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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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"ern Sammlung der Schriften Otto Ludwigs mit warmer Freude und Genug¬
thuung begrüßten, vermochten die andern nur schlecht ihren Verdruß zu ver¬
bergen, daß ihnen angesonnen wurde, sich um einen toten Eisfelder, statt um die
lebendigen Berliner zu bekümmern. Es gehörte zu den kläglichen Kennzeichen
des Tages und der herrschenden litterarischen Zustände, daß die Kritiker eines
Teiles unsrer Zeitungen, als die neue Ausgabe der Werke des Dichters zu er¬
scheinen begann, von ihm als von einem "Verschollner" sprachen, da in den
Anschauungen dieser Leute jeder verschollen ist, für den nicht täglich das Re¬
klametamtam und die Radnubeckeu geschlagen werden. Andre, die sich ans ihre
höhere Anschauung etwas zu gute thaten, gaben freilich zu, daß Namen und
Werke des Dichters der deutsche" Litteratur dauernd angehörten, aber sie
deuteten an, daß die Meisterschaft und Tiefe des Dichters doch nicht ganz zur
Stimmung des Tages paßten, und daß die Zeit etwas ganz andres brauche,
als "shakespearisirende" Tragödien und Erzählungen aus dem Leben einer
Kleinstadt. Alles in allem aber hat doch die von Adolf Stern und Erich
Schmidt veranstaltete Ausgabe von Otto Ludwigs gesammelten Schriften
(Leipzig, Fr. Will). Grunow; 6 Bünde), die Augen aller aus deu Dichter zu-
rttckgelentt, die schon vor Jahrzehnten Anteil an der mächtigen Erscheinung des
poetischen Thüringers genommen hatten, und fängt wenigstens an, in einzelnen
Kreisen anch solche, die bisher etwa nur "Zwischen Himmel und Erde" gelesen
hatten, mit tieferen Interesse zu erfüllen.

Die neue Ausgabe gehört nicht zu den modernen Luxusausgaben, sondern
entsprang einem Pietätsbedürfnis und der Überzeugung, daß das Gute und
Beste uicht verloren gehen dürfe. Sie löst in würdiger Weise im Namen
unsers Volks eine alte Schuld des Dankes ein gegen den seit drei Jahrzehnten
verstorbnen Dichter. Gerade in unsrer denkmalsseligen, jubiläumsfröhlichen
Zeit war eine solche Schuld für alle die, bei deuen sich das nationale Ehr¬
gefühl noch in andern als in politischen Fragen regt, doppelt drückend, denn
fast will es scheinen, als setzte man in Deutschland nur deu kleinen Geistern
Denkmäler, und die großen müßten sich an ihrem Nachruhm, dem famosen
invnumvnwm aerv persiuüus, genügen lassen. Von ehernen und steinernen
Säulen will ich gar nicht einmal reden, da hierbei bekanntlich Eitelkeit, Dekv-
rntionswnt, Mäeeuateuwahn und Parteiabsichten eine große, bisweilen traurige
Rolle spielen. Mag man z. V. Waldherr von der Vogelweide oder Albert
Lvrtzing ruhig ihre elenden Steine um der Kirchenmauer oder der Friedhofs¬
ecke lassen,") dem großen ExHerzog Karl von Braunschweig dagegen sein Genfer
Millivnenstandbild, ihre Thaten leben, und das genügt ja, um zu wissen, daß
die einen gottbegnadete Künstler, der andre trotz seiner fürstlichen Geburt ein



") Walther von der Voaclweide hat ja außer dem Würzburger Grabstein ein stattliches
D. R, Marmvrstcmdbild in Bozen erhalten.

»ern Sammlung der Schriften Otto Ludwigs mit warmer Freude und Genug¬
thuung begrüßten, vermochten die andern nur schlecht ihren Verdruß zu ver¬
bergen, daß ihnen angesonnen wurde, sich um einen toten Eisfelder, statt um die
lebendigen Berliner zu bekümmern. Es gehörte zu den kläglichen Kennzeichen
des Tages und der herrschenden litterarischen Zustände, daß die Kritiker eines
Teiles unsrer Zeitungen, als die neue Ausgabe der Werke des Dichters zu er¬
scheinen begann, von ihm als von einem „Verschollner" sprachen, da in den
Anschauungen dieser Leute jeder verschollen ist, für den nicht täglich das Re¬
klametamtam und die Radnubeckeu geschlagen werden. Andre, die sich ans ihre
höhere Anschauung etwas zu gute thaten, gaben freilich zu, daß Namen und
Werke des Dichters der deutsche» Litteratur dauernd angehörten, aber sie
deuteten an, daß die Meisterschaft und Tiefe des Dichters doch nicht ganz zur
Stimmung des Tages paßten, und daß die Zeit etwas ganz andres brauche,
als „shakespearisirende" Tragödien und Erzählungen aus dem Leben einer
Kleinstadt. Alles in allem aber hat doch die von Adolf Stern und Erich
Schmidt veranstaltete Ausgabe von Otto Ludwigs gesammelten Schriften
(Leipzig, Fr. Will). Grunow; 6 Bünde), die Augen aller aus deu Dichter zu-
rttckgelentt, die schon vor Jahrzehnten Anteil an der mächtigen Erscheinung des
poetischen Thüringers genommen hatten, und fängt wenigstens an, in einzelnen
Kreisen anch solche, die bisher etwa nur „Zwischen Himmel und Erde" gelesen
hatten, mit tieferen Interesse zu erfüllen.

