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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Der kunsthistorische Kongreß in Nürnberg
Karl Rötschau von

s sind nun schon neunzehn Jahre, daß der erste kunstgeschicht-
liche Kongreß (in Wien) stattfand. Ein zweiter folgte ihm nicht
.Kämpfe, die keiner jungen Wissenschaft erspart bleiben,
haben die nicht gar große Zahl der Arbeiter in Parteien geteilt,
doch thäte Organisation der Arbeit dringend not; die klas¬
sische Archäologie weist auf den Segen solcher Organisation hin. Und außer¬
dem: es sind Bedürfnisse vorhanden, für die nur durch geschlossene Stellung¬
nahme Abhilfe zu hoffen ist. Und schließlich: Schulen, durch Arbeitsmethode
getrennt, mögen sich bekämpfen, aber der Gegensatz zwischen den Vertretern
des Faches, welche im praktischen Dienst stehen, und denen, welche als Lehrer
thätig sind, ist ein Unding, und er beruht im wesentlichen mir auf gegen¬
seitigem Mißverstehen. Mündliche Allssprache wird zur Einigkeit führen.
Möge darum die Vorbereitung für eine zweite Zusammenkunft der Kunsthisto¬
riker energisch in Angriff genommen werden.

Mit diesem Wunsche schloß Janitschek im "Repertorium für Kunstwissen¬
schaft" eine Besprechung des Schmarsowschen Buches über die Kunstgeschichte
an unsern Hochschulen. Die Erfüllung sollte der warmherzige Vertreter seiner
Wissenschaft, der für ihre Interessen stets bereitwillig seine ganze Persön¬
lichkeit einsetzte, nicht erleben: als ihm der Aufruf, der den Zusammentritt eines
Kongresses wünschte, zur Unterschrift vorgelegt wurde, war seine Hand nicht
mehr imstande, die Feder zu führen.

Was die Kunstgeschichte an Janitschek verloren hat, wissen alle, die ihm
nahe gestanden haben; es ist hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen.
Aber der Verfasser dieser Zeilen ist wohl nicht der einzige gewesen, der die
durch Janitscheks Tod verursachte Lücke in der Nürnberger Versammlung
schmerzlich empfunden hat, auch nicht der einzige, der einen engern Anschluß
an das in den vorhin angeführten Worten enthaltne Programm eines künf¬
tigen Kongresses gewünscht hätte. Als der Aufruf erschien, hätte sich wohl
jeder Kunsthistoriker, dem sein Beruf ans Herz gewachsen ist, sagen müssen,
daß es seine Pflicht sei, in Nürnberg für die Interessen seines Fachs, so gut
er es vermochte, einzutreten. Aber die zwischen dem ersten und dem zweiten




Der kunsthistorische Kongreß in Nürnberg
Karl Rötschau von

s sind nun schon neunzehn Jahre, daß der erste kunstgeschicht-
liche Kongreß (in Wien) stattfand. Ein zweiter folgte ihm nicht
.Kämpfe, die keiner jungen Wissenschaft erspart bleiben,
haben die nicht gar große Zahl der Arbeiter in Parteien geteilt,
doch thäte Organisation der Arbeit dringend not; die klas¬
sische Archäologie weist auf den Segen solcher Organisation hin. Und außer¬
dem: es sind Bedürfnisse vorhanden, für die nur durch geschlossene Stellung¬
nahme Abhilfe zu hoffen ist. Und schließlich: Schulen, durch Arbeitsmethode
getrennt, mögen sich bekämpfen, aber der Gegensatz zwischen den Vertretern
des Faches, welche im praktischen Dienst stehen, und denen, welche als Lehrer
thätig sind, ist ein Unding, und er beruht im wesentlichen mir auf gegen¬
seitigem Mißverstehen. Mündliche Allssprache wird zur Einigkeit führen.
Möge darum die Vorbereitung für eine zweite Zusammenkunft der Kunsthisto¬
riker energisch in Angriff genommen werden.

