Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dein Westen

Thun Sie das lieber nicht, sonst geschieht ein Unglück! Mein Haus ist
ein anständiges Haus, ich will keine Gerichtsgeschichten darin haben!

Warum gehen Sie nicht zu einem ordentlichen Arzt, der Ihnen jederzeit
nach der Behandlung einen Totenschein ausstellen darf? Warum gehen Sie
zu einem solchen Quacksalber von Chinesen, der nicht eingeschrieben ist?

Gott verd-- mich! Hier ist ein freies Land, ich kann gehen, wohin ich
will! Quacks sind sie doch alle, wo es nichts zu schneiden giebt, und da
gehe ich lieber gleich zu den Chinesen, die nie schneiden. Es war eine innere
Krankheit, wo doch nichts zu machen war. So viel verstehe ich auch. Darum
ging ich zum Chinesen, der giebt nur Thee und Kräuter.

Sie können hingehen, wohin Sie wollen, aber das hilft Ihnen alles nichts.
Der Gerichtsarzt wird die Sache aufklären.

Damit ging Dr. Mac Donnell ans Telephon. Patrick, einen Fluch zwischen
den Lippen, griff nach dem Revolver, den er unter der Joppe um die Hüften
hängen hatte. Aber mit den Worten: ?on de> luzll! war er ihm aus der
Hand geschlagen von dem Mann im dunkelblauen Anzuge, der mit dem Polizei-
knüppel in der Hand plötzlich aus der Ecke herzusprang.

Der Jrländer lachte, holte schnell gefaßt die Schnapsflasche aus der Brust¬
tasche, stärkte sich und hielt dann dem Polizisten die Flasche hin: Üxou8s imo,
ich hatte in die falsche Tasche gegriffen! Prosit! Dann empfahl er sich, vom
Polizisten begleitet.

Das eine sah ich: obwohl Staub und Schmutz dieses Gesundheitsamt
erfüllten -- es war ja nur eine provisorische Einrichtung --, hier geschah mehr
für Leben, Gesundheit und Sicherheit des Staatsbürgers als an manchen
Stätten im Herzen der alten Welt. Denn obwohl hier noch manches im
Argen liegen mochte, so viel war gewiß: das Kontrollwesen für Masern, Di-
phtheritis, Scharlach, Pocken, Typhus, wie ich es hier auf deu Schreibtischen
geordnet und in Wirklichkeit ausgeführt sah, die Kontrolle hinsichtlich der
Totenscheine und der Krankheitsüberwachung durch den zuletzt behandelnden
Arzt wurde selbst auf diesem sehr primitiven Gesundheitsamt des weiten
Westens in jener mustergiltigen Weise gehandhabt, wie es in allen englisch
sprechenden Ländern Sitte ist, und wie es überall da eingeführt sein sollte,
wo die Regierung von der Menschenwürde des einzelnen und vou dem Respekt,
den sie jedem Lebenden und Toten schuldig ist, in der rechten Weise durch¬
drungen ist.

Wie viel Zeit und Schreiberei wäre in diesen drei hier so kurz ab¬
gethanen Fällen vergeudet worden in einem andern Lande, wo der juristisch
geleitete Büreaukratismus alles beherrscht! Hier giebt es keine zivilversvrgungs-
berechtigten Unteroffiziere, keine langen Reihen von Büreanstuben, wo ein
Aktenstück wochenlang aus einer Stube in die andre geschickt wird. Mit dem
Telephon und dem abgekürzten mündlichen Verfahren einiger wenigen Beamten


Bilder aus dein Westen

Thun Sie das lieber nicht, sonst geschieht ein Unglück! Mein Haus ist
ein anständiges Haus, ich will keine Gerichtsgeschichten darin haben!

Warum gehen Sie nicht zu einem ordentlichen Arzt, der Ihnen jederzeit
nach der Behandlung einen Totenschein ausstellen darf? Warum gehen Sie
zu einem solchen Quacksalber von Chinesen, der nicht eingeschrieben ist?

Gott verd— mich! Hier ist ein freies Land, ich kann gehen, wohin ich
will! Quacks sind sie doch alle, wo es nichts zu schneiden giebt, und da
gehe ich lieber gleich zu den Chinesen, die nie schneiden. Es war eine innere
Krankheit, wo doch nichts zu machen war. So viel verstehe ich auch. Darum
ging ich zum Chinesen, der giebt nur Thee und Kräuter.

Sie können hingehen, wohin Sie wollen, aber das hilft Ihnen alles nichts.
Der Gerichtsarzt wird die Sache aufklären.

Damit ging Dr. Mac Donnell ans Telephon. Patrick, einen Fluch zwischen
den Lippen, griff nach dem Revolver, den er unter der Joppe um die Hüften
hängen hatte. Aber mit den Worten: ?on de> luzll! war er ihm aus der
Hand geschlagen von dem Mann im dunkelblauen Anzuge, der mit dem Polizei-
knüppel in der Hand plötzlich aus der Ecke herzusprang.

