Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutschland und Frankreich

Von allen Seiten gefördert, um die Gedanken von Elsaß-Lothringen abzuziehen,
und die erste Hälfte der achtziger Jahre sah eine Gebietsausbreitung, wie sie
Frankreich seit hundertundfunfzig Jahren nicht erfahren hatte. Die Bemühungen
Englands, einen Krieg des lieben Frankreich mit China über die tongkinesische
Grenzzone zu verhüten, wofür es jetzt in Siam so schön belohnt worden ist,
und der Hineinfall des damals noch mit Frankreich befreundeten Italiens, das
zu Gunsten seines alten Verbündeten, des Besitzers von Nizza und Savohen,
auf die Erlangung des nahegerückten Tunesien verzichten mußte, gehören
zu den tragikomischen Ereignissen dieser Zeit. Frankreich schritt in Nord-
uud Westafrika, in Madagaskar, in Hinterindien und im Stillen Ozean
von einer Eroberung zur andern und rivalisirt nun, wie vor 1763,
als Kolonialmacht mit Großbritannien, dein es in Neufundland Schwierig¬
keiten macht und durch den Pannmakaiml den Rang abzulaufen gedachte.
Wenn seit Kronstäbe die französischen Blätter so oft hervorgehoben haben,
Europa sei jetzt zufrieden, weil Frankreich im Besitz eines so großen
Freundes beruhigt sei, so bekennen wir uns allerdings auch zur Zufriedenheit,
aber aus einem andern Grunde. Wir halten es nämlich für gut, daß endlich
einmal die Schonzeit für Frankreichs eingebildete Leiden aufhört, die ihm eine
so reiche Ernte von Besitz und Einfluß gebracht hat. Möge es sich doch wie
sonst als übermütiger Bengel auf die Gasse wagen. Wir in Deutschland
können gar nichts besseres wünschen, als daß auch andre wieder in häufige
nähere Berührungen mit Frankreich kommen; für Gladstone, Scigasta und
andre Knaben wird das sehr lehrreich sein.

Ein Ruf zur Besinnung kann sich natürlich nicht an die Masse der Fran¬
zosen richten, der Elsaß-Lothringen ganz gleichgiltig ist; auch nicht an die noch
thätigen Politiker und Zeitungsschreiber, die nicht mehr aus einer Rolle Her¬
auskommen, in die sie sich seit so lange hineingespielt haben; überhaupt an
niemanden, der von der öffentlichen Meinung abhängt. Es sind nnr drei
kleine, aber mächtige oder der Macht fähige Gruppen, an die er sich richten
kann: die kleine Gruppe gebildeter Franzosen, die unabhängige Meinungen
hegen; die französischen Staatsmänner vom Fach bis zu den Konsuln, unter
denen sich die besten praktischen Kenner Deutschlands und einige wahre Freunde
Deutschlands befinden; endlich die Häupter der elsaß-lothringischen Emigration.
Bei der ersten und zweiten Gruppe wird er einige verständnisvolle Hörer finden,
unter denen man besonders auch die Kolonialpolitiker nicht übersehen darf,
die England so sehr hassen, daß ihr Haß gegen Deutschland dagegen verblaßt.
Zu dem Beispiel, das Arendt anführt, könnten wir noch einige weitere fügen.
Bei der dritten dürfte man schwerer ankommen, sie ist aber die wichtigste, die
die Glut des Hasses gegen Deutschland diesseits und jenseits der Vogesen am
eifrigsten schürt. Ohne ihren mächtigen Einfluß auf die Franzosen, ihre stramme
Organisation und ihren fanatischen Eifer wäre vieles im Reichsland und in


Deutschland und Frankreich

Von allen Seiten gefördert, um die Gedanken von Elsaß-Lothringen abzuziehen,
und die erste Hälfte der achtziger Jahre sah eine Gebietsausbreitung, wie sie
Frankreich seit hundertundfunfzig Jahren nicht erfahren hatte. Die Bemühungen
Englands, einen Krieg des lieben Frankreich mit China über die tongkinesische
Grenzzone zu verhüten, wofür es jetzt in Siam so schön belohnt worden ist,
und der Hineinfall des damals noch mit Frankreich befreundeten Italiens, das
zu Gunsten seines alten Verbündeten, des Besitzers von Nizza und Savohen,
auf die Erlangung des nahegerückten Tunesien verzichten mußte, gehören
zu den tragikomischen Ereignissen dieser Zeit. Frankreich schritt in Nord-
uud Westafrika, in Madagaskar, in Hinterindien und im Stillen Ozean
von einer Eroberung zur andern und rivalisirt nun, wie vor 1763,
als Kolonialmacht mit Großbritannien, dein es in Neufundland Schwierig¬
keiten macht und durch den Pannmakaiml den Rang abzulaufen gedachte.
Wenn seit Kronstäbe die französischen Blätter so oft hervorgehoben haben,
Europa sei jetzt zufrieden, weil Frankreich im Besitz eines so großen
Freundes beruhigt sei, so bekennen wir uns allerdings auch zur Zufriedenheit,
aber aus einem andern Grunde. Wir halten es nämlich für gut, daß endlich
einmal die Schonzeit für Frankreichs eingebildete Leiden aufhört, die ihm eine
so reiche Ernte von Besitz und Einfluß gebracht hat. Möge es sich doch wie
sonst als übermütiger Bengel auf die Gasse wagen. Wir in Deutschland
können gar nichts besseres wünschen, als daß auch andre wieder in häufige
nähere Berührungen mit Frankreich kommen; für Gladstone, Scigasta und
andre Knaben wird das sehr lehrreich sein.

