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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

er sich der Gefahr einer Verurteilung wegen Beleidigung aus, wie ein solcher in
einer dritten Festuugsstadt jüngst zu seinem Schaden erfahren hat. Bei dergleichen
Verhandlungen scheint viel auf die nächstbeteiligten Persönlichkeiten anzukommen;
wo ein recht gutes Einvernehmen zwischen den Militärbehörden und der Bürgerschaft
besteht, mögen sich jene der Stadt gern gefällig erweisen. Allein in solchen Dingen
sollen die Staatsbehörden nach Grundsätzen handeln und persönlichen Stimmungen
keinen Einfluß gestatten; daß aber bei der Entfestignng von Städten der Grundsatz
befolgt würde, den Bürgerschaften wohlfeile Bauplätze zu gewähren, wird den bis¬
herigen Erfahrungen nach kaum behauptet werden können.

Und was hat sich in jüngster Zeit ereignet? Der Geheime Regierungsrat a. D.
Schwabe wollte der Berliner Wohuuugsuot durch Gründung einer Aktiengesellschaft
abhelfen, die auf dem Köpenicker Gelände wohlfeile Einzelhäuser für Arbeiterfamilien
bauen sollte. Voraussetzung war, daß der Besitzer, der Fiskus, die Grundstücke
ebenso billig ablassen würde, wie er vorher an eine Baugesellschaft 230 Hektar zum
Ban von Villen am Kurfürstendamm verlauft hatte. Diese Erwartung ist, wie
Herr Schwabe in der Bauzeituug bekennen muß, getäuscht worden; der Fiskus will
die Grundstücke nicht anders als zum "Verlaufsmerte" hergeben, alle sozialpolitischen
Vorstellungen des Herr" Schwabe haben gegen diesen eisernen Willen des Fiskus
nichts ausgerichtet. Damit ist der Plan tot und begraben -- zur großen Genug-
thuung der Sozialdemokratin!.

Bei dieser Gelegenheit wollen wir doch noch eines Geschichtcheus gedenken,
das zwar nicht eigentlich zum Thema gehört, aber doch wieder einmal zeigt, was
für ein schnurriger Kauz der Fiskus ist, nud wie er jede Bürgertugend aufzumuntern
bemüht ist. Zum Bau einer Brücke über die Ruhr bei Düren hat der Fabrikant
Eberhard Hochab 50 000 Mark geschenkt und diese Schenkung dem Oberbürgermeister
in einem Privntbriefe angemeldet. Diesen Brief erklärt der Fiskus für stempel¬
pflichtig nud fordert 2000 Mark ein.

Kurzum: der Sinn für gesunde Volkswirtschaft und das Verständnis für die
sozialen Aufgaben des Staates fehlen weithin in der Beamtenschaft. Wenn einmal,
was wir in zehn Jahren zweimal erlebt haben, eine allerhöchste Person ihr Inter¬
esse für soziale Angelegenheiten amtlich ausspricht, so geraten alle Schreibstuben,
von der vornehmsten bis zur geringsten, in Aufregung, und des Geschwätzes und
Geschreibes ber Sozialpolitik ist kein Eude. Das Ergebnis sind dann einige Gesetze
von zweifelhaftem Werte, die mit weniger Aufregung, aber längerer und ruhigerer
Überlegung weit besser hätten gemacht werden können. Zur Hauptsache kann uns
das alles nicht verhelfen. Denn die wäre, daß sich alle Behörden, von der höchsten
bis zur niedrigsten, verpflichtet fühlten, jede an ihrem Orte das Volkswohl zu fördern,
und daß sie jenen richtigen Blick für das Volkswohl bewiesen, der in alten und
mittlern Zeiten, wo die Wörter sozial, Sozialismus und soziale Frage noch nicht
erfunden waren, weder den Bürgerschaften noch den Behörden gefehlt hat.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

er sich der Gefahr einer Verurteilung wegen Beleidigung aus, wie ein solcher in
einer dritten Festuugsstadt jüngst zu seinem Schaden erfahren hat. Bei dergleichen
Verhandlungen scheint viel auf die nächstbeteiligten Persönlichkeiten anzukommen;
wo ein recht gutes Einvernehmen zwischen den Militärbehörden und der Bürgerschaft
besteht, mögen sich jene der Stadt gern gefällig erweisen. Allein in solchen Dingen
sollen die Staatsbehörden nach Grundsätzen handeln und persönlichen Stimmungen
keinen Einfluß gestatten; daß aber bei der Entfestignng von Städten der Grundsatz
befolgt würde, den Bürgerschaften wohlfeile Bauplätze zu gewähren, wird den bis¬
herigen Erfahrungen nach kaum behauptet werden können.

Und was hat sich in jüngster Zeit ereignet? Der Geheime Regierungsrat a. D.
Schwabe wollte der Berliner Wohuuugsuot durch Gründung einer Aktiengesellschaft
abhelfen, die auf dem Köpenicker Gelände wohlfeile Einzelhäuser für Arbeiterfamilien
bauen sollte. Voraussetzung war, daß der Besitzer, der Fiskus, die Grundstücke
ebenso billig ablassen würde, wie er vorher an eine Baugesellschaft 230 Hektar zum
Ban von Villen am Kurfürstendamm verlauft hatte. Diese Erwartung ist, wie
Herr Schwabe in der Bauzeituug bekennen muß, getäuscht worden; der Fiskus will
die Grundstücke nicht anders als zum „Verlaufsmerte" hergeben, alle sozialpolitischen
Vorstellungen des Herr» Schwabe haben gegen diesen eisernen Willen des Fiskus
nichts ausgerichtet. Damit ist der Plan tot und begraben — zur großen Genug-
thuung der Sozialdemokratin!.

Bei dieser Gelegenheit wollen wir doch noch eines Geschichtcheus gedenken,
das zwar nicht eigentlich zum Thema gehört, aber doch wieder einmal zeigt, was
für ein schnurriger Kauz der Fiskus ist, nud wie er jede Bürgertugend aufzumuntern
bemüht ist. Zum Bau einer Brücke über die Ruhr bei Düren hat der Fabrikant
Eberhard Hochab 50 000 Mark geschenkt und diese Schenkung dem Oberbürgermeister
in einem Privntbriefe angemeldet. Diesen Brief erklärt der Fiskus für stempel¬
pflichtig nud fordert 2000 Mark ein.

Kurzum: der Sinn für gesunde Volkswirtschaft und das Verständnis für die
sozialen Aufgaben des Staates fehlen weithin in der Beamtenschaft. Wenn einmal,
was wir in zehn Jahren zweimal erlebt haben, eine allerhöchste Person ihr Inter¬
esse für soziale Angelegenheiten amtlich ausspricht, so geraten alle Schreibstuben,
von der vornehmsten bis zur geringsten, in Aufregung, und des Geschwätzes und
Geschreibes ber Sozialpolitik ist kein Eude. Das Ergebnis sind dann einige Gesetze
von zweifelhaftem Werte, die mit weniger Aufregung, aber längerer und ruhigerer
Überlegung weit besser hätten gemacht werden können. Zur Hauptsache kann uns
das alles nicht verhelfen. Denn die wäre, daß sich alle Behörden, von der höchsten
bis zur niedrigsten, verpflichtet fühlten, jede an ihrem Orte das Volkswohl zu fördern,
und daß sie jenen richtigen Blick für das Volkswohl bewiesen, der in alten und
mittlern Zeiten, wo die Wörter sozial, Sozialismus und soziale Frage noch nicht
erfunden waren, weder den Bürgerschaften noch den Behörden gefehlt hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/150>, abgerufen am 02.07.2024.