Der Jrländer lachte, holte schnell gefaßt die Schnapsflasche aus der Brust¬
tasche, stärkte sich und hielt dann dem Polizisten die Flasche hin: Üxou8s imo,
ich hatte in die falsche Tasche gegriffen! Prosit! Dann empfahl er sich, vom
Polizisten begleitet.

Das eine sah ich: obwohl Staub und Schmutz dieses Gesundheitsamt
erfüllten — es war ja nur eine provisorische Einrichtung —, hier geschah mehr
für Leben, Gesundheit und Sicherheit des Staatsbürgers als an manchen
Stätten im Herzen der alten Welt. Denn obwohl hier noch manches im
Argen liegen mochte, so viel war gewiß: das Kontrollwesen für Masern, Di-
phtheritis, Scharlach, Pocken, Typhus, wie ich es hier auf deu Schreibtischen
geordnet und in Wirklichkeit ausgeführt sah, die Kontrolle hinsichtlich der
Totenscheine und der Krankheitsüberwachung durch den zuletzt behandelnden
Arzt wurde selbst auf diesem sehr primitiven Gesundheitsamt des weiten
Westens in jener mustergiltigen Weise gehandhabt, wie es in allen englisch
sprechenden Ländern Sitte ist, und wie es überall da eingeführt sein sollte,
wo die Regierung von der Menschenwürde des einzelnen und vou dem Respekt,
den sie jedem Lebenden und Toten schuldig ist, in der rechten Weise durch¬
drungen ist.

