Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Lnropa und England Eintritt Großbritanniens in den Dreibund erblicken zu müssen glaubte. Da Wie schon bemerkt, ist gegenwärtig die politische Lage Europas zu einem Wohl sind heute die Großstaaten des Festlandes mächtiger als je, aber Lnropa und England Eintritt Großbritanniens in den Dreibund erblicken zu müssen glaubte. Da Wie schon bemerkt, ist gegenwärtig die politische Lage Europas zu einem Wohl sind heute die Großstaaten des Festlandes mächtiger als je, aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215880"/> <fw type="header" place="top"> Lnropa und England</fw><lb/> <p xml:id="ID_419" prev="#ID_418"> Eintritt Großbritanniens in den Dreibund erblicken zu müssen glaubte. Da<lb/> ereignete sich der Flvttenbesuch in Kronstäbe, im Palais des Zaren erklang<lb/> die „Marseillaise" und das — an sich gänzlich unnatürliche — „ungeschriebne<lb/> Bündnis" zwischen Frankreich und Rußland war geschlossen. Seit jener Zeit<lb/> hat die Politik der Furcht wieder merklich nachgelassen; England ist selbstver¬<lb/> ständlich nicht in den Dreibund eingetreten, Rußland läßt aber den rasch er-<lb/> worbnen Freund so leicht nicht wieder ans den Armen, und Frankreich fühlt<lb/> sich dabei vor Deutschland sicher.</p><lb/> <p xml:id="ID_420"> Wie schon bemerkt, ist gegenwärtig die politische Lage Europas zu einem<lb/> gewissen Stillstande gekommen, der der Erhaltung des Friedens günstig ist.<lb/> Die Weltgeschichte hat einen Wellenschlag gethan, dessen treibende Kraft die<lb/> allgemeine Wehrpflicht war. Frankreich ist dabei am weitesten vorgeschritten,<lb/> denn es hat keinen Mann mehr einzustellen; die Staaten des Dreibundes ver¬<lb/> mögen nach dieser Richtung hin noch mehr zu leisten, am meisten Deutschland,<lb/> das anch mit der neuen Heercsvvrlage das Maß Scincus „Könnens" noch<lb/> nicht erreicht hat; Rußland ist mit der Durchführung der allgemeinen Wehr¬<lb/> pflicht nahezu fertig. In der Orgnnisations- und in der Ofsizierfrage hat<lb/> jeder Staat mehr oder weniger Preußen nachgeahmt und glaubt, das Mög¬<lb/> lichste geleistet zu haben. Unklare Friedensschwärmer — und was sonst mit<lb/> seinen politischen Gedanken in Wolkenkuckucksheim zu Hause ist — äußern über<lb/> diese Zustände, Europa „starre in Waffen"; wir behaupten nur: Europa<lb/> exerziere, und halten das Exerzieren für eine höchst friedliche und außerdem<lb/> sehr gesunde Beschäftigung. Bisher hat noch kein Staat von der allgemeinen<lb/> Wehrpflicht Nachteile gehabt, Deutschland am allerwenigsten, im Gegenteil hat<lb/> die Anspannung der Volkskraft überall das innere Staats- und Gesellschafts¬<lb/> leben angeregt und erfrischt.</p><lb/> <p xml:id="ID_421" next="#ID_422"> Wohl sind heute die Großstaaten des Festlandes mächtiger als je, aber<lb/> in den Armeen der allgemeinen Wehrpflicht liegt keine Bedrohung des Friedens;<lb/> ihr Charakter ist ausgesprochen defensiv, wenn sie auch, wie namentlich der<lb/> Feldzug von 1870 bewiesen hat, zu einer kräftigen Offensive sehr fähig sind.<lb/> Zur Verteidigung des heimischen Herdes werden sie stets vorzüglich geeignet<lb/> sein, für einen erfolgreichen Eroberungskrieg aber werden sie nicht ausreichen.<lb/> Kriege nach Art der napoleonischen sind darum für Zeutraleurvpa ausge¬<lb/> schlossen, und man kann mit Ruhe der Zukunft entgegensehen. Die Politik<lb/> der Furcht wird verschwinden und der durchaus friedliche Charakter des deutscheu<lb/> Reichs allseitig anerkannt werden. Die Franzosen werden es zwar sehr schwer<lb/> über sich gewinnen, sich mit dem Frankfurter Frieden abzufinden, dennoch wird<lb/> man dort niemals wieder Bücher schreiben wie ^.v-me la Jene:ri11<z und ?W<lb/> one-oro, auch wird mau keinen „Schnäbelefall" mehr hervorrufen, um so weniger,<lb/> als die fortschreitende Durchführung des neuen deutschen Heeresgesetzes ihnen<lb/> die Möglichkeit nimmt, den Deutschen an Zahl überlege» zu sein. Rußland</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Lnropa und England
