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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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^tlo Ludwigs gesammelte Schriften

ein ganz leichthin zufällig gesvrochnes, als ein Gewicht in meine Brust gefalle"
war." Mit diesem Lobe soll durchaus kein Stein auf Heydrich geworfen
worden. Heydrich glaubte eben, daß eine Skizze genügen würde, die Leser
des Dichters mit seinem Geistesleben vertraut zu machen. Vielleicht wider¬
stand es ihm auch, die tiefen Seelenkämpfe Ludwigs, die er als dessen treuer
Freund nur zu gut kannte, zum Teil selbst mit erlebt hatte, öffentlich zu be¬
sprechen. Ans alle Fälle ist das Bild des Dichters erst dnrch die Biographie
Sterns plastisch abgerundet und in allen Einzelheiten überzeugend geworden.
Mit umfassender Kenntnis der Znstnnde, namentlich der Kunstverhältnisse, in
denen Ludwig aufwuchs, verbindet dieses Lebensbild das Feingefühl und den
Scharfblick des Psychologen, der die poetische Entwicklung Ludwigs Schritt
für Schritt begleitet, von den ersten Jünglingsjahren an, wo sich der schüch¬
terne, verwaiste Kaufmannslehrling ans dein Kramladen in die Stille seines
Gartens flüchtet, bis zu dem tief erschütternden Siechbett, auf dem sich der
gereifte Dichter brechenden Auges losreißen muß von den herrlichsten Plänen
und in geduldigen Verzicht auf jegliches Entgelt für jahrelanges Ringen seine
Seele aushaucht. Wahrlich, wen dieses Leben kühl läßt, der ist um das
Maß seines Verständnisses für höchste menschliche Eigenschaften nicht zu be¬
neiden.

Die Sammlung der Werke Ludwigs wird dnrch die lyrischen Gedichte
eröffnet. Schon hier zeigt sich, wie viel Herrliches ans Tageslicht zu ziehen
war. Die Jankische Ausgabe vom Jahre 1870 hatte im ganzen nnr acht
Lieder aufgenommen, und zwar keineswegs die wertvollsten. Die Grnnowsche
Ausgabe hat hier jetzt völlig Wandel geschafft: statt der kärglichen acht hat
sie gegen fünfzig, meist wertvolle Gedichte ausgewählt, scheinbar noch immer
eine recht geringe Zahl. Aber mau muß bedenken, daß Ludwig in erster Linie
nicht lyrischer, sondern dramatischer und erzählender Dichter war und sei"
wollte, und daß er in seinen spätern Jahren, besonders seit 1845, dem Eitt-
stehnngsjahr seiner prächtigen "Buschlieder." nur wenig Lyrisches mehr ge¬
dichtet hat. Die Jugcndlieder wären freilich zu verzehnfachen gewesen, aber
es ist dem Herausgeber nnr zu danken, daß er, sicherlich im Sinne Ludwigs
selbst, zum Teil sogar nach dessen ausdrücklichen Angaben, diese Menge einer
gründlichen Sichtung unterzogen hat; mancher andre unsrer heutigen Heraus¬
geber könnte sich dieses Verfahren zum Muster nehmen. Nur einige wenige
von den frühesten Versuchen hat Stern, als interessante Marksteine auf dem
Entwicklungswege des Dichters, mit aufgenommen. Aber manches kostbare
Stück ist durch die neue Ausgabe min für immer der Vergessenheit entrissen,
so das tief ergreifende Volkslied: "O Lindenbaum, du treuer" mit dem Kehr¬
reim: "Ich war wie du, o Linde, Sie, ach! ist wie der Wind," und manche
schöne Romanze, wie z. V. "Fides" ans dem unvollendeten Cyklus "Okta-
vian." Obwohl Ludwigs lyrische Sprache gelegentlich um Gewaltsamkeiten


^tlo Ludwigs gesammelte Schriften

ein ganz leichthin zufällig gesvrochnes, als ein Gewicht in meine Brust gefalle»
war." Mit diesem Lobe soll durchaus kein Stein auf Heydrich geworfen
worden. Heydrich glaubte eben, daß eine Skizze genügen würde, die Leser
des Dichters mit seinem Geistesleben vertraut zu machen. Vielleicht wider¬
stand es ihm auch, die tiefen Seelenkämpfe Ludwigs, die er als dessen treuer
Freund nur zu gut kannte, zum Teil selbst mit erlebt hatte, öffentlich zu be¬
sprechen. Ans alle Fälle ist das Bild des Dichters erst dnrch die Biographie
Sterns plastisch abgerundet und in allen Einzelheiten überzeugend geworden.
Mit umfassender Kenntnis der Znstnnde, namentlich der Kunstverhältnisse, in
denen Ludwig aufwuchs, verbindet dieses Lebensbild das Feingefühl und den
Scharfblick des Psychologen, der die poetische Entwicklung Ludwigs Schritt
für Schritt begleitet, von den ersten Jünglingsjahren an, wo sich der schüch¬
terne, verwaiste Kaufmannslehrling ans dein Kramladen in die Stille seines
Gartens flüchtet, bis zu dem tief erschütternden Siechbett, auf dem sich der
gereifte Dichter brechenden Auges losreißen muß von den herrlichsten Plänen
und in geduldigen Verzicht auf jegliches Entgelt für jahrelanges Ringen seine
Seele aushaucht. Wahrlich, wen dieses Leben kühl läßt, der ist um das
Maß seines Verständnisses für höchste menschliche Eigenschaften nicht zu be¬
neiden.