Ein Ruf zur Besinnung kann sich natürlich nicht an die Masse der Fran¬
zosen richten, der Elsaß-Lothringen ganz gleichgiltig ist; auch nicht an die noch
thätigen Politiker und Zeitungsschreiber, die nicht mehr aus einer Rolle Her¬
auskommen, in die sie sich seit so lange hineingespielt haben; überhaupt an
niemanden, der von der öffentlichen Meinung abhängt. Es sind nnr drei
kleine, aber mächtige oder der Macht fähige Gruppen, an die er sich richten
kann: die kleine Gruppe gebildeter Franzosen, die unabhängige Meinungen
hegen; die französischen Staatsmänner vom Fach bis zu den Konsuln, unter
denen sich die besten praktischen Kenner Deutschlands und einige wahre Freunde
Deutschlands befinden; endlich die Häupter der elsaß-lothringischen Emigration.
Bei der ersten und zweiten Gruppe wird er einige verständnisvolle Hörer finden,
unter denen man besonders auch die Kolonialpolitiker nicht übersehen darf,
die England so sehr hassen, daß ihr Haß gegen Deutschland dagegen verblaßt.
Zu dem Beispiel, das Arendt anführt, könnten wir noch einige weitere fügen.
Bei der dritten dürfte man schwerer ankommen, sie ist aber die wichtigste, die
die Glut des Hasses gegen Deutschland diesseits und jenseits der Vogesen am
eifrigsten schürt. Ohne ihren mächtigen Einfluß auf die Franzosen, ihre stramme
Organisation und ihren fanatischen Eifer wäre vieles im Reichsland und in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216025"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutschland und Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> Von allen Seiten gefördert, um die Gedanken von Elsaß-Lothringen abzuziehen,<lb/>
und die erste Hälfte der achtziger Jahre sah eine Gebietsausbreitung, wie sie<lb/>
Frankreich seit hundertundfunfzig Jahren nicht erfahren hatte. Die Bemühungen<lb/>
Englands, einen Krieg des lieben Frankreich mit China über die tongkinesische<lb/>
Grenzzone zu verhüten, wofür es jetzt in Siam so schön belohnt worden ist,<lb/>
und der Hineinfall des damals noch mit Frankreich befreundeten Italiens, das<lb/>
zu Gunsten seines alten Verbündeten, des Besitzers von Nizza und Savohen,<lb/>
auf die Erlangung des nahegerückten Tunesien verzichten mußte, gehören<lb/>
zu den tragikomischen Ereignissen dieser Zeit. Frankreich schritt in Nord-<lb/>
uud Westafrika, in Madagaskar, in Hinterindien und im Stillen Ozean<lb/>
von einer Eroberung zur andern und rivalisirt nun, wie vor 1763,<lb/>
als Kolonialmacht mit Großbritannien, dein es in Neufundland Schwierig¬<lb/>
keiten macht und durch den Pannmakaiml den Rang abzulaufen gedachte.<lb/>
Wenn seit Kronstäbe die französischen Blätter so oft hervorgehoben haben,<lb/>
Europa sei jetzt zufrieden, weil Frankreich im Besitz eines so großen<lb/>
Freundes beruhigt sei, so bekennen wir uns allerdings auch zur Zufriedenheit,<lb/>
aber aus einem andern Grunde. Wir halten es nämlich für gut, daß endlich<lb/>
einmal die Schonzeit für Frankreichs eingebildete Leiden aufhört, die ihm eine<lb/>
so reiche Ernte von Besitz und Einfluß gebracht hat. Möge es sich doch wie<lb/>
sonst als übermütiger Bengel auf die Gasse wagen. Wir in Deutschland<lb/>
können gar nichts besseres wünschen, als daß auch andre wieder in häufige<lb/>
nähere Berührungen mit Frankreich kommen; für Gladstone, Scigasta und<lb/>
andre Knaben wird das sehr lehrreich sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_887" next="#ID_888"> Ein Ruf zur Besinnung kann sich natürlich nicht an die Masse der Fran¬<lb/>
zosen richten, der Elsaß-Lothringen ganz gleichgiltig ist; auch nicht an die noch<lb/>
thätigen Politiker und Zeitungsschreiber, die nicht mehr aus einer Rolle Her¬<lb/>
auskommen, in die sie sich seit so lange hineingespielt haben; überhaupt an<lb/>
niemanden, der von der öffentlichen Meinung abhängt. Es sind nnr drei<lb/>
kleine, aber mächtige oder der Macht fähige Gruppen, an die er sich richten<lb/>
kann: die kleine Gruppe gebildeter Franzosen, die unabhängige Meinungen<lb/>
hegen; die französischen Staatsmänner vom Fach bis zu den Konsuln, unter<lb/>
