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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Manöverbetrachtungen eines Beteiligten

der Garnison (Halle). Während des Regiments- und Vrigadeexerzierens lagen
wir in nächster Nähe von Sondershausen, aus dessen malerischer Umgebung
der Possen hervorzuheben ist, der höchste Punkt der Hainleite. Ein stattlicher
Aussichtsturm (150 Fuß hoch) nahe bei dem fürstlichen Jagdschlosse eröffnet
vor allem den Blick weithin in ein wogendes Meer der herrlichsten Vuchen-
wipfel. Die Thüringer Seite der Fernsicht war leider verschleiert, als ich oben
war; desto klarer lagen die Harzberge vor unsern Augen. Von der fürstlichen
Residenzstadt Sondershausen selbst weiß ich nichts Bemerkenswertes zu erwähnen,
außer den Lohkonzerten. Sie sind ja dem Namen nach weltbekannt, diese
für jedermann unentgeltlich zugänglichen Konzerte der fürstlichen Hofkapelle.
Ich gestehe, daß ich mit einigem Mißtrauen hinging. Der Leipziger, durch
das Gewandhaus verwöhnt, ist in musikalischer Beziehung anspruchsvoll und
-- sagen wir es nur gerade heraus -- hochmütig. Allein ich war geradezu
entzückt, nicht so sehr von der Musik an sich, obwohl ich sie nicht tadeln
möchte, wie von dem Gesamteindruck der Aufführung. Man denke sich einen
prachtvoll gehaltnen Schloßpark. Nach allen Seiten sichren saubere Kieswege
zwischen den uralten Baumriesen hin. Aus der Höhe grüßt das fürstliche
Schloß. Mitten in dem Lob -- so heißt der Park -- ist ein viereckiger Platz
freigelassen und mit Stühlen und Bänken besetzt. Vor dem Platze steht die
muschelförmige Musikhalle. Die Wände des Konzertraums rechts und links
und hinten sind gebildet durch Reihen hochanfragender Bäume. Man spielte
die Eroika. Ich habe sie schon manchmal gehört in meinem Leben, diese
mächtige Shmphonie "zum Gedächtnis eines Helden," vielleicht in Kleinigkeiten
auch schon technisch vollendeter. Aber sie wirkte doch ganz eigentümlich in
dieser Umgebung. Der erschütternde Trauermarsch mit seinem düstern Omoll
vereinigte sich mit dem geheimnisvoll auf- und abschwellende" Rauschen der
mächtigen Eichen zu wundersamen Klängen, und selbst das Knacken der fallenden
Kastanien verstärkte nur den Eindruck herzergreifender Klage über die Vergäng¬
lichkeit alles Irdischen. Und dann wieder das eigentiimlich hastende Scherzo,
begleitet von den schwirrenden Stimmen der Schwalben, die in dichten Zügen
über den Platz hinsegelten -- ein solches Zusammenwirken von Kunst- und
Naturmusik bot mir einen völlig neuen Reiz, dem ich mich mit ganzem Herzen
hingab! Aber nach der Eroika ging ich heim. Das weitere Programm war
nicht darnach angethan, den empfangner Eindruck zu vertiefen, und verderben
lassen wollte ich ihn niir nicht.

Doch nun zum Militärischen. Mehr als sonst siel mir die lebhafte Teil¬
nahme auf, mit der das Publikum die soldatische" Exerzitien verfolgte. Schon
zum Regimentsexerzieren strömten Mengen von Zuschauern zu Fuß, zu Pferd
und zu Wagen herbei, und in den letzten Tagen steigerte sich der Zulauf, zumal
in den Biwaks, in fast beängstigender Weise. Das war ganz gewiß nicht bloß
müßige Neugier und kindliche Freude an den wechselvollen Bildern des Ma-


Manöverbetrachtungen eines Beteiligten

der Garnison (Halle). Während des Regiments- und Vrigadeexerzierens lagen
wir in nächster Nähe von Sondershausen, aus dessen malerischer Umgebung
der Possen hervorzuheben ist, der höchste Punkt der Hainleite. Ein stattlicher
Aussichtsturm (150 Fuß hoch) nahe bei dem fürstlichen Jagdschlosse eröffnet
vor allem den Blick weithin in ein wogendes Meer der herrlichsten Vuchen-
wipfel. Die Thüringer Seite der Fernsicht war leider verschleiert, als ich oben
war; desto klarer lagen die Harzberge vor unsern Augen. Von der fürstlichen
Residenzstadt Sondershausen selbst weiß ich nichts Bemerkenswertes zu erwähnen,
außer den Lohkonzerten. Sie sind ja dem Namen nach weltbekannt, diese
für jedermann unentgeltlich zugänglichen Konzerte der fürstlichen Hofkapelle.
Ich gestehe, daß ich mit einigem Mißtrauen hinging. Der Leipziger, durch
das Gewandhaus verwöhnt, ist in musikalischer Beziehung anspruchsvoll und
— sagen wir es nur gerade heraus — hochmütig. Allein ich war geradezu
entzückt, nicht so sehr von der Musik an sich, obwohl ich sie nicht tadeln
möchte, wie von dem Gesamteindruck der Aufführung. Man denke sich einen
prachtvoll gehaltnen Schloßpark. Nach allen Seiten sichren saubere Kieswege
zwischen den uralten Baumriesen hin. Aus der Höhe grüßt das fürstliche
Schloß. Mitten in dem Lob — so heißt der Park — ist ein viereckiger Platz
freigelassen und mit Stühlen und Bänken besetzt. Vor dem Platze steht die
muschelförmige Musikhalle. Die Wände des Konzertraums rechts und links
und hinten sind gebildet durch Reihen hochanfragender Bäume. Man spielte
die Eroika. Ich habe sie schon manchmal gehört in meinem Leben, diese
mächtige Shmphonie „zum Gedächtnis eines Helden," vielleicht in Kleinigkeiten
auch schon technisch vollendeter. Aber sie wirkte doch ganz eigentümlich in
dieser Umgebung. Der erschütternde Trauermarsch mit seinem düstern Omoll
vereinigte sich mit dem geheimnisvoll auf- und abschwellende« Rauschen der
mächtigen Eichen zu wundersamen Klängen, und selbst das Knacken der fallenden
Kastanien verstärkte nur den Eindruck herzergreifender Klage über die Vergäng¬
lichkeit alles Irdischen. Und dann wieder das eigentiimlich hastende Scherzo,
begleitet von den schwirrenden Stimmen der Schwalben, die in dichten Zügen
über den Platz hinsegelten — ein solches Zusammenwirken von Kunst- und
Naturmusik bot mir einen völlig neuen Reiz, dem ich mich mit ganzem Herzen
hingab! Aber nach der Eroika ging ich heim. Das weitere Programm war
nicht darnach angethan, den empfangner Eindruck zu vertiefen, und verderben
lassen wollte ich ihn niir nicht.

Doch nun zum Militärischen. Mehr als sonst siel mir die lebhafte Teil¬
nahme auf, mit der das Publikum die soldatische» Exerzitien verfolgte. Schon
zum Regimentsexerzieren strömten Mengen von Zuschauern zu Fuß, zu Pferd
und zu Wagen herbei, und in den letzten Tagen steigerte