Die repu¬
blikanische Partei willigte ein, den Wünschen der Großindustriellen gerecht zu
werden, konnte aber diesen Plan vorläufig nicht verwirklichen, da im Jahre
1885 durch die Erwählung Grover Clevelcmds die demokratische Partei ans
Nuder kam.

Die Demokraten versuchten nun gerade den entgegengesetzten Weg ein-
zuschlagen. Sie wollten die Zölle, namentlich auf Rohmaterial, heruntersetzen
und dadurch einerseits den Unbemittelten wieder die Möglichkeit schaffen, ihr
Gewerbe selbständig zu treiben, andrerseits die Lebensbedürfnisse der arbei¬
tenden Klassen billiger machen und schließlich der weitern Ansammlung eines
Überschusses von Bargeld im Bundesschatz, das dem Verkehr entzogen ist,
vorbeugen. Unglücklicherweise drang aber Cleveland mit diesen Reform-
Vorschlägen während der vier Jahre seiner ersten Amtsführung nicht durch,
und die Großindustrielleu benutzten die Gelegenheit der Präsidentenwahl im
Herbst 1888, dnrch massenhaften Kauf von Stimmen wieder für die republi¬
kanische Partei das Heft in die Hand zu bekommen.

Nach der Einsetzung des Präsidenten Harrisvn im Frühjahr 1889 hieß
es nnn so schnell wie möglich ein Hochschutzzollgesetz zu schassen und so die
Großindustriellen für ihre enormen Beitrüge zum republikanischen Wahlfonds
zu entschädigen. Die Annahme der Mac Kiulehbill war die Erfüllung dieses
Versprechens. Aber statt nun wenigstens die Zusagen höherer Löhne, die man
den Arbeitern für ihre Unterstützung bei der Wahl in Aussicht gestellt hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/303>, abgerufen am 24.08.2024.