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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Manöverbetrachtungen eines Beteiligten

uöverlebens, sondern auch herzliche Teilnahme am Heer und an allen denen,
die ihm angehören- Das konnte man schon um der Vereitwilligkeit sehen, den
Soldaten etwas zu gute zu thun, wo sich nur dazu Gelegenheit bot. Wieder¬
holt habe ich gesehen, daß ganze Körbe voll Obst zum beliebigen Zulangen
für die vorbeimarschierende Truppe aufgestellt waren. Im Biwak bei Artern
erschien an unserm Lagerfeuer ein liebenswürdiger Bürger der Stadt mit einer
niedlichen Tochter; die brachten zwei riesige Kannen Warmbier, das uus an
dem kühlen Abend sehr wohlthat. Fast nirgends habe ich über unfreundliche
Aufnahme der Einquartierung klagen hören. Überall stellte sich zwischen den
Wirten und ihren unfreiwilligen und uugebetueu Gästen bald ein vortreffliches
Verhältnis her, und ich habe mehrfach erlebt, daß sich ein Ortseinwohner
deS Abends im Gasthause bitter beschwerte, daß ihm der Schultheiß keinen
Soldaten gegeben habe. Besonders merkwürdig war es mir, daß die Füsiliere
in den seltnen Fällen, wo sie ruppiger Gesinnung und geiziger Zugeknöpftheit
begegneten, sofort mit dem Urteil bei der Hand waren: Das ist ein richtiger
Sozialdemokrat! Mögen sie auch mit diesem Schluß manchmal fehlgegriffen
haben, man erkennt doch, wessen man sich in den Kreisen des Heeres zu den
Anhängern dieser Partei versieht; und daß ein waschechter Sozialdemokrat für
einen Soldaten, der es mit seinem Fahneneid ernst nimmt, nichts übrig hat,
das ist ja eigentlich ganz selbstverständlich.

Auf das Militärisch-Technische im engern Sinne will ich meine Bemer¬
kungen nicht erstrecken. Denn erstens wird durch unmaßgebliche Äußerungen
der Presse in dieser Richtung mehr geschadet als genutzt, und dann steht es
mir als einem Angehörigen des Heeres ohnehin nicht zu, öffentlich mein Urteil
abzugeben. So viel aber darf ich sagen, daß sich die Anforderungen an das
Heer und namentlich an die Führer in den sechzehn Jahren, die ich übersehen
kann, bedeutend gesteigert haben. Am meisten wohl sind davon betroffen die
Kompagnieführer, die in der That geradezu maßlos überbürdet sind, wenn sie
alle ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen wollen. Aber auch von den Leuten
wird viel verlangt, schon an rein körperlicher Anstrengung. Die Anläufe zum
Sturm gingen manchmal bis hart an die Grenze der Leistungsfähigkeit der
menschlichen Lunge. Allerdings gebe ich zu, daß einem ältern Landwehroffizier
das wohl mehr zum Bewußtsein kommen mag, als den aktiven Herren und
vvlleuos den Mannschaften; aber auch diese -- bei ihnen füllt der gepackte
Tornister noch erschwerend ins Gewicht -- habe ich bedrohlich keuchen sehen,
und gar manchem blieb das Hurra beim letzten Laufschritt in der trocknen Kehle
sitzen. Man hatte in weiten Kreisen des Volkes früher vielfach ein Vorurteil
gegen den Offizierstand. Noch in einem Buche, das 18'."2 erschienen ist (Luc
Gersal, Spree-Athen, Berliner Skizzen von einem Böotier) heißt es: "In den
Augen des Volkes sind die Offiziere Nichtsthuer, Bummler." Mit dieser Ansicht
ist es wohl gründlich vorbei. Durch Bnmmeln erreicht heutzutage beim Mi-


Manöverbetrachtungen eines Beteiligten

uöverlebens, sondern auch herzliche Teilnahme am Heer und an allen denen,
die ihm angehören- Das konnte man schon um der Vereitwilligkeit sehen, den
Soldaten etwas zu gute zu thun, wo sich nur dazu Gelegenheit bot. Wieder¬
holt habe ich gesehen, daß ganze Körbe voll Obst zum beliebigen Zulangen
für die vorbeimarschierende Truppe aufgestellt waren. Im Biwak bei Artern
erschien an unserm Lagerfeuer ein liebenswürdiger Bürger der Stadt mit einer
niedlichen Tochter; die brachten zwei riesige Kannen Warmbier, das uus an
dem kühlen Abend sehr wohlthat. Fast nirgends habe ich über unfreundliche
Aufnahme der Einquartierung klagen hören. Überall stellte sich zwischen den
Wirten und ihren unfreiwilligen und uugebetueu Gästen bald ein vortreffliches
Verhältnis her, und ich habe mehrfach erlebt, daß sich ein Ortseinwohner
deS Abends im Gasthause bitter beschwerte, daß ihm der Schultheiß keinen
Soldaten gegeben habe. Besonders merkwürdig war es mir, daß die Füsiliere
in den seltnen Fällen, wo sie ruppiger Gesinnung und geiziger Zugeknöpftheit
begegneten, sofort mit dem Urteil bei der Hand waren: Das ist ein richtiger
Sozialdemokrat! Mögen sie auch mit diesem Schluß manchmal fehlgegriffen
haben, man erkennt doch, wessen man sich in den Kreisen des Heeres zu den
Anhängern dieser Partei versieht; und daß ein waschechter Sozialdemokrat für
einen Soldaten, der es mit seinem Fahneneid ernst nimmt, nichts übrig hat,
das ist ja eigentlich ganz selbstverständlich.

