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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Theodor vo" Berichca'ti

nehmen, als er seiner Verwandten wegen vielfache Rücksichten ans Rußland zu
nehmen hatte und in Preußen, wo damals der russische Einfluß fast allmächtig
war, notwendigerweise als Russe vielfachen Mißverständnissen ausgesetzt war.

Eine günstige Wendung nahm sein Schicksal durch die Veröffentlichung
der von ihm verfaßte" Denkwürdigkeiten des Generals von Toll: der in diesem
Meisterwerke geführte Nachweis, daß eigentlich Preußen allein die Abschüttelung
des napoleonischen Joches zu verdanken war, erhob ihn mit einem Schlage in
die Reihe der ersten deutschen Schriftsteller und führte ihm ungesucht zahl¬
reiche Verbindungen zu, die ihm die ländliche Einsamkeit, in der er lebte,
wenigstens so weit belebten, daß er sich dem mehrfach von ihm augeführten
"Webstuhle der Zeit" nicht allzu entfernt zu fühlen brauchte.

Die preußische Politik der Neaktivuszeit scheint ihm keinen andern Inhalt
zu haben, als die Angst vor der Revolution, und der Schluß, zu dem er
immer wieder kommt, ist der, daß der preußische Staat in keiner Weife auf
der damaligen Stufe feiner Entwicklung stehen bleiben könne, sondern vorwärts,
weiter zu streben gezwungen sei. Von Friedrich Wilhelm IV. erzählt er, er habe,
als man ihm riet, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen, und dabei die Mög¬
lichkeit betonte, die demokratischen Auswüchse der Frankfurter Verfassung zu be¬
seitigen, nur geantwortet: "Ja ja, das mag alles ganz wahr sein, aber die
Sache ist ungemein schwierig, dazu gehört ein Held, und ich bin kein Held!"
Darauf habe er fortgefahren, er wolle nicht der Erste in Deutschland sein,
da er keinen Ehrgeiz habe, der Zweite aber sei er von Rechts wegen: "Wehe
dem, der mich zum Dritten in Deutschland machen will!" Und als sollten die
innern Gegensätze dieses widerspruchsvollen Charakters aufs deutlichste zur Er¬
scheinung kommen, wird gleich darauf berichtet, im Jahre 1850 sei dem König
die Begeisterung des eignen Heeres und des eignen Volkes weit schrecklicher
erschienen als der Feind Anschauungen, die dann Wrangel nach seiner Art
karrikirte, indem auch ihm vor der Begeisterung des Heeres graute, und er
ausrief: "sollen sich unsre heiligen Fahnen mit denen Mazzinis und Kossutys
vereinigen?"

Einen geradezu jammervollen Eindruck macht die Unentschlossenheit und
das Schwanken des Königs. Zur Zeit der Schlacht von Brvnzell schien er
entschieden zu sein und versprach, die Baiern nicht über die preußische Etappen¬
linie in Hessen vorrücken zu lassen. Trotzdem ging in der darauffolgenden
Nacht an Gröden der Befehl dazu ab. Am nächsten Tage entschuldigte er
sich damit, er habe die Baiern, die im Fuldaischcn nicht genügend Lebens¬
mittel fanden, doch uicht verhungern lassen können! Bernhardis Gewährsmann
führte seine Sinnesänderung aus den im Interesse Oesterreichs und Baierns
geltend gemachten Einfluß der Königin zurück. Ein andermal ereiferte sich
der König cinfs lebhafteste gegen die Krenzzeitungspartei, deren Anhänger
durch ihr widersinniges Treiben eine Revolution herbeiführen würden, und


Theodor vo» Berichca'ti

nehmen, als er seiner Verwandten wegen vielfache Rücksichten ans Rußland zu
nehmen hatte und in Preußen, wo damals der russische Einfluß fast allmächtig
war, notwendigerweise als Russe vielfachen Mißverständnissen ausgesetzt war.

Eine günstige Wendung nahm sein Schicksal durch die Veröffentlichung
der von ihm verfaßte» Denkwürdigkeiten des Generals von Toll: der in diesem
Meisterwerke geführte Nachweis, daß eigentlich Preußen allein die Abschüttelung
des napoleonischen Joches zu verdanken war, erhob ihn mit einem Schlage in
die Reihe der ersten deutschen Schriftsteller und führte ihm ungesucht zahl¬
reiche Verbindungen zu, die ihm die ländliche Einsamkeit, in der er lebte,
wenigstens so weit belebten, daß er sich dem mehrfach von ihm augeführten
„Webstuhle der Zeit" nicht allzu entfernt zu fühlen brauchte.

Die preußische Politik der Neaktivuszeit scheint ihm keinen andern Inhalt
zu haben, als die Angst vor der Revolution, und der Schluß, zu dem er
immer wieder kommt, ist der, daß der preußische Staat in keiner Weife auf
der damaligen Stufe feiner Entwicklung stehen bleiben könne, sondern vorwärts,
weiter zu streben gezwungen sei. Von Friedrich Wilhelm IV. erzählt er, er habe,
als man ihm riet, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen, und dabei die Mög¬
lichkeit betonte, die demokratischen Auswüchse der Frankfurter Verfassung zu be¬
seitigen, nur geantwortet: „Ja ja, das mag alles ganz wahr sein, aber die
Sache ist ungemein schwierig, dazu gehört ein Held, und ich bin kein Held!"
Darauf habe er fortgefahren, er wolle nicht der Erste in Deutschland sein,
da er keinen Ehrgeiz habe, der Zweite aber sei er von Rechts wegen: „Wehe
dem, der mich zum Dritten in Deutschland machen will!" Und als sollten die
innern Gegensätze dieses widerspruchsvollen Charakters aufs deutlichste zur Er¬
scheinung kommen, wird gleich darauf berichtet, im Jahre 1850 sei dem König
die Begeisterung des eignen Heeres und des eignen Volkes weit schrecklicher
erschienen als der Feind Anschauungen, die dann Wrangel nach seiner Art
karrikirte, indem auch ihm vor der Begeisterung des Heeres graute, und er
ausrief: „sollen sich unsre heiligen Fahnen mit denen Mazzinis und Kossutys
vereinigen?"

Einen geradezu jammervollen Eindruck macht die Unentschlossenheit und
das Schwanken des Königs. Zur Zeit der Schlacht von Brvnzell schien er
entschieden zu sein und versprach, die Baiern nicht über die preußische Etappen¬
linie in Hessen vorrücken zu lassen. Trotzdem ging in der darauffolgenden
Nacht an Gröden der Befehl dazu ab. Am nächsten Tage entschuldigte er
sich damit, er habe die Baiern, die im Fuldaischcn nicht genügend Lebens¬
mittel fanden, doch uicht verhungern lassen können! Bernhardis Gewährsmann
führte seine Sinnesänderung aus den im Interesse Oesterreichs und Baierns
geltend gemachten Einfluß der Königin zurück. Ein andermal ereiferte sich
der König cinfs lebhafteste gegen die Krenzzeitungspartei, deren Anhänger
durch ihr widersinniges Treiben eine Revolution herbeiführen würden, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/266>, abgerufen am 22.07.2024.