Die neue Ausgabe gehört nicht zu den modernen Luxusausgaben, sondern
entsprang einem Pietätsbedürfnis und der Überzeugung, daß das Gute und
Beste uicht verloren gehen dürfe. Sie löst in würdiger Weise im Namen
unsers Volks eine alte Schuld des Dankes ein gegen den seit drei Jahrzehnten
verstorbnen Dichter. Gerade in unsrer denkmalsseligen, jubiläumsfröhlichen
Zeit war eine solche Schuld für alle die, bei deuen sich das nationale Ehr¬
gefühl noch in andern als in politischen Fragen regt, doppelt drückend, denn
fast will es scheinen, als setzte man in Deutschland nur deu kleinen Geistern
Denkmäler, und die großen müßten sich an ihrem Nachruhm, dem famosen
invnumvnwm aerv persiuüus, genügen lassen. Von ehernen und steinernen
Säulen will ich gar nicht einmal reden, da hierbei bekanntlich Eitelkeit, Dekv-
rntionswnt, Mäeeuateuwahn und Parteiabsichten eine große, bisweilen traurige
Rolle spielen. Mag man z. V. Waldherr von der Vogelweide oder Albert
Lvrtzing ruhig ihre elenden Steine um der Kirchenmauer oder der Friedhofs¬
ecke lassen,") dem großen ExHerzog Karl von Braunschweig dagegen sein Genfer
Millivnenstandbild, ihre Thaten leben, und das genügt ja, um zu wissen, daß
die einen gottbegnadete Künstler, der andre trotz seiner fürstlichen Geburt ein



") Walther von der Voaclweide hat ja außer dem Würzburger Grabstein ein stattliches
D. R, Marmvrstcmdbild in Bozen erhalten.
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[0183] »ern Sammlung der Schriften Otto Ludwigs mit warmer Freude und Genug¬ thuung begrüßten, vermochten die andern nur schlecht ihren Verdruß zu ver¬ bergen, daß ihnen angesonnen wurde, sich um einen toten Eisfelder, statt um die lebendigen Berliner zu bekümmern. Es gehörte zu den kläglichen Kennzeichen des Tages und der herrschenden litterarischen Zustände, daß die Kritiker eines Teiles unsrer Zeitungen, als die neue Ausgabe der Werke des Dichters zu er¬ scheinen begann, von ihm als von einem „Verschollner" sprachen, da in den Anschauungen dieser Leute jeder verschollen ist, für den nicht täglich das Re¬ klametamtam und die Radnubeckeu geschlagen werden. Andre, die sich ans ihre höhere Anschauung etwas zu gute thaten, gaben freilich zu, daß Namen und Werke des Dichters der deutsche» Litteratur dauernd angehörten, aber sie deuteten an, daß die Meisterschaft und Tiefe des Dichters doch nicht ganz zur Stimmung des Tages paßten, und daß die Zeit etwas ganz andres brauche, als „shakespearisirende" Tragödien und Erzählungen aus dem Leben einer Kleinstadt. Alles in allem aber hat doch die von Adolf Stern und Erich Schmidt veranstaltete Ausgabe von Otto Ludwigs gesammelten Schriften (Leipzig, Fr. Will). Grunow; 6 Bünde), die Augen aller aus deu Dichter zu- rttckgelentt, die schon vor Jahrzehnten Anteil an der mächtigen Erscheinung des poetischen Thüringers genommen hatten, und fängt wenigstens an, in einzelnen Kreisen anch solche, die bisher etwa nur „Zwischen Himmel und Erde" gelesen hatten, mit tieferen Interesse zu erfüllen. Die neue Ausgabe gehört nicht zu den modernen Luxusausgaben, sondern entsprang einem Pietätsbedürfnis und der Überzeugung, daß das Gute und Beste uicht verloren gehen dürfe. Sie löst in würdiger Weise im Namen unsers Volks eine alte Schuld des Dankes ein gegen den seit drei Jahrzehnten verstorbnen Dichter. Gerade in unsrer denkmalsseligen, jubiläumsfröhlichen Zeit war eine solche Schuld für alle die, bei deuen sich das nationale Ehr¬ gefühl noch in andern als in politischen Fragen regt, doppelt drückend, denn fast will es scheinen, als setzte man in Deutschland nur deu kleinen Geistern Denkmäler, und die großen müßten sich an ihrem Nachruhm, dem famosen invnumvnwm aerv persiuüus, genügen lassen. Von ehernen und steinernen Säulen will ich gar nicht einmal reden, da hierbei bekanntlich Eitelkeit, Dekv- rntionswnt, Mäeeuateuwahn und Parteiabsichten eine große, bisweilen traurige Rolle spielen. Mag man z. V. Waldherr von der Vogelweide oder Albert Lvrtzing ruhig ihre elenden Steine um der Kirchenmauer oder der Friedhofs¬ ecke lassen,") dem großen ExHerzog Karl von Braunschweig dagegen sein Genfer Millivnenstandbild, ihre Thaten leben, und das genügt ja, um zu wissen, daß die einen gottbegnadete Künstler, der andre trotz seiner fürstlichen Geburt ein ") Walther von der Voaclweide hat ja außer dem Würzburger Grabstein ein stattliches D. R, Marmvrstcmdbild in Bozen erhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/183>, abgerufen am 30.06.2024.