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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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tigtem Hohne verfolgt er die Komödie Liszt-Wittgenstein. Die Wittgenstein,
die zwei Millionen Rubel mitgenommen hatte, als sie sich von ihrem Gemahl
entfernte, klagt aller Welt, sie und Liszt seien eine Zeit lang darauf angewiesen
gewesen, von Liszts Klavierspiel zu leben. Liszt will zum Ruhme Weimars
eine Zeitung gründen, wobei ihm Fanny Lewald helfen will. Fanny Lewald
nimmt es dem Erbgrvßherzog übel, "daß er die Exemplare ihrer Schriften,
die sie ihm überreichte, zu vielen Menschen mitteilte, sodaß sie in Weimar kein
Mensch kaufte!" Liszt spricht nie, auch nicht über die gleichgiltigsten Dinge,
eine Meinung aus, um sich nicht zu kompromittiren oder irgendwo anzustoßen,
aber er intriguirt in nichtswürdiger Weise gegen Henriette Sonntag und läßt
z. B. das Orchester falsch begleiten, um die Sängerin zu verwirren. Als der
Vater der Wittgenstein nach Weimar kommt, verspricht Liszt, ihm Ohrfeigen
geben zu wollen, scheint aber das Versprechen rasch vergessen zu haben. Das
ärgste an diesem widerwärtigen Treiben ist wohl die Behauptung der Wittgen¬
stein, Frauen dürften nie Schauspielerinnen, ja nicht einmal Schriftstellerinnen
sein, da eine solche Ausnahmestellung die xuäeur verletze, die doch allein den
Wert der Frau bestimme!

Scharfsinnig sind mancherlei einzelne Bemerkungen Bernhardts, z. B.
(S. 252) die, daß beim Wiederaufleben des städtischen Lebens im Mittel¬
alter das Schicksal eines Ortes nicht von seiner günstigen Lage, sondern vor¬
zugsweise davon abgehangen habe, daß er zunächst städtische Freiheiten und
diejenigen Rechtsverhältnisse erlangte, die bürgerliches Gedeihen verschaffe"
konnten. Wenn man solche Äußerungen liest, kann man schwer den Gedanken
unterdrücken, daß es sich vielleicht empfohlen hätte, Bernhardis Aufzeichnungen
vollständig zu drucken, wobei nicht verkannt werden soll, daß die Auswahl sehr
geschickt und taktvoll getroffen ist.

Bloße Druckfehler sind es wohl, wenn die bekannte polnische Familie
S. 236 und sonst Strogonow statt Strvganow genannt wird, und S. 83
Elisium steht, Lesefehler dagegen, wenn es S. 83 wehthnenden statt wohl¬
thuenden heißt. Was S. 310 Wut den senkt heißen soll, wissen wir nicht; viel¬
leicht hat Bernhard! geschrieben tont ä und sont. Wenn S. 354 ein General
erzählt, er sei als ganz junger Leutnant mit Ludwig Tieck in Zinkingen zu¬
sammen gewesen, so wird Bernhardi wohl Ziebingeu geschrieben haben, wo
Tieck jahrelang heimisch war. S. 66 irrt sich Bernhardi, wenn er Crsbillvn für
den Verfasser der I^miMus nig.uAsröus<Z8 hält: sie sind bekanntlich von Laclos,
der, in Orleans' Prozeß verwickelt, von Robespierre gerettet wurde, angeblich,
weil er dem tugendhaften Manne seine Reden verfaßte; die wenigen Leute, die
heutzutage jenen Roman noch kennen, gegen den Zolas Werke Erbauungs¬
bücher genannt werden können, wissen, welch unbeschreiblich lächerlicher Kon¬
trast in der Verbindung dieser beiden Männer liegt.




Grenzboten IV 1893ZI

tigtem Hohne verfolgt er die Komödie Liszt-Wittgenstein. Die Wittgenstein,
die zwei Millionen Rubel mitgenommen hatte, als sie sich von ihrem Gemahl
entfernte, klagt aller Welt, sie und Liszt seien eine Zeit lang darauf angewiesen
gewesen, von Liszts Klavierspiel zu leben. Liszt will zum Ruhme Weimars
eine Zeitung gründen, wobei ihm Fanny Lewald helfen will. Fanny Lewald
nimmt es dem Erbgrvßherzog übel, „daß er die Exemplare ihrer Schriften,
die sie ihm überreichte, zu vielen Menschen mitteilte, sodaß sie in Weimar kein
Mensch kaufte!" Liszt spricht nie, auch nicht über die gleichgiltigsten Dinge,
eine Meinung aus, um sich nicht zu kompromittiren oder irgendwo anzustoßen,
aber er intriguirt in nichtswürdiger Weise gegen Henriette Sonntag und läßt
z. B. das Orchester falsch begleiten, um die Sängerin zu verwirren. Als der
Vater der Wittgenstein nach Weimar kommt, verspricht Liszt, ihm Ohrfeigen
geben zu wollen, scheint aber das Versprechen rasch vergessen zu haben. Das
ärgste an diesem widerwärtigen Treiben ist wohl die Behauptung der Wittgen¬
stein, Frauen dürften nie Schauspielerinnen, ja nicht einmal Schriftstellerinnen
sein, da eine solche Ausnahmestellung die xuäeur verletze, die doch allein den
Wert der Frau bestimme!

Scharfsinnig sind mancherlei einzelne Bemerkungen Bernhardts, z. B.
(S. 252) die, daß beim Wiederaufleben des städtischen Lebens im Mittel¬
alter das Schicksal eines Ortes nicht von seiner günstigen Lage, sondern vor¬
zugsweise davon abgehangen habe, daß er zunächst städtische Freiheiten und
diejenigen Rechtsverhältnisse erlangte, die bürgerliches Gedeihen verschaffe»
konnten. Wenn man solche Äußerungen liest, kann man schwer den Gedanken
unterdrücken, daß es sich vielleicht empfohlen hätte, Bernhardis Aufzeichnungen
vollständig zu drucken, wobei nicht verkannt werden soll, daß die Auswahl sehr
geschickt und taktvoll getroffen ist.

Bloße Druckfehler sind es wohl, wenn die bekannte polnische Familie
S. 236 und sonst Strogonow statt Strvganow genannt wird, und S. 83
Elisium steht, Lesefehler dagegen, wenn es S. 83 wehthnenden statt wohl¬
thuenden heißt. Was S. 310 Wut den senkt heißen soll, wissen wir nicht; viel¬
leicht hat Bernhard! geschrieben tont ä und sont. Wenn S. 354 ein General
erzählt, er sei als ganz junger Leutnant mit Ludwig Tieck in Zinkingen zu¬
sammen gewesen, so wird Bernhardi wohl Ziebingeu geschrieben haben, wo
Tieck jahrelang heimisch war. S. 66 irrt sich Bernhardi, wenn er Crsbillvn für
den Verfasser der I^miMus nig.uAsröus<Z8 hält: sie sind bekanntlich von Laclos,
der, in Orleans' Prozeß verwickelt, von Robespierre gerettet wurde, angeblich,
weil er dem tugendhaften Manne seine Reden verfaßte; die wenigen Leute, die
heutzutage jenen Roman noch kennen, gegen den Zolas Werke Erbauungs¬
bücher genannt werden können, wissen, welch unbeschreiblich lächerlicher Kon¬
trast in der Verbindung dieser beiden Männer liegt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/273>, abgerufen am 24.08.2024.