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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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verkommner Gesell war, Anders verhält es sich aber mit den geistigen Denk¬
mälern, den großen Kunstwerken, die der Künstler selbst zu seines Volkes und
seinein eignen Ruhm geschaffen hat. An ihnen kann sich ein Volk leicht ver¬
gehen, indem eS unterläßt, sie zur rechte" Zeit aufzustellen und jedermann zu¬
gänglich zu mache", ohne Bild geredet: sie zu veröffentliche!? und nicht erst in
Vergessenheit gerate" zu lassen. Die Tagesgrößen sorgen ja selbst dafür, daß
nicht leicht ein Blättchen von ihnen ungedruckt bleibe, und spielen ihre Romane
erst in siebzig Zeitungen und nacher in sieben Ausgaben und endlich noch bei
Lebzeiten in "gesammelten Werken" dem verehrlichen Publikum in die Hände.
Die wahrhaften Künstler und Dichter aber, vor allem solche von so besonder",
E"kwiell""gsga"ge wie Otto Ludwig, bedürfen des dankbaren Anteils der Nach¬
welt. Zu den Tagesgrößen hat Otto Ludwig aber ebenso wenig gehört, wie
zu den Tendcnzschreibern; ihm war die Kunst noch nicht Mittel zum Zweck,
sonder" Selbstzweck. Die Presse hat ihn darum nie eigentlich auf den Schild
erhoben, selbst bei seinem ersten Auftreten zollte" ihm nur die Stimmen einiger
Wenige" Anerkennung. In der That war auch seine ganze Persönlichkeit, sei"
Wolle" und Streben nicht darnach aiigetha", das Interesse der Zeittmgswelt,
das schon damals nach andern Dingen, als nach echten Kunstschöpfungen
ging, in besonder," Maße zu fesseln. Wohl ist die Verpflicht"ng, die die
deutsche Nation und die deutsche Litteratur gegen den Dichter der "Mcckkn-
bäer" hatten, bald nach Ludwigs Tode empfunden worden. Aber die Aus¬
gabe von 1870 (Berlin, bei O. Jcncke) konnte trotz der ausgezeichneten Ein-
leitung Gustav Freytags nur dem ersten dringenden Bedürfnis genügen. Im
Jahre 1873 folgten dann, wieder mir unvollkomne" ergänzend, Ludwigs
"Nachlaßschriften," besorgt durch des Dichters langjährigen, treuen Freund
Moritz Hehdrich, der zugleich mit den "Shakespearestndien" und den "Skizzen
und Fragmente"" die erste Biographie des Dichters gab, die leider akiz"k"rz
u"d skizzenhaft ausfiel. Immerhin weckten diese Ausgaben die Teilnahme der
Empfänglichen und vertieften die Achtung vor dem Dichter. Der Wunsch aber,
eine wahrhaft würdige, annähernd vollständige und die ganze Entwicklung Lud¬
wigs treu und scharf spiegelnde Ausgabe seiner Werke zu habe", mußte noch
lange vergeblich auf Erfüllung warten. Gut Ding will Weile haben, zumal
in Deutschland. Im Jahre 1892 ist endlich die genannte Ausgabe hervor¬
getreten, die zum erstenmale auch den gesamten (jetzt in den Besitz des Weima-
rischen Goethe-Schillerarchivs übergegangueu) litterarischen Nachlaß des Dichters
zur Verfügung hatte, und deren Herausgeber vou vornherein dafür bürgte",
daß das Möglichste zu Ehren Ludwigs geschehen werde. Aber so spät die
Gesamtausgabe zu stände gekommen ist, sie ist der Aufnahmefähigkeit immer
noch vorangeeilt, nur allmählich gewinnt sie Verbreitung und uoch allmählicher
die verdiente litterarische Würdigung.