Auf das Militärisch-Technische im engern Sinne will ich meine Bemer¬
kungen nicht erstrecken. Denn erstens wird durch unmaßgebliche Äußerungen
der Presse in dieser Richtung mehr geschadet als genutzt, und dann steht es
mir als einem Angehörigen des Heeres ohnehin nicht zu, öffentlich mein Urteil
abzugeben. So viel aber darf ich sagen, daß sich die Anforderungen an das
Heer und namentlich an die Führer in den sechzehn Jahren, die ich übersehen
kann, bedeutend gesteigert haben. Am meisten wohl sind davon betroffen die
Kompagnieführer, die in der That geradezu maßlos überbürdet sind, wenn sie
alle ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen wollen. Aber auch von den Leuten
wird viel verlangt, schon an rein körperlicher Anstrengung. Die Anläufe zum
Sturm gingen manchmal bis hart an die Grenze der Leistungsfähigkeit der
menschlichen Lunge. Allerdings gebe ich zu, daß einem ältern Landwehroffizier
das wohl mehr zum Bewußtsein kommen mag, als den aktiven Herren und
vvlleuos den Mannschaften; aber auch diese — bei ihnen füllt der gepackte
Tornister noch erschwerend ins Gewicht — habe ich bedrohlich keuchen sehen,
und gar manchem blieb das Hurra beim letzten Laufschritt in der trocknen Kehle
sitzen. Man hatte in weiten Kreisen des Volkes früher vielfach ein Vorurteil
gegen den Offizierstand. Noch in einem Buche, das 18'.»2 erschienen ist (Luc
Gersal, Spree-Athen, Berliner Skizzen von einem Böotier) heißt es: „In den
Augen des Volkes sind die Offiziere Nichtsthuer, Bummler." Mit dieser Ansicht
ist es wohl gründlich vorbei. Durch Bnmmeln erreicht heutzutage beim Mi-


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[0107] Manöverbetrachtungen eines Beteiligten uöverlebens, sondern auch herzliche Teilnahme am Heer und an allen denen, die ihm angehören- Das konnte man schon um der Vereitwilligkeit sehen, den Soldaten etwas zu gute zu thun, wo sich nur dazu Gelegenheit bot. Wieder¬ holt habe ich gesehen, daß ganze Körbe voll Obst zum beliebigen Zulangen für die vorbeimarschierende Truppe aufgestellt waren. Im Biwak bei Artern erschien an unserm Lagerfeuer ein liebenswürdiger Bürger der Stadt mit einer niedlichen Tochter; die brachten zwei riesige Kannen Warmbier, das uus an dem kühlen Abend sehr wohlthat. Fast nirgends habe ich über unfreundliche Aufnahme der Einquartierung klagen hören. Überall stellte sich zwischen den Wirten und ihren unfreiwilligen und uugebetueu Gästen bald ein vortreffliches Verhältnis her, und ich habe mehrfach erlebt, daß sich ein Ortseinwohner deS Abends im Gasthause bitter beschwerte, daß ihm der Schultheiß keinen Soldaten gegeben habe. Besonders merkwürdig war es mir, daß die Füsiliere in den seltnen Fällen, wo sie ruppiger Gesinnung und geiziger Zugeknöpftheit begegneten, sofort mit dem Urteil bei der Hand waren: Das ist ein richtiger Sozialdemokrat! Mögen sie auch mit diesem Schluß manchmal fehlgegriffen haben, man erkennt doch, wessen man sich in den Kreisen des Heeres zu den Anhängern dieser Partei versieht; und daß ein waschechter Sozialdemokrat für einen Soldaten, der es mit seinem Fahneneid ernst nimmt, nichts übrig hat, das ist ja eigentlich ganz selbstverständlich. Auf das Militärisch-Technische im engern Sinne will ich meine Bemer¬ kungen nicht erstrecken. Denn erstens wird durch unmaßgebliche Äußerungen der Presse in dieser Richtung mehr geschadet als genutzt, und dann steht es mir als einem Angehörigen des Heeres ohnehin nicht zu, öffentlich mein Urteil abzugeben. So viel aber darf ich sagen, daß sich die Anforderungen an das Heer und namentlich an die Führer in den sechzehn Jahren, die ich übersehen kann, bedeutend gesteigert haben. Am meisten wohl sind davon betroffen die Kompagnieführer, die in der That geradezu maßlos überbürdet sind, wenn sie alle ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen wollen. Aber auch von den Leuten wird viel verlangt, schon an rein körperlicher Anstrengung. Die Anläufe zum Sturm gingen manchmal bis hart an die Grenze der Leistungsfähigkeit der menschlichen Lunge. Allerdings gebe ich zu, daß einem ältern Landwehroffizier das wohl mehr zum Bewußtsein kommen mag, als den aktiven Herren und vvlleuos den Mannschaften; aber auch diese — bei ihnen füllt der gepackte Tornister noch erschwerend ins Gewicht — habe ich bedrohlich keuchen sehen, und gar manchem blieb das Hurra beim letzten Laufschritt in der trocknen Kehle sitzen. Man hatte in weiten Kreisen des Volkes früher vielfach ein Vorurteil gegen den Offizierstand. Noch in einem Buche, das 18'.»2 erschienen ist (Luc Gersal, Spree-Athen, Berliner Skizzen von einem Böotier) heißt es: „In den Augen des Volkes sind die Offiziere Nichtsthuer, Bummler." Mit dieser Ansicht ist es wohl gründlich vorbei. Durch Bnmmeln erreicht heutzutage beim Mi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/107>, abgerufen am 02.07.2024.