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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Gelo Ludwigs gesammelte Schriften

und Härten leidet, in dem kleinen Gedicht "Fides" zeigt er sich als form¬
vollendeter Meister:

O, laß mir deine Hände,
Du holdes, bleiches Weib;
O, laß sie mir und wende
Nicht ab deu zarten Leib.
Die Abendlichter schweben
In Lieb herab zu dir;
Ich weiß gewiß, sie heben
Dich mit -- o laß sie mir.
Aus deinem Nacken drängen
Schon Engelsschwingen vor;
Fest will ich an dir hängen;
So steig ich mit empor!

Solcher funkelnden Perlen sind freilich nur wenige in der Sammlung zu finden,
und wen" mau Ludwigs Lyrik im ganzen überschaut, wird mau eingestehen müssen,
daß die Stärke des Dichters nicht auf diesem Gebiete lag. Aber es ist ja
eine oft beobachtete Thatsache, daß sich bei stille", aber starke" Naturen die
dramatische Begabung um so mehr hervordrängt, je mehr ih"e" die Gelegen¬
heit, im Leben selbst handelnd aufzutreten, versagt bleibt. So schön daher die
"Buschlieder" sein mögen, mit manchem mehr dramatischen Gedicht aus den
spätern Jahren, wie der Ballade "Das Lied von der Beruauerin" oder gar
der erschütternden patriotischen Elegie: "1848," können sie den Vergleich nicht
aushalten. Besonders das letztgenannte Lied gehört wohl zu dem schönsten,
was die Zeit des ersten brausenden Freiheitssturmes hervorgerufen hat.

Den Schluß des ersten Bandes bildet Ludwigs unvergängliches Meister¬
werk, die klassische Novelle "Zwischen Himmel und Erde." Nach meinem
Empfinden ist diese Erzählung die Krone aller novellistischen Schöpfungen der
Litterciturperivde zwischen 1848 und 1870. Zwar wird wohl selbst mancher
Leser der Grenzboten über diese kühne Behauptung den Kopf schütteln, denn
nicht leicht ist ein Werk so viel umstritten worden wie dieses. Aber viermal
habe ich die Erzühluug durchgelesen, und bei jedem mal ist es mir nur immer
klarer geworden: "Zwischen Himmel und Erde" steht einzig da in unsrer ge¬
samten Litteratur und ragt turmhoch empor über unsre gesamte moderne No-
vellistik, selbst Heyse und Konrad Ferdinand Meyer reichen zu dieser Höhe
nicht hinan. Wenn sich trotz alledem immer wieder heftige Stimmen gegen
diese Schöpfung erheben, so erklärt sich das nur daraus, daß es eben Leute giebt,
die den Dichter nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Nur zwei oft
wiederholte Vorwürfe möchte ich herausgreifen, die die Gestalt des Apollonius
betreffen. Man wirft Ludwig vor, er habe in dem "Federchensucher" ein
falsches Ideal, sein Ideal gezeichnet. Und doch wie klar und einfach ist, was
Ludwig selber sagt: "Ich zeigte in zwei Menschen die Extreme, zwischeu denen


Gelo Ludwigs gesammelte Schriften

und Härten leidet, in dem kleinen Gedicht „Fides" zeigt er sich als form¬
vollendeter Meister:

O, laß mir deine Hände,
Du holdes, bleiches Weib;
O, laß sie mir und wende
Nicht ab deu zarten Leib.
Die Abendlichter schweben
In Lieb herab zu dir;
Ich weiß gewiß, sie heben
Dich mit — o laß sie mir.
Aus deinem Nacken drängen
Schon Engelsschwingen vor;
Fest will ich an dir hängen;
So steig ich mit empor!

Solcher funkelnden Perlen sind freilich nur wenige in der Sammlung zu finden,
und wen» mau Ludwigs Lyrik im ganzen überschaut, wird mau eingestehen müssen,
daß die Stärke des Dichters nicht auf diesem Gebiete lag. Aber es ist ja
eine oft beobachtete Thatsache, daß sich bei stille», aber starke» Naturen die
dramatische Begabung um so mehr hervordrängt, je mehr ih»e» die Gelegen¬
heit, im Leben selbst handelnd aufzutreten, versagt bleibt. So schön daher die
„Buschlieder" sein mögen, mit manchem mehr dramatischen Gedicht aus den
spätern Jahren, wie der Ballade „Das Lied von der Beruauerin" oder gar
der erschütternden patriotischen Elegie: „1848," können sie den Vergleich nicht
aushalten. Besonders das letztgenannte Lied gehört wohl zu dem schönsten,
was die Zeit des ersten brausenden Freiheitssturmes hervorgerufen hat.

Den Schluß des ersten Bandes bildet Ludwigs unvergängliches Meister¬
werk, die klassische Novelle „Zwischen Himmel und Erde." Nach meinem
Empfinden ist diese Erzählung die Krone aller novellistischen Schöpfungen der
Litterciturperivde zwischen 1848 und 1870. Zwar wird wohl selbst mancher
Leser der Grenzboten über diese kühne Behauptung den Kopf schütteln, denn
nicht leicht ist ein Werk so viel umstritten worden wie dieses. Aber viermal
habe ich die Erzühluug durchgelesen, und bei jedem mal ist es mir nur immer
klarer geworden: „Zwischen Himmel und Erde" steht einzig da in unsrer ge¬
samten Litteratur und ragt turmhoch empor über unsre gesamte moderne No-
vellistik, selbst Heyse und Konrad Ferdinand Meyer reichen zu dieser Höhe
nicht hinan. Wenn sich trotz alledem immer wieder heftige Stimmen gegen
diese Schöpfung erheben, so erklärt sich das nur daraus, daß es eben Leute giebt,
die den Dichter nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Nur zwei oft
wiederholte Vorwürfe möchte ich herausgreifen, die die Gestalt des Apollonius
betreffen. Man wirft Ludwig vor, er habe in dem „Federchensucher" ein
falsches Ideal, sein Ideal gezeichnet. Und doch wie klar und einfach ist, was
Ludwig selber sagt: „Ich zeigte in zwei Menschen die Extreme, zwischeu denen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/187>, abgerufen am 23.07.2024.