Das geistige Denkmal, das die beiden Herausgeber dem Dichter errichtet


verkommner Gesell war, Anders verhält es sich aber mit den geistigen Denk¬
mälern, den großen Kunstwerken, die der Künstler selbst zu seines Volkes und
seinein eignen Ruhm geschaffen hat. An ihnen kann sich ein Volk leicht ver¬
gehen, indem eS unterläßt, sie zur rechte» Zeit aufzustellen und jedermann zu¬
gänglich zu mache», ohne Bild geredet: sie zu veröffentliche!? und nicht erst in
Vergessenheit gerate» zu lassen. Die Tagesgrößen sorgen ja selbst dafür, daß
nicht leicht ein Blättchen von ihnen ungedruckt bleibe, und spielen ihre Romane
erst in siebzig Zeitungen und nacher in sieben Ausgaben und endlich noch bei
Lebzeiten in „gesammelten Werken" dem verehrlichen Publikum in die Hände.
Die wahrhaften Künstler und Dichter aber, vor allem solche von so besonder»,
E»kwiell»»gsga»ge wie Otto Ludwig, bedürfen des dankbaren Anteils der Nach¬
welt. Zu den Tagesgrößen hat Otto Ludwig aber ebenso wenig gehört, wie
zu den Tendcnzschreibern; ihm war die Kunst noch nicht Mittel zum Zweck,
sonder» Selbstzweck. Die Presse hat ihn darum nie eigentlich auf den Schild
erhoben, selbst bei seinem ersten Auftreten zollte» ihm nur die Stimmen einiger
Wenige» Anerkennung. In der That war auch seine ganze Persönlichkeit, sei»
Wolle» und Streben nicht darnach aiigetha», das Interesse der Zeittmgswelt,
das schon damals nach andern Dingen, als nach echten Kunstschöpfungen
ging, in besonder,» Maße zu fesseln. Wohl ist die Verpflicht»ng, die die
deutsche Nation und die deutsche Litteratur gegen den Dichter der „Mcckkn-
bäer" hatten, bald nach Ludwigs Tode empfunden worden. Aber die Aus¬
gabe von 1870 (Berlin, bei O. Jcncke) konnte trotz der ausgezeichneten Ein-
leitung Gustav Freytags nur dem ersten dringenden Bedürfnis genügen. Im
Jahre 1873 folgten dann, wieder mir unvollkomne» ergänzend, Ludwigs
„Nachlaßschriften," besorgt durch des Dichters langjährigen, treuen Freund
Moritz Hehdrich, der zugleich mit den „Shakespearestndien" und den „Skizzen
und Fragmente»" die erste Biographie des Dichters gab, die leider akiz»k»rz
u»d skizzenhaft ausfiel. Immerhin weckten diese Ausgaben die Teilnahme der
Empfänglichen und vertieften die Achtung vor dem Dichter. Der Wunsch aber,
eine wahrhaft würdige, annähernd vollständige und die ganze Entwicklung Lud¬
wigs treu und scharf spiegelnde Ausgabe seiner Werke zu habe», mußte noch
lange vergeblich auf Erfüllung warten. Gut Ding will Weile haben, zumal
in Deutschland. Im Jahre 1892 ist endlich die genannte Ausgabe hervor¬
getreten, die zum erstenmale auch den gesamten (jetzt in den Besitz des Weima-
rischen Goethe-Schillerarchivs übergegangueu) litterarischen Nachlaß des Dichters
zur Verfügung hatte, und deren Herausgeber vou vornherein dafür bürgte»,
daß das Möglichste zu Ehren Ludwigs geschehen werde. Aber so spät die
Gesamtausgabe zu stände gekommen ist, sie ist der Aufnahmefähigkeit immer
noch vorangeeilt, nur allmählich gewinnt sie Verbreitung und uoch allmählicher
die verdiente litterarische Würdigung.

Das geistige Denkmal, das die beiden Herausgeber dem Dichter errichtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/184>, abgerufen am 02.07.2024.