Wie viel Zeit und Schreiberei wäre in diesen drei hier so kurz ab¬
gethanen Fällen vergeudet worden in einem andern Lande, wo der juristisch
geleitete Büreaukratismus alles beherrscht! Hier giebt es keine zivilversvrgungs-
berechtigten Unteroffiziere, keine langen Reihen von Büreanstuben, wo ein
Aktenstück wochenlang aus einer Stube in die andre geschickt wird. Mit dem
Telephon und dem abgekürzten mündlichen Verfahren einiger wenigen Beamten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216006"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dein Westen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Thun Sie das lieber nicht, sonst geschieht ein Unglück! Mein Haus ist<lb/>
ein anständiges Haus, ich will keine Gerichtsgeschichten darin haben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> Warum gehen Sie nicht zu einem ordentlichen Arzt, der Ihnen jederzeit<lb/>
nach der Behandlung einen Totenschein ausstellen darf? Warum gehen Sie<lb/>
zu einem solchen Quacksalber von Chinesen, der nicht eingeschrieben ist?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806"> Gott verd&#x2014; mich! Hier ist ein freies Land, ich kann gehen, wohin ich<lb/>
will! Quacks sind sie doch alle, wo es nichts zu schneiden giebt, und da<lb/>
gehe ich lieber gleich zu den Chinesen, die nie schneiden. Es war eine innere<lb/>
Krankheit, wo doch nichts zu machen war. So viel verstehe ich auch. Darum<lb/>
ging ich zum Chinesen, der giebt nur Thee und Kräuter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_807"> Sie können hingehen, wohin Sie wollen, aber das hilft Ihnen alles nichts.<lb/>
Der Gerichtsarzt wird die Sache aufklären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_808"> Damit ging Dr. Mac Donnell ans Telephon. Patrick, einen Fluch zwischen<lb/>
den Lippen, griff nach dem Revolver, den er unter der Joppe um die Hüften<lb/>
hängen hatte. Aber mit den Worten: ?on de&gt; luzll! war er ihm aus der<lb/>
Hand geschlagen von dem Mann im dunkelblauen Anzuge, der mit dem Polizei-<lb/>
knüppel in der Hand plötzlich aus der Ecke herzusprang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_809"> Der Jrländer lachte, holte schnell gefaßt die Schnapsflasche aus der Brust¬<lb/>
tasche, stärkte sich und hielt dann dem Polizisten die Flasche hin: Üxou8s imo,<lb/>
ich hatte in die falsche Tasche gegriffen! Prosit! Dann empfahl er sich, vom<lb/>
Polizisten begleitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_810"> Das eine sah ich: obwohl Staub und Schmutz dieses Gesundheitsamt<lb/>
erfüllten &#x2014; es war ja nur eine provisorische Einrichtung &#x2014;, hier geschah mehr<lb/>
für Leben, Gesundheit und Sicherheit des Staatsbürgers als an manchen<lb/>
Stätten im Herzen der alten Welt. Denn obwohl hier noch manches im<lb/>
Argen liegen mochte, so viel war gewiß: das Kontrollwesen für Masern, Di-<lb/>
phtheritis, Scharlach, Pocken, Typhus, wie ich es hier auf deu Schreibtischen<lb/>
geordnet und in Wirklichkeit ausgeführt sah, die Kontrolle hinsichtlich der<lb/>
Totenscheine und der Krankheitsüberwachung durch den zuletzt behandelnden<lb/>
Arzt wurde selbst auf diesem sehr primitiven Gesundheitsamt des weiten<lb/>
Westens in jener mustergiltigen Weise gehandhabt, wie es in allen englisch<lb/>
sprechenden Ländern Sitte ist, und wie es überall da eingeführt sein sollte,<lb/>
wo die Regierung von der Menschenwürde des einzelnen und vou dem Respekt,<lb/>
den sie jedem Lebenden und Toten schuldig ist, in der rechten Weise durch¬<lb/>
drungen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Wie viel Zeit und Schreiberei wäre in diesen drei hier so kurz ab¬<lb/>
gethanen Fällen vergeudet worden in einem andern Lande, wo der juristisch<lb/>
geleitete Büreaukratismus alles beherrscht! Hier giebt es keine zivilversvrgungs-<lb/>
berechtigten Unteroffiziere, keine langen Reihen von Büreanstuben, wo ein<lb/>
Aktenstück wochenlang aus einer Stube in die andre geschickt wird. Mit dem<lb/>
Telephon und dem abgekürzten mündlichen Verfahren einiger wenigen Beamten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Bilder aus dein Westen Thun Sie das lieber nicht, sonst geschieht ein Unglück! Mein Haus ist ein anständiges Haus, ich will keine Gerichtsgeschichten darin haben! Warum gehen Sie nicht zu einem ordentlichen Arzt, der Ihnen jederzeit nach der Behandlung einen Totenschein ausstellen darf? Warum gehen Sie zu einem solchen Quacksalber von Chinesen, der nicht eingeschrieben ist? Gott verd— mich! Hier ist ein freies Land, ich kann gehen, wohin ich will! Quacks sind sie doch alle, wo es nichts zu schneiden giebt, und da gehe ich lieber gleich zu den Chinesen, die nie schneiden. Es war eine innere Krankheit, wo doch nichts zu machen war. So viel verstehe ich auch. Darum ging ich zum Chinesen, der giebt nur Thee und Kräuter. Sie können hingehen, wohin Sie wollen, aber das hilft Ihnen alles nichts. Der Gerichtsarzt wird die Sache aufklären. Damit ging Dr. Mac Donnell ans Telephon. Patrick, einen Fluch zwischen den Lippen, griff nach dem Revolver, den er unter der Joppe um die Hüften hängen hatte. Aber mit den Worten: ?on de> luzll! war er ihm aus der Hand geschlagen von dem Mann im dunkelblauen Anzuge, der mit dem Polizei- knüppel in der Hand plötzlich aus der Ecke herzusprang. Der Jrländer lachte, holte schnell gefaßt die Schnapsflasche aus der Brust¬ tasche, stärkte sich und hielt dann dem Polizisten die Flasche hin: Üxou8s imo, ich hatte in die falsche Tasche gegriffen! Prosit! Dann empfahl er sich, vom Polizisten begleitet. Das eine sah ich: obwohl Staub und Schmutz dieses Gesundheitsamt erfüllten — es war ja nur eine provisorische Einrichtung —, hier geschah mehr für Leben, Gesundheit und Sicherheit des Staatsbürgers als an manchen Stätten im Herzen der alten Welt. Denn obwohl hier noch manches im Argen liegen mochte, so viel war gewiß: das Kontrollwesen für Masern, Di- phtheritis, Scharlach, Pocken, Typhus, wie ich es hier auf deu Schreibtischen geordnet und in Wirklichkeit ausgeführt sah, die Kontrolle hinsichtlich der Totenscheine und der Krankheitsüberwachung durch den zuletzt behandelnden Arzt wurde selbst auf diesem sehr primitiven Gesundheitsamt des weiten Westens in jener mustergiltigen Weise gehandhabt, wie es in allen englisch sprechenden Ländern Sitte ist, und wie es überall da eingeführt sein sollte, wo die Regierung von der Menschenwürde des einzelnen und vou dem Respekt, den sie jedem Lebenden und Toten schuldig ist, in der rechten Weise durch¬ drungen ist. Wie viel Zeit und Schreiberei wäre in diesen drei hier so kurz ab¬ gethanen Fällen vergeudet worden in einem andern Lande, wo der juristisch geleitete Büreaukratismus alles beherrscht! Hier giebt es keine zivilversvrgungs- berechtigten Unteroffiziere, keine langen Reihen von Büreanstuben, wo ein Aktenstück wochenlang aus einer Stube in die andre geschickt wird. Mit dem Telephon und dem abgekürzten mündlichen Verfahren einiger wenigen Beamten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/282>, abgerufen am 28.06.2024.