denen sich die besten praktischen Kenner Deutschlands und einige wahre Freunde<lb/>
Deutschlands befinden; endlich die Häupter der elsaß-lothringischen Emigration.<lb/>
Bei der ersten und zweiten Gruppe wird er einige verständnisvolle Hörer finden,<lb/>
unter denen man besonders auch die Kolonialpolitiker nicht übersehen darf,<lb/>
die England so sehr hassen, daß ihr Haß gegen Deutschland dagegen verblaßt.<lb/>
Zu dem Beispiel, das Arendt anführt, könnten wir noch einige weitere fügen.<lb/>
Bei der dritten dürfte man schwerer ankommen, sie ist aber die wichtigste, die<lb/>
die Glut des Hasses gegen Deutschland diesseits und jenseits der Vogesen am<lb/>
eifrigsten schürt. Ohne ihren mächtigen Einfluß auf die Franzosen, ihre stramme<lb/>
Organisation und ihren fanatischen Eifer wäre vieles im Reichsland und in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Deutschland und Frankreich Von allen Seiten gefördert, um die Gedanken von Elsaß-Lothringen abzuziehen, und die erste Hälfte der achtziger Jahre sah eine Gebietsausbreitung, wie sie Frankreich seit hundertundfunfzig Jahren nicht erfahren hatte. Die Bemühungen Englands, einen Krieg des lieben Frankreich mit China über die tongkinesische Grenzzone zu verhüten, wofür es jetzt in Siam so schön belohnt worden ist, und der Hineinfall des damals noch mit Frankreich befreundeten Italiens, das zu Gunsten seines alten Verbündeten, des Besitzers von Nizza und Savohen, auf die Erlangung des nahegerückten Tunesien verzichten mußte, gehören zu den tragikomischen Ereignissen dieser Zeit. Frankreich schritt in Nord- uud Westafrika, in Madagaskar, in Hinterindien und im Stillen Ozean von einer Eroberung zur andern und rivalisirt nun, wie vor 1763, als Kolonialmacht mit Großbritannien, dein es in Neufundland Schwierig¬ keiten macht und durch den Pannmakaiml den Rang abzulaufen gedachte. Wenn seit Kronstäbe die französischen Blätter so oft hervorgehoben haben, Europa sei jetzt zufrieden, weil Frankreich im Besitz eines so großen Freundes beruhigt sei, so bekennen wir uns allerdings auch zur Zufriedenheit, aber aus einem andern Grunde. Wir halten es nämlich für gut, daß endlich einmal die Schonzeit für Frankreichs eingebildete Leiden aufhört, die ihm eine so reiche Ernte von Besitz und Einfluß gebracht hat. Möge es sich doch wie sonst als übermütiger Bengel auf die Gasse wagen. Wir in Deutschland können gar nichts besseres wünschen, als daß auch andre wieder in häufige nähere Berührungen mit Frankreich kommen; für Gladstone, Scigasta und andre Knaben wird das sehr lehrreich sein. Ein Ruf zur Besinnung kann sich natürlich nicht an die Masse der Fran¬ zosen richten, der Elsaß-Lothringen ganz gleichgiltig ist; auch nicht an die noch thätigen Politiker und Zeitungsschreiber, die nicht mehr aus einer Rolle Her¬ auskommen, in die sie sich seit so lange hineingespielt haben; überhaupt an niemanden, der von der öffentlichen Meinung abhängt. Es sind nnr drei kleine, aber mächtige oder der Macht fähige Gruppen, an die er sich richten kann: die kleine Gruppe gebildeter Franzosen, die unabhängige Meinungen hegen; die französischen Staatsmänner vom Fach bis zu den Konsuln, unter denen sich die besten praktischen Kenner Deutschlands und einige wahre Freunde Deutschlands befinden; endlich die Häupter der elsaß-lothringischen Emigration. Bei der ersten und zweiten Gruppe wird er einige verständnisvolle Hörer finden, unter denen man besonders auch die Kolonialpolitiker nicht übersehen darf, die England so sehr hassen, daß ihr Haß gegen Deutschland dagegen verblaßt. Zu dem Beispiel, das Arendt anführt, könnten wir noch einige weitere fügen. Bei der dritten dürfte man schwerer ankommen, sie ist aber die wichtigste, die die Glut des Hasses gegen Deutschland diesseits und jenseits der Vogesen am eifrigsten schürt. Ohne ihren mächtigen Einfluß auf die Franzosen, ihre stramme Organisation und ihren fanatischen Eifer wäre vieles im Reichsland und in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/301>, abgerufen am 24.08.2024.