Mit diesem Wunsche schloß Janitschek im „Repertorium für Kunstwissen¬
schaft" eine Besprechung des Schmarsowschen Buches über die Kunstgeschichte
an unsern Hochschulen. Die Erfüllung sollte der warmherzige Vertreter seiner
Wissenschaft, der für ihre Interessen stets bereitwillig seine ganze Persön¬
lichkeit einsetzte, nicht erleben: als ihm der Aufruf, der den Zusammentritt eines
Kongresses wünschte, zur Unterschrift vorgelegt wurde, war seine Hand nicht
mehr imstande, die Feder zu führen.

Was die Kunstgeschichte an Janitschek verloren hat, wissen alle, die ihm
nahe gestanden haben; es ist hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen.
Aber der Verfasser dieser Zeilen ist wohl nicht der einzige gewesen, der die
durch Janitscheks Tod verursachte Lücke in der Nürnberger Versammlung
schmerzlich empfunden hat, auch nicht der einzige, der einen engern Anschluß
an das in den vorhin angeführten Worten enthaltne Programm eines künf¬
tigen Kongresses gewünscht hätte. Als der Aufruf erschien, hätte sich wohl
jeder Kunsthistoriker, dem sein Beruf ans Herz gewachsen ist, sagen müssen,
daß es seine Pflicht sei, in Nürnberg für die Interessen seines Fachs, so gut
er es vermochte, einzutreten. Aber die zwischen dem ersten und dem zweiten


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[0274] [Abbildung] Der kunsthistorische Kongreß in Nürnberg Karl Rötschau von s sind nun schon neunzehn Jahre, daß der erste kunstgeschicht- liche Kongreß (in Wien) stattfand. Ein zweiter folgte ihm nicht .Kämpfe, die keiner jungen Wissenschaft erspart bleiben, haben die nicht gar große Zahl der Arbeiter in Parteien geteilt, doch thäte Organisation der Arbeit dringend not; die klas¬ sische Archäologie weist auf den Segen solcher Organisation hin. Und außer¬ dem: es sind Bedürfnisse vorhanden, für die nur durch geschlossene Stellung¬ nahme Abhilfe zu hoffen ist. Und schließlich: Schulen, durch Arbeitsmethode getrennt, mögen sich bekämpfen, aber der Gegensatz zwischen den Vertretern des Faches, welche im praktischen Dienst stehen, und denen, welche als Lehrer thätig sind, ist ein Unding, und er beruht im wesentlichen mir auf gegen¬ seitigem Mißverstehen. Mündliche Allssprache wird zur Einigkeit führen. Möge darum die Vorbereitung für eine zweite Zusammenkunft der Kunsthisto¬ riker energisch in Angriff genommen werden. Mit diesem Wunsche schloß Janitschek im „Repertorium für Kunstwissen¬ schaft" eine Besprechung des Schmarsowschen Buches über die Kunstgeschichte an unsern Hochschulen. Die Erfüllung sollte der warmherzige Vertreter seiner Wissenschaft, der für ihre Interessen stets bereitwillig seine ganze Persön¬ lichkeit einsetzte, nicht erleben: als ihm der Aufruf, der den Zusammentritt eines Kongresses wünschte, zur Unterschrift vorgelegt wurde, war seine Hand nicht mehr imstande, die Feder zu führen. Was die Kunstgeschichte an Janitschek verloren hat, wissen alle, die ihm nahe gestanden haben; es ist hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen. Aber der Verfasser dieser Zeilen ist wohl nicht der einzige gewesen, der die durch Janitscheks Tod verursachte Lücke in der Nürnberger Versammlung schmerzlich empfunden hat, auch nicht der einzige, der einen engern Anschluß an das in den vorhin angeführten Worten enthaltne Programm eines künf¬ tigen Kongresses gewünscht hätte. Als der Aufruf erschien, hätte sich wohl jeder Kunsthistoriker, dem sein Beruf ans Herz gewachsen ist, sagen müssen, daß es seine Pflicht sei, in Nürnberg für die Interessen seines Fachs, so gut er es vermochte, einzutreten. Aber die zwischen dem ersten und dem zweiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/274>, abgerufen am 22.07.2024.