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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Bilder ans dem Westen

Es ist doch Sache eures Arztes, die Meldung hier auf dem Gesuudhcits-
nmte zu machen. Habt ihr keinen Arzt?

Ja, der Pastor Fischer, der jetzt Doktor ist, kam gestern vorbei, und der
wollte für die gelben Zettel sorgen. Aber ich habe mir gerade so schönen Kleister
mitgebracht, drum möchte ich die Zettel mitnehmen.

Dabei lachte er übers ganze Gesicht, daß die weißen Zahne glänzten,
und schwang den großen Kleistereimer in die Höhe. Doch es half ihm nichts,
er wurde notirt und konnte gehen.

Und Sie? wandte sich der Assistenzarzt an einen Landsmann, dem
das Schwabentum im Gesicht geschrieben stand, und der nun in mangel¬
haftem Englisch, unterbrochen durch gut schwäbische Wörter, sein Gesuch vor¬
brachte.

Wie ich heute Morgen von der Nachtarbeit nach Hause kam, lag meine
Alte tot vor dem Kochherd am Boden. Der Schlag hat sie gerührt. Die
kluge Frau aus der Nachbarschaft, die so gute Pillen hat, die sagt es mir,
die versteht sich drauf. Sie ist tot, mausetot, die Ärmste! Ich wollte nur
einen Beerdigungsschein holen.

Da ist was nicht in Ordnung! erwiderte der Arzt.

O gewiß, es ist alles in schönster Ordnung; es war vorherzusehen, daß
sie sterben würde, die Kartenlegerin hatte es ihr schon prophezeit.

Hat in den letzten zwei Tagen keine ärztliche Behandlung stattgefunden?

Sie hat manchmal Pillen genommen.

Von einem ordentlichen Arzt?

Von der Doktorin nebenan, die auch Karten legt.

Nach Ermittlung von Straße und Wohnung ging Dr. Mac Dvnnell ans
Telephon und beorderte den Gerichtsarzt nach dem Hause des Deutschem
Melden Sie sich auf dein Polizeiamt, der Cvroner wird die Obduktion der
Leiche vornehmen und Sie verhören.

Auf einen Wink des Arztes war der eine der beiden Männer im dunkel¬
blauen Anzüge - es waren Polizisten -- aus seiner Ecke herangetreten und
folgte dem Schwaben, nachdem er etwas in sein Notizbuch geschrieben hatte.

Nun, Pad. was warten Sie noch? wandte sich der Arzt darauf an einen
ins Feuer stierenden alten Jrländer in blauwvllner Bluse, hohen Stiefeln und
mit schnapsgerötetcm Gesicht und rotblonden Stoppelhaar, der seinen Thon-
Pfeifenstnmmel unwillig zwischen den Zähnen hin und her warf.

Wenn Sie mir den Beerdiguugsschein nicht geben wollen, der Bnas wird
ihn mir schon geben, wenn er kommt, antwortete der Ire mürrisch.

Sie irren sich, Paddy; wenn Sie keinen Schein über ordentliche ärztliche
Behandlung während der letzten achtundvierzig Stunden beibringen können,
darf die Leiche Ihrer Tochter ohne Begutachtung des Gerichtsarztes nicht be¬
erdigt werden. Ich werde sofort dein Coroner telephoniren.


Grenzboten IV 1893 35
Bilder ans dem Westen

Es ist doch Sache eures Arztes, die Meldung hier auf dem Gesuudhcits-
nmte zu machen. Habt ihr keinen Arzt?

Ja, der Pastor Fischer, der jetzt Doktor ist, kam gestern vorbei, und der
wollte für die gelben Zettel sorgen. Aber ich habe mir gerade so schönen Kleister
mitgebracht, drum möchte ich die Zettel mitnehmen.

Dabei lachte er übers ganze Gesicht, daß die weißen Zahne glänzten,
und schwang den großen Kleistereimer in die Höhe. Doch es half ihm nichts,
er wurde notirt und konnte gehen.

Und Sie? wandte sich der Assistenzarzt an einen Landsmann, dem
das Schwabentum im Gesicht geschrieben stand, und der nun in mangel¬
haftem Englisch, unterbrochen durch gut schwäbische Wörter, sein Gesuch vor¬
brachte.

Wie ich heute Morgen von der Nachtarbeit nach Hause kam, lag meine
Alte tot vor dem Kochherd am Boden. Der Schlag hat sie gerührt. Die
kluge Frau aus der Nachbarschaft, die so gute Pillen hat, die sagt es mir,
die versteht sich drauf. Sie ist tot, mausetot, die Ärmste! Ich wollte nur
einen Beerdigungsschein holen.

Da ist was nicht in Ordnung! erwiderte der Arzt.

O gewiß, es ist alles in schönster Ordnung; es war vorherzusehen, daß
sie sterben würde, die Kartenlegerin hatte es ihr schon prophezeit.

Hat in den letzten zwei Tagen keine ärztliche Behandlung stattgefunden?