Die Sammlung der Werke Ludwigs wird dnrch die lyrischen Gedichte
eröffnet. Schon hier zeigt sich, wie viel Herrliches ans Tageslicht zu ziehen
war. Die Jankische Ausgabe vom Jahre 1870 hatte im ganzen nnr acht
Lieder aufgenommen, und zwar keineswegs die wertvollsten. Die Grnnowsche
Ausgabe hat hier jetzt völlig Wandel geschafft: statt der kärglichen acht hat
sie gegen fünfzig, meist wertvolle Gedichte ausgewählt, scheinbar noch immer
eine recht geringe Zahl. Aber mau muß bedenken, daß Ludwig in erster Linie
nicht lyrischer, sondern dramatischer und erzählender Dichter war und sei»
wollte, und daß er in seinen spätern Jahren, besonders seit 1845, dem Eitt-
stehnngsjahr seiner prächtigen „Buschlieder." nur wenig Lyrisches mehr ge¬
dichtet hat. Die Jugcndlieder wären freilich zu verzehnfachen gewesen, aber
es ist dem Herausgeber nnr zu danken, daß er, sicherlich im Sinne Ludwigs
selbst, zum Teil sogar nach dessen ausdrücklichen Angaben, diese Menge einer
gründlichen Sichtung unterzogen hat; mancher andre unsrer heutigen Heraus¬
geber könnte sich dieses Verfahren zum Muster nehmen. Nur einige wenige
von den frühesten Versuchen hat Stern, als interessante Marksteine auf dem
Entwicklungswege des Dichters, mit aufgenommen. Aber manches kostbare
Stück ist durch die neue Ausgabe min für immer der Vergessenheit entrissen,
so das tief ergreifende Volkslied: „O Lindenbaum, du treuer" mit dem Kehr¬
reim: „Ich war wie du, o Linde, Sie, ach! ist wie der Wind," und manche
schöne Romanze, wie z. V. „Fides" ans dem unvollendeten Cyklus „Okta-
vian." Obwohl Ludwigs lyrische Sprache gelegentlich um Gewaltsamkeiten


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[0186] ^tlo Ludwigs gesammelte Schriften ein ganz leichthin zufällig gesvrochnes, als ein Gewicht in meine Brust gefalle» war." Mit diesem Lobe soll durchaus kein Stein auf Heydrich geworfen worden. Heydrich glaubte eben, daß eine Skizze genügen würde, die Leser des Dichters mit seinem Geistesleben vertraut zu machen. Vielleicht wider¬ stand es ihm auch, die tiefen Seelenkämpfe Ludwigs, die er als dessen treuer Freund nur zu gut kannte, zum Teil selbst mit erlebt hatte, öffentlich zu be¬ sprechen. Ans alle Fälle ist das Bild des Dichters erst dnrch die Biographie Sterns plastisch abgerundet und in allen Einzelheiten überzeugend geworden. Mit umfassender Kenntnis der Znstnnde, namentlich der Kunstverhältnisse, in denen Ludwig aufwuchs, verbindet dieses Lebensbild das Feingefühl und den Scharfblick des Psychologen, der die poetische Entwicklung Ludwigs Schritt für Schritt begleitet, von den ersten Jünglingsjahren an, wo sich der schüch¬ terne, verwaiste Kaufmannslehrling ans dein Kramladen in die Stille seines Gartens flüchtet, bis zu dem tief erschütternden Siechbett, auf dem sich der gereifte Dichter brechenden Auges losreißen muß von den herrlichsten Plänen und in geduldigen Verzicht auf jegliches Entgelt für jahrelanges Ringen seine Seele aushaucht. Wahrlich, wen dieses Leben kühl läßt, der ist um das Maß seines Verständnisses für höchste menschliche Eigenschaften nicht zu be¬ neiden. Die Sammlung der Werke Ludwigs wird dnrch die lyrischen Gedichte eröffnet. Schon hier zeigt sich, wie viel Herrliches ans Tageslicht zu ziehen war. Die Jankische Ausgabe vom Jahre 1870 hatte im ganzen nnr acht Lieder aufgenommen, und zwar keineswegs die wertvollsten. Die Grnnowsche Ausgabe hat hier jetzt völlig Wandel geschafft: statt der kärglichen acht hat sie gegen fünfzig, meist wertvolle Gedichte ausgewählt, scheinbar noch immer eine recht geringe Zahl. Aber mau muß bedenken, daß Ludwig in erster Linie nicht lyrischer, sondern dramatischer und erzählender Dichter war und sei» wollte, und daß er in seinen spätern Jahren, besonders seit 1845, dem Eitt- stehnngsjahr seiner prächtigen „Buschlieder." nur wenig Lyrisches mehr ge¬ dichtet hat. Die Jugcndlieder wären freilich zu verzehnfachen gewesen, aber es ist dem Herausgeber nnr zu danken, daß er, sicherlich im Sinne Ludwigs selbst, zum Teil sogar nach dessen ausdrücklichen Angaben, diese Menge einer gründlichen Sichtung unterzogen hat; mancher andre unsrer heutigen Heraus¬ geber könnte sich dieses Verfahren zum Muster nehmen. Nur einige wenige von den frühesten Versuchen hat Stern, als interessante Marksteine auf dem Entwicklungswege des Dichters, mit aufgenommen. Aber manches kostbare Stück ist durch die neue Ausgabe min für immer der Vergessenheit entrissen, so das tief ergreifende Volkslied: „O Lindenbaum, du treuer" mit dem Kehr¬ reim: „Ich war wie du, o Linde, Sie, ach! ist wie der Wind," und manche schöne Romanze, wie z. V. „Fides" ans dem unvollendeten Cyklus „Okta- vian." Obwohl Ludwigs lyrische Sprache gelegentlich um Gewaltsamkeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/186>, abgerufen am 24.07.2024.