Eintritt Großbritanniens in den Dreibund erblicken zu müssen glaubte. Da
ereignete sich der Flvttenbesuch in Kronstäbe, im Palais des Zaren erklang
die „Marseillaise" und das — an sich gänzlich unnatürliche — „ungeschriebne
Bündnis" zwischen Frankreich und Rußland war geschlossen. Seit jener Zeit
hat die Politik der Furcht wieder merklich nachgelassen; England ist selbstver¬
ständlich nicht in den Dreibund eingetreten, Rußland läßt aber den rasch er-
worbnen Freund so leicht nicht wieder ans den Armen, und Frankreich fühlt
sich dabei vor Deutschland sicher.
Wie schon bemerkt, ist gegenwärtig die politische Lage Europas zu einem
gewissen Stillstande gekommen, der der Erhaltung des Friedens günstig ist.
Die Weltgeschichte hat einen Wellenschlag gethan, dessen treibende Kraft die
allgemeine Wehrpflicht war. Frankreich ist dabei am weitesten vorgeschritten,
denn es hat keinen Mann mehr einzustellen; die Staaten des Dreibundes ver¬
mögen nach dieser Richtung hin noch mehr zu leisten, am meisten Deutschland,
das anch mit der neuen Heercsvvrlage das Maß Scincus „Könnens" noch
nicht erreicht hat; Rußland ist mit der Durchführung der allgemeinen Wehr¬
pflicht nahezu fertig. In der Orgnnisations- und in der Ofsizierfrage hat
jeder Staat mehr oder weniger Preußen nachgeahmt und glaubt, das Mög¬
lichste geleistet zu haben. Unklare Friedensschwärmer — und was sonst mit
seinen politischen Gedanken in Wolkenkuckucksheim zu Hause ist — äußern über
diese Zustände, Europa „starre in Waffen"; wir behaupten nur: Europa
exerziere, und halten das Exerzieren für eine höchst friedliche und außerdem
sehr gesunde Beschäftigung. Bisher hat noch kein Staat von der allgemeinen
Wehrpflicht Nachteile gehabt, Deutschland am allerwenigsten, im Gegenteil hat
die Anspannung der Volkskraft überall das innere Staats- und Gesellschafts¬
leben angeregt und erfrischt.
Wohl sind heute die Großstaaten des Festlandes mächtiger als je, aber
in den Armeen der allgemeinen Wehrpflicht liegt keine Bedrohung des Friedens;
ihr Charakter ist ausgesprochen defensiv, wenn sie auch, wie namentlich der
Feldzug von 1870 bewiesen hat, zu einer kräftigen Offensive sehr fähig sind.
Zur Verteidigung des heimischen Herdes werden sie stets vorzüglich geeignet
sein, für einen erfolgreichen Eroberungskrieg aber werden sie nicht ausreichen.
Kriege nach Art der napoleonischen sind darum für Zeutraleurvpa ausge¬
schlossen, und man kann mit Ruhe der Zukunft entgegensehen. Die Politik
der Furcht wird verschwinden und der durchaus friedliche Charakter des deutscheu
Reichs allseitig anerkannt werden. Die Franzosen werden es zwar sehr schwer
über sich gewinnen, sich mit dem Frankfurter Frieden abzufinden, dennoch wird
man dort niemals wieder Bücher schreiben wie ^.v-me la Jene:ri11<z und ?W
one-oro, auch wird mau keinen „Schnäbelefall" mehr hervorrufen, um so weniger,
als die fortschreitende Durchführung des neuen deutschen Heeresgesetzes ihnen
die Möglichkeit nimmt, den Deutschen an Zahl überlege» zu sein. Rußland
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