Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Philosophie Paniscus

nicht einfach in das Mittelalter zurückzuversetzen vermögen, sind Suchende-,
wir sollten uns gegenwärtig halten, daß wir inmitten großer Krisen stehen, die
nicht einzelne Gebiete, sondern die ganze geistige Existenz betreffen."

Fragen wir nun bei Paulsen nach dem Gegenstande der Religion, nach
Gott, so läßt die Antwort allerdings an Klarheit und Bestimmtheit zu wünschen
übrig. Der "nnthropomorphischc Theismus" wird abgelehnt, und uuter den
beiden andern kosmologischen Vorstellungen, dem Atomismus und dem pan-
theistischen Monismus, wird der letztere vorgezogen. Es versteht sich vini selbst,
daß der Atomismus nicht als physikalische, sondern nur als kvsmologische
Hypothese verworfen wird, und daß der Verfasser nicht etwa den Versuch macht,
durch einen förmlichen Beweis seines Monismus den Grenzgraben zu über¬
springen, den Kant der Wissenschaft gezogen hat. "Die Zeit -- sagt er --
dürste vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Not¬
wendigkeit dieses oder jenes Wcltbegriffs ausmachen zu können. Die Beweise
für die letzten Gedanken über die Dinge werden im wesentlichen daraus hinaus¬
kommen, daß man zeigt, wie die Thatsachen auf einen solchen Abschluß unsrer
Versuche, sie zu konstruiren, hinweisen oder gleichsam gegen jene Gedanken kon-
vergiren." Wir bekennen uns als Glaubensgenossen Paniscus, da sein Pan¬
theismus den Glauben an einen persönlichen Gott nicht ans-, sondern ein¬
schließt. Zwar mag er den Ausdruck Persönlichkeit auf Gott nicht anwenden,
aber S. 265 sagt er ausdrücklich, daß Gott in den Dingen nicht aufgehe, daß
sein unendliches Wesen "durch die Bestimmungen des Wirklichen, die wir sehen,
durch Körper und Geist, durch Ausdehnung und Denken" nicht erschöpft werde,
nachdem er schon vorher versichert hat, er wolle Gott nichts nehmen, sondern
verwerfe den Begriff der Persönlichkeit nur, weil dieser für die unendliche Fülle
und Tiefe seines Wesens zu eng sei; nicht zwar ein unpersönliches, aber ein
überpersönliches Wesen sei Gott. Dann führt er fort: "Übrigens würden wir
uns, nachdem dies vorausgeschickt ist, auch nicht weiter dagegen sträuben, dem
All-Einen Persönlichkeit beizulegen; da menschlich-geistiges Leben das Höchste
und Bedeutendste ist, was wir kennen, so können wir Gott, wenn wir uns
überhaupt von ihm eine Vorstellung machen wollen, nur durch menschliches
Wesen in höchster Steigerung vorstellen. Die Philosophie ist hier in derselben
Lage wie die .Kunst. Wenn diese Gott darzustellen unternimmt, so giebt sie
ihm die leibliche Gestalt eines Menschen.... Nun, in demselben Sinne, als
Symbol, können wir Gott auch die geistige Gestalt beilegen, die wir an den
besten und größten Menschen verehren.. .. Das ist der mögliche und notwen¬
dige Anthropomorphismus aller Religion. Wir kennen keinen andern Geist
als irdischmenschlichen, darum können wir uns Gott durch ihn vorstellen, nicht
weil er so sein muß, sondern weil unsre Vorstellungen nicht über unser Er¬
leben hinausreichen."

Können wir uns also mit seiner Vorstellung von Gott zufrieden geben,


Die Philosophie Paniscus

nicht einfach in das Mittelalter zurückzuversetzen vermögen, sind Suchende-,
wir sollten uns gegenwärtig halten, daß wir inmitten großer Krisen stehen, die
nicht einzelne Gebiete, sondern die ganze geistige Existenz betreffen."