Sie hat manchmal Pillen genommen.

Von einem ordentlichen Arzt?

Von der Doktorin nebenan, die auch Karten legt.

Nach Ermittlung von Straße und Wohnung ging Dr. Mac Dvnnell ans
Telephon und beorderte den Gerichtsarzt nach dem Hause des Deutschem
Melden Sie sich auf dein Polizeiamt, der Cvroner wird die Obduktion der
Leiche vornehmen und Sie verhören.

Auf einen Wink des Arztes war der eine der beiden Männer im dunkel¬
blauen Anzüge - es waren Polizisten — aus seiner Ecke herangetreten und
folgte dem Schwaben, nachdem er etwas in sein Notizbuch geschrieben hatte.

Nun, Pad. was warten Sie noch? wandte sich der Arzt darauf an einen
ins Feuer stierenden alten Jrländer in blauwvllner Bluse, hohen Stiefeln und
mit schnapsgerötetcm Gesicht und rotblonden Stoppelhaar, der seinen Thon-
Pfeifenstnmmel unwillig zwischen den Zähnen hin und her warf.

Wenn Sie mir den Beerdiguugsschein nicht geben wollen, der Bnas wird
ihn mir schon geben, wenn er kommt, antwortete der Ire mürrisch.

Sie irren sich, Paddy; wenn Sie keinen Schein über ordentliche ärztliche
Behandlung während der letzten achtundvierzig Stunden beibringen können,
darf die Leiche Ihrer Tochter ohne Begutachtung des Gerichtsarztes nicht be¬
erdigt werden. Ich werde sofort dein Coroner telephoniren.


Grenzboten IV 1893 35
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[0281] Bilder ans dem Westen Es ist doch Sache eures Arztes, die Meldung hier auf dem Gesuudhcits- nmte zu machen. Habt ihr keinen Arzt? Ja, der Pastor Fischer, der jetzt Doktor ist, kam gestern vorbei, und der wollte für die gelben Zettel sorgen. Aber ich habe mir gerade so schönen Kleister mitgebracht, drum möchte ich die Zettel mitnehmen. Dabei lachte er übers ganze Gesicht, daß die weißen Zahne glänzten, und schwang den großen Kleistereimer in die Höhe. Doch es half ihm nichts, er wurde notirt und konnte gehen. Und Sie? wandte sich der Assistenzarzt an einen Landsmann, dem das Schwabentum im Gesicht geschrieben stand, und der nun in mangel¬ haftem Englisch, unterbrochen durch gut schwäbische Wörter, sein Gesuch vor¬ brachte. Wie ich heute Morgen von der Nachtarbeit nach Hause kam, lag meine Alte tot vor dem Kochherd am Boden. Der Schlag hat sie gerührt. Die kluge Frau aus der Nachbarschaft, die so gute Pillen hat, die sagt es mir, die versteht sich drauf. Sie ist tot, mausetot, die Ärmste! Ich wollte nur einen Beerdigungsschein holen. Da ist was nicht in Ordnung! erwiderte der Arzt. O gewiß, es ist alles in schönster Ordnung; es war vorherzusehen, daß sie sterben würde, die Kartenlegerin hatte es ihr schon prophezeit. Hat in den letzten zwei Tagen keine ärztliche Behandlung stattgefunden? Sie hat manchmal Pillen genommen. Von einem ordentlichen Arzt? Von der Doktorin nebenan, die auch Karten legt. Nach Ermittlung von Straße und Wohnung ging Dr. Mac Dvnnell ans Telephon und beorderte den Gerichtsarzt nach dem Hause des Deutschem Melden Sie sich auf dein Polizeiamt, der Cvroner wird die Obduktion der Leiche vornehmen und Sie verhören. Auf einen Wink des Arztes war der eine der beiden Männer im dunkel¬ blauen Anzüge - es waren Polizisten — aus seiner Ecke herangetreten und folgte dem Schwaben, nachdem er etwas in sein Notizbuch geschrieben hatte. Nun, Pad. was warten Sie noch? wandte sich der Arzt darauf an einen ins Feuer stierenden alten Jrländer in blauwvllner Bluse, hohen Stiefeln und mit schnapsgerötetcm Gesicht und rotblonden Stoppelhaar, der seinen Thon- Pfeifenstnmmel unwillig zwischen den Zähnen hin und her warf. Wenn Sie mir den Beerdiguugsschein nicht geben wollen, der Bnas wird ihn mir schon geben, wenn er kommt, antwortete der Ire mürrisch. Sie irren sich, Paddy; wenn Sie keinen Schein über ordentliche ärztliche Behandlung während der letzten achtundvierzig Stunden beibringen können, darf die Leiche Ihrer Tochter ohne Begutachtung des Gerichtsarztes nicht be¬ erdigt werden. Ich werde sofort dein Coroner telephoniren. Grenzboten IV 1893 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/281>, abgerufen am 23.06.2024.