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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhard!

Ansichten im allgemeinen dem entsprachen, was damals in liberalen Kreisen
geglaubt wurde: so sehr wird in Zeiten heftiger Parteileidmschaft jedes ver¬
nünftige Urteil unmöglich gemacht. Ernster klingt es, wenn General von Etzel
Bernhardt versichert, bei dem bestehenden System gehe auch das Heer zu Grunde,
da ganz untaugliche Leute nur wegen ihrer Gesinnungstüchtigkeit befördert
würden, auf die sie von der Kreuzzeitungspartei gleichsam ein Diplom er¬
hielten. Die unheilvolle Thätigkeit des Kultusministers von Raumer wird in
diesem Zusammenhange nur gestreift: Bernhardt bemerkt dabei, durch sie werde
die Axt an die Wurzel gelegt und Preußens Größe und Zukunft bedroht.
Von dem Oberpräsidenten von Pommern, von Senfft-Pilsach, wird berichtet,
welche Zufriedenheit er über die Herrschaft der Reaktion empfand, und daß
es sein Wunsch war, daß die Stettiner Festungswerke geschleift werden mochten,
weil -- wie er zum Entsetzen des Generals von Etzel und Bernhardts be¬
hauptete -- die Festungen in der neuern Kriegführung ihre Bedeutung ver¬
loren hätten!

Von dem Ministerpräsidenten von Manteuffel wird berichtet, daß er das
Unwürdige seiner ebenso verantwortlichen wie ohnmächtigen Lage schmerzlich
empfunden habe, was freilich nicht Wunder nimmt, wenn der König, der ja
starke Ausdrücke liebte, bei einer Bemerkung darüber, daß Manteuffel mit etwas
nicht einverstanden sei, ausgerufen hat: "Ach was Manteuffel! Manteuffel
ist mein Schuhputzer!" Merkwürdig ist die Indiskretion seines Bruders, des
spätern Ministers für Landwirtschaft, der zugiebt <S. 215), daß das preußische
Ministerium mit Rußland in Verbindungen gestanden habe, die allerdings
sehr schlecht zu dem offiziellen Neutralitätsverhältnisse stimmten.

Wo eine Tragödie ist -- und das war die damalige Reaktion in Preußen
mit dein unglücklichem Friedrich Wilhelm !V. an der Spitze -- fehlt es auch
gewöhnlich nicht am Satyrspiel. So lesen wir denn, wie Stahl, der spätere
Hort der Reaktion, als Student einen Dolch im Busen trug, auf dessen Klinge
stand: Tod den Tyrannen! Später hatte er sich freilich geändert: im Jahre
1857 wünschte der kleine und, wenn wir uns recht erinnern, etwas schiefe
Mann, als Kevtor NaMiüous der Berliner Universität mit einem kurzen spa¬
nischen rotbraunen Sammetmantel angethan, auf einem Ball bei der Prinzessin
von Preußen dieser durchaus vorgestellt werden, und wollte vor Wut bersten,
als er nur die Frage zu höre" bekam: "Sind Sie schon lange in Berlin,
Herr Professor?"

Wie auf eine Erlösung aus diesen traurigen Zuständen lenken Bernhardts
Aufzeichnungen den Blick auf den Prinzen von Preußen. Während Wrangel
und seinesgleichen bei Beginn des Krimkrieges, ohne Gründe angeben zu können,
stets aussprachen, Preußen könne nicht anders als mit Rußland gehen. erklärt
der Prinz in einem im März 1854 abgehaltenen Kabinetsrate, er werde in
einem derartigen Kriege keinerlei Kommando übernehmen, sondern sich für dessen


Theodor von Bernhard!

Ansichten im allgemeinen dem entsprachen, was damals in liberalen Kreisen
geglaubt wurde: so sehr wird in Zeiten heftiger Parteileidmschaft jedes ver¬
nünftige Urteil unmöglich gemacht. Ernster klingt es, wenn General von Etzel
Bernhardt versichert, bei dem bestehenden System gehe auch das Heer zu Grunde,
da ganz untaugliche Leute nur wegen ihrer Gesinnungstüchtigkeit befördert
würden, auf die sie von der Kreuzzeitungspartei gleichsam ein Diplom er¬
hielten. Die unheilvolle Thätigkeit des Kultusministers von Raumer wird in
diesem Zusammenhange nur gestreift: Bernhardt bemerkt dabei, durch sie werde
die Axt an die Wurzel gelegt und Preußens Größe und Zukunft bedroht.
Von dem Oberpräsidenten von Pommern, von Senfft-Pilsach, wird berichtet,
welche Zufriedenheit er über die Herrschaft der Reaktion empfand, und daß
es sein Wunsch war, daß die Stettiner Festungswerke geschleift werden mochten,
weil — wie er zum Entsetzen des Generals von Etzel und Bernhardts be¬
hauptete — die Festungen in der neuern Kriegführung ihre Bedeutung ver¬
loren hätten!

Von dem Ministerpräsidenten von Manteuffel wird berichtet, daß er das
Unwürdige seiner ebenso verantwortlichen wie ohnmächtigen Lage schmerzlich
empfunden habe, was freilich nicht Wunder nimmt, wenn der König, der ja
starke Ausdrücke liebte, bei einer Bemerkung darüber, daß Manteuffel mit etwas
nicht einverstanden sei, ausgerufen hat: „Ach was Manteuffel! Manteuffel
ist mein Schuhputzer!" Merkwürdig ist die Indiskretion seines Bruders, des
spätern Ministers für Landwirtschaft, der zugiebt <S. 215), daß das preußische
Ministerium mit Rußland in Verbindungen gestanden habe, die allerdings
sehr schlecht zu dem offiziellen Neutralitätsverhältnisse stimmten.

Wo eine Tragödie ist — und das war die damalige Reaktion in Preußen
mit dein unglücklichem Friedrich Wilhelm !V. an der Spitze — fehlt es auch
gewöhnlich nicht am Satyrspiel. So lesen wir denn, wie Stahl, der spätere
Hort der Reaktion, als Student einen Dolch im Busen trug, auf dessen Klinge
stand: Tod den Tyrannen! Später hatte er sich freilich geändert: im Jahre
1857 wünschte der kleine und, wenn wir uns recht erinnern, etwas schiefe
Mann, als Kevtor NaMiüous der Berliner Universität mit einem kurzen spa¬
nischen rotbraunen Sammetmantel angethan, auf einem Ball bei der Prinzessin
von Preußen dieser durchaus vorgestellt werden, und wollte vor Wut bersten,
als er nur die Frage zu höre» bekam: „Sind Sie schon lange in Berlin,
Herr Professor?"

Wie auf eine Erlösung aus diesen traurigen Zuständen lenken Bernhardts
Aufzeichnungen den Blick auf den Prinzen von Preußen. Während Wrangel
und seinesgleichen bei Beginn des Krimkrieges, ohne Gründe angeben zu können,
stets aussprachen, Preußen könne nicht anders als mit Rußland gehen. erklärt
der Prinz in einem im März 1854 abgehaltenen Kabinetsrate, er werde in
einem derartigen Kriege keinerlei Kommando übernehmen, sondern sich für dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/268>, abgerufen am 22.07.2024.