Fragen wir nun bei Paulsen nach dem Gegenstande der Religion, nach
Gott, so läßt die Antwort allerdings an Klarheit und Bestimmtheit zu wünschen
übrig. Der „nnthropomorphischc Theismus" wird abgelehnt, und uuter den
beiden andern kosmologischen Vorstellungen, dem Atomismus und dem pan-
theistischen Monismus, wird der letztere vorgezogen. Es versteht sich vini selbst,
daß der Atomismus nicht als physikalische, sondern nur als kvsmologische
Hypothese verworfen wird, und daß der Verfasser nicht etwa den Versuch macht,
durch einen förmlichen Beweis seines Monismus den Grenzgraben zu über¬
springen, den Kant der Wissenschaft gezogen hat. „Die Zeit — sagt er —
dürste vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Not¬
wendigkeit dieses oder jenes Wcltbegriffs ausmachen zu können. Die Beweise
für die letzten Gedanken über die Dinge werden im wesentlichen daraus hinaus¬
kommen, daß man zeigt, wie die Thatsachen auf einen solchen Abschluß unsrer
Versuche, sie zu konstruiren, hinweisen oder gleichsam gegen jene Gedanken kon-
vergiren." Wir bekennen uns als Glaubensgenossen Paniscus, da sein Pan¬
theismus den Glauben an einen persönlichen Gott nicht ans-, sondern ein¬
schließt. Zwar mag er den Ausdruck Persönlichkeit auf Gott nicht anwenden,
aber S. 265 sagt er ausdrücklich, daß Gott in den Dingen nicht aufgehe, daß
sein unendliches Wesen „durch die Bestimmungen des Wirklichen, die wir sehen,
durch Körper und Geist, durch Ausdehnung und Denken" nicht erschöpft werde,
nachdem er schon vorher versichert hat, er wolle Gott nichts nehmen, sondern
verwerfe den Begriff der Persönlichkeit nur, weil dieser für die unendliche Fülle
und Tiefe seines Wesens zu eng sei; nicht zwar ein unpersönliches, aber ein
überpersönliches Wesen sei Gott. Dann führt er fort: „Übrigens würden wir
uns, nachdem dies vorausgeschickt ist, auch nicht weiter dagegen sträuben, dem
All-Einen Persönlichkeit beizulegen; da menschlich-geistiges Leben das Höchste
und Bedeutendste ist, was wir kennen, so können wir Gott, wenn wir uns
überhaupt von ihm eine Vorstellung machen wollen, nur durch menschliches
Wesen in höchster Steigerung vorstellen. Die Philosophie ist hier in derselben
Lage wie die .Kunst. Wenn diese Gott darzustellen unternimmt, so giebt sie
ihm die leibliche Gestalt eines Menschen.... Nun, in demselben Sinne, als
Symbol, können wir Gott auch die geistige Gestalt beilegen, die wir an den
besten und größten Menschen verehren.. .. Das ist der mögliche und notwen¬
dige Anthropomorphismus aller Religion. Wir kennen keinen andern Geist
als irdischmenschlichen, darum können wir uns Gott durch ihn vorstellen, nicht
weil er so sein muß, sondern weil unsre Vorstellungen nicht über unser Er¬
leben hinausreichen."

Können wir uns also mit seiner Vorstellung von Gott zufrieden geben,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215746"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Philosophie Paniscus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_34" prev="#ID_33"> nicht einfach in das Mittelalter zurückzuversetzen vermögen, sind Suchende-,<lb/>
wir sollten uns gegenwärtig halten, daß wir inmitten großer Krisen stehen, die<lb/>
nicht einzelne Gebiete, sondern die ganze geistige Existenz betreffen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_35"> Fragen wir nun bei Paulsen nach dem Gegenstande der Religion, nach<lb/>
Gott, so läßt die Antwort allerdings an Klarheit und Bestimmtheit zu wünschen<lb/>
übrig. Der &#x201E;nnthropomorphischc Theismus" wird abgelehnt, und uuter den<lb/>
beiden andern kosmologischen Vorstellungen, dem Atomismus und dem pan-<lb/>
theistischen Monismus, wird der letztere vorgezogen. Es versteht sich vini selbst,<lb/>
daß der Atomismus nicht als physikalische, sondern nur als kvsmologische<lb/>
Hypothese verworfen wird, und daß der Verfasser nicht etwa den Versuch macht,<lb/>
durch einen förmlichen Beweis seines Monismus den Grenzgraben zu über¬<lb/>
springen, den Kant der Wissenschaft gezogen hat. &#x201E;Die Zeit &#x2014; sagt er &#x2014;<lb/>
dürste vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Not¬<lb/>
wendigkeit dieses oder jenes Wcltbegriffs ausmachen zu können. Die Beweise<lb/>
für die letzten Gedanken über die Dinge werden im wesentlichen daraus hinaus¬<lb/>
kommen, daß man zeigt, wie die Thatsachen auf einen solchen Abschluß unsrer<lb/>
Versuche, sie zu konstruiren, hinweisen oder gleichsam gegen jene Gedanken kon-<lb/>
vergiren." Wir bekennen uns als Glaubensgenossen Paniscus, da sein Pan¬<lb/>
theismus den Glauben an einen persönlichen Gott nicht ans-, sondern ein¬<lb/>
schließt. Zwar mag er den Ausdruck Persönlichkeit auf Gott nicht anwenden,<lb/>
aber S. 265 sagt er ausdrücklich, daß Gott in den Dingen nicht aufgehe, daß<lb/>
sein unendliches Wesen &#x201E;durch die Bestimmungen des Wirklichen, die wir sehen,<lb/>
durch Körper und Geist, durch Ausdehnung und Denken" nicht erschöpft werde,<lb/>
nachdem er schon vorher versichert hat, er wolle Gott nichts nehmen, sondern<lb/>
verwerfe den Begriff der Persönlichkeit nur, weil dieser für die unendliche Fülle<lb/>
und Tiefe seines Wesens zu eng sei; nicht zwar ein unpersönliches, aber ein<lb/>
überpersönliches Wesen sei Gott. Dann führt er fort: &#x201E;Übrigens würden wir<lb/>
uns, nachdem dies vorausgeschickt ist, auch nicht weiter dagegen sträuben, dem<lb/>
All-Einen Persönlichkeit beizulegen; da menschlich-geistiges Leben das Höchste<lb/>
und Bedeutendste ist, was wir kennen, so können wir Gott, wenn wir uns<lb/>
überhaupt von ihm eine Vorstellung machen wollen, nur durch menschliches<lb/>
Wesen in höchster Steigerung vorstellen. Die Philosophie ist hier in derselben<lb/>
Lage wie die .Kunst. Wenn diese Gott darzustellen unternimmt, so giebt sie<lb/>
ihm die leibliche Gestalt eines Menschen.... Nun, in demselben Sinne, als<lb/>
Symbol, können wir Gott auch die geistige Gestalt beilegen, die wir an den<lb/>
besten und größten Menschen verehren.. .. Das ist der mögliche und notwen¬<lb/>
dige Anthropomorphismus aller Religion. Wir kennen keinen andern Geist<lb/>
als irdischmenschlichen, darum können wir uns Gott durch ihn vorstellen, nicht<lb/>
weil er so sein muß, sondern weil unsre Vorstellungen nicht über unser Er¬<lb/>
leben hinausreichen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_36" next="#ID_37"> Können wir uns also mit seiner Vorstellung von Gott zufrieden geben,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] Die Philosophie Paniscus nicht einfach in das Mittelalter zurückzuversetzen vermögen, sind Suchende-, wir sollten uns gegenwärtig halten, daß wir inmitten großer Krisen stehen, die nicht einzelne Gebiete, sondern die ganze geistige Existenz betreffen." Fragen wir nun bei Paulsen nach dem Gegenstande der Religion, nach Gott, so läßt die Antwort allerdings an Klarheit und Bestimmtheit zu wünschen übrig. Der „nnthropomorphischc Theismus" wird abgelehnt, und uuter den beiden andern kosmologischen Vorstellungen, dem Atomismus und dem pan- theistischen Monismus, wird der letztere vorgezogen. Es versteht sich vini selbst, daß der Atomismus nicht als physikalische, sondern nur als kvsmologische Hypothese verworfen wird, und daß der Verfasser nicht etwa den Versuch macht, durch einen förmlichen Beweis seines Monismus den Grenzgraben zu über¬ springen, den Kant der Wissenschaft gezogen hat. „Die Zeit — sagt er — dürste vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Not¬ wendigkeit dieses oder jenes Wcltbegriffs ausmachen zu können. Die Beweise für die letzten Gedanken über die Dinge werden im wesentlichen daraus hinaus¬ kommen, daß man zeigt, wie die Thatsachen auf einen solchen Abschluß unsrer Versuche, sie zu konstruiren, hinweisen oder gleichsam gegen jene Gedanken kon- vergiren." Wir bekennen uns als Glaubensgenossen Paniscus, da sein Pan¬ theismus den Glauben an einen persönlichen Gott nicht ans-, sondern ein¬ schließt. Zwar mag er den Ausdruck Persönlichkeit auf Gott nicht anwenden, aber S. 265 sagt er ausdrücklich, daß Gott in den Dingen nicht aufgehe, daß sein unendliches Wesen „durch die Bestimmungen des Wirklichen, die wir sehen, durch Körper und Geist, durch Ausdehnung und Denken" nicht erschöpft werde, nachdem er schon vorher versichert hat, er wolle Gott nichts nehmen, sondern verwerfe den Begriff der Persönlichkeit nur, weil dieser für die unendliche Fülle und Tiefe seines Wesens zu eng sei; nicht zwar ein unpersönliches, aber ein überpersönliches Wesen sei Gott. Dann führt er fort: „Übrigens würden wir uns, nachdem dies vorausgeschickt ist, auch nicht weiter dagegen sträuben, dem All-Einen Persönlichkeit beizulegen; da menschlich-geistiges Leben das Höchste und Bedeutendste ist, was wir kennen, so können wir Gott, wenn wir uns überhaupt von ihm eine Vorstellung machen wollen, nur durch menschliches Wesen in höchster Steigerung vorstellen. Die Philosophie ist hier in derselben Lage wie die .Kunst. Wenn diese Gott darzustellen unternimmt, so giebt sie ihm die leibliche Gestalt eines Menschen.... Nun, in demselben Sinne, als Symbol, können wir Gott auch die geistige Gestalt beilegen, die wir an den besten und größten Menschen verehren.. .. Das ist der mögliche und notwen¬ dige Anthropomorphismus aller Religion. Wir kennen keinen andern Geist als irdischmenschlichen, darum können wir uns Gott durch ihn vorstellen, nicht weil er so sein muß, sondern weil unsre Vorstellungen nicht über unser Er¬ leben hinausreichen." Können wir uns also mit seiner Vorstellung von Gott zufrieden geben,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/22>, abgerufen am 27.06.2024.