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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhardi

wenige Wochen später gelang es dieser Partei, einen Bruch zwischen dem König
und dem Prinzen von Preußen herbeizuführen.

Vom höchsten Interesse sind die Äußerungen über die Stimmung in der
Reaktionszeit. Freilich laufen manche Nachrichten mit unter, die entschieden
irrig sind, wie z. B, die Behauptung (S. 349), es sei den Lehrern unter der
Hand verboten worden, ihren Schulen? Mommsens römische Geschichte zu em¬
pfehlen. Wer damals auf einer preußischen Schulbank gesessen hat, wird von
einem solchen Verbote nichts gehört haben. Andre Dinge werden in ihrer
Bedeutung überschätzt, so der Trauertultns, den einige reaktionäre Heißsporne
mit dem Kaiser Nikolaus trieben, indem man Trauermedailleu mit dem Bildnis
des Kaisers an einem schwarzen Bande trug. "Die Gnrdeoffiziere trugen sie
an der Uhr, die Damen an den Braeelets." Derartige Kindereien nahm der
in Deutschland fremd gewordne Berliner in seiner ländlichen Abgeschiedenheit
ernster, als sie es verdienten, aber es bleibt noch genug übrig, um ein Bild
von Zuständen zu ergebe", die für eine Generation, die jene Zeit nicht mehr
erlebt hat, kaum glaublich sind. So berichtet er z. B. von den am Sonntag
auf dem Lande umherschleichenden Gendarmen, die zu größerer Heiligung des
Tages jeden verhafteten, der arbeitete. Da Bernhardi in seinem Wahlkreise
im Jahre 1856 liberal gewählt hatte, so verklagt ihn der Landrat nicht nnr
bei der Camarilla, sondern auch bei der russischem Gesandtschaft.

Wohl nichts kann die zwischen den beiden Parteien herrschende, geradezu
tötliche Verbitterung drastischer bezeichnen, als der Umstand, daß ans liberaler
Seite ernsthaft geglaubt wurde, die Kreuzzeitnngspartei wolle nichts von einer
Befestigung Breslaus und Königsbergs wissen, damit "Preußen den Plänen
dieser Partei zufolge wehrlos bleiben" und ein russisches Heer ungehindert bis
ins Herz der Monarchie, nach Berlin vordringen könne, um die Partei wieder
in den Besitz der Regierungsgewalt zu setze". Zu dieser Nachricht kann Bern¬
hardi doch nicht umhin ein Fragezeichen zu setzen. Aus einer Unterredung
mit seinem Oheim Ludwig Tieck nimmt.er die Überzeugung mit, daß Harden-
berg und Stein der reaktionären Partei ein Greuel seien, und daß sie alles
"bestehende Gute, auch die Landwehr," wieder vernichten möchten. Allerdings
darf man anch diesen gelegentlichen Äußerungen kein allzugroßes Gewicht bei¬
legen; denn bei derselben Gelegenheit versichert Tieck seinem Neffen, der Ge¬
neraladjutant von Gerlach, den er von Kindheit an gekannt habe, sei "geradezu
ein Dummkopf." Auf Bernhardts sehr natürliche Frage, wie denn aber ein
so beschränkter Kopf auf einen so geistvollen Mann, wie den König, Einfluß
üben könne, erwiderte Tieck: "Ja, weil er zu allein ja sagt und immer noch
weiter geht, als der König selbst." Wie falsch die Ansicht von Gerlachs
Dummheit ebenso wie von seiner Jabrnderschaft war, weiß heute jeder, der
seine Aufzeichnungen und seinen Briefwechsel mit Bismarck gelesen hat, aber
wer in jenen Zeiten in Berlin gelebt hat, wird zugeben müssen, daß Tiecks


Theodor von Bernhardi

wenige Wochen später gelang es dieser Partei, einen Bruch zwischen dem König
und dem Prinzen von Preußen herbeizuführen.

Vom höchsten Interesse sind die Äußerungen über die Stimmung in der
Reaktionszeit. Freilich laufen manche Nachrichten mit unter, die entschieden
irrig sind, wie z. B, die Behauptung (S. 349), es sei den Lehrern unter der
Hand verboten worden, ihren Schulen? Mommsens römische Geschichte zu em¬
pfehlen. Wer damals auf einer preußischen Schulbank gesessen hat, wird von
einem solchen Verbote nichts gehört haben. Andre Dinge werden in ihrer
Bedeutung überschätzt, so der Trauertultns, den einige reaktionäre Heißsporne
mit dem Kaiser Nikolaus trieben, indem man Trauermedailleu mit dem Bildnis
des Kaisers an einem schwarzen Bande trug. „Die Gnrdeoffiziere trugen sie
an der Uhr, die Damen an den Braeelets." Derartige Kindereien nahm der
in Deutschland fremd gewordne Berliner in seiner ländlichen Abgeschiedenheit
ernster, als sie es verdienten, aber es bleibt noch genug übrig, um ein Bild
von Zuständen zu ergebe», die für eine Generation, die jene Zeit nicht mehr
erlebt hat, kaum glaublich sind. So berichtet er z. B. von den am Sonntag
auf dem Lande umherschleichenden Gendarmen, die zu größerer Heiligung des
Tages jeden verhafteten, der arbeitete. Da Bernhardi in seinem Wahlkreise
im Jahre 1856 liberal gewählt hatte, so verklagt ihn der Landrat nicht nnr
bei der Camarilla, sondern auch bei der russischem Gesandtschaft.

Wohl nichts kann die zwischen den beiden Parteien herrschende, geradezu
tötliche Verbitterung drastischer bezeichnen, als der Umstand, daß ans liberaler
Seite ernsthaft geglaubt wurde, die Kreuzzeitnngspartei wolle nichts von einer
Befestigung Breslaus und Königsbergs wissen, damit „Preußen den Plänen
dieser Partei zufolge wehrlos bleiben" und ein russisches Heer ungehindert bis
ins Herz der Monarchie, nach Berlin vordringen könne, um die Partei wieder
in den Besitz der Regierungsgewalt zu setze». Zu dieser Nachricht kann Bern¬
hardi doch nicht umhin ein Fragezeichen zu setzen. Aus einer Unterredung
mit seinem Oheim Ludwig Tieck nimmt.er die Überzeugung mit, daß Harden-
berg und Stein der reaktionären Partei ein Greuel seien, und daß sie alles
»bestehende Gute, auch die Landwehr," wieder vernichten möchten. Allerdings
darf man anch diesen gelegentlichen Äußerungen kein allzugroßes Gewicht bei¬
legen; denn bei derselben Gelegenheit versichert Tieck seinem Neffen, der Ge¬
neraladjutant von Gerlach, den er von Kindheit an gekannt habe, sei „geradezu
ein Dummkopf." Auf Bernhardts sehr natürliche Frage, wie denn aber ein
so beschränkter Kopf auf einen so geistvollen Mann, wie den König, Einfluß
üben könne, erwiderte Tieck: „Ja, weil er zu allein ja sagt und immer noch
weiter geht, als der König selbst." Wie falsch die Ansicht von Gerlachs
Dummheit ebenso wie von seiner Jabrnderschaft war, weiß heute jeder, der
seine Aufzeichnungen und seinen Briefwechsel mit Bismarck gelesen hat, aber
wer in jenen Zeiten in Berlin gelebt hat, wird zugeben müssen, daß Tiecks


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/267>, abgerufen am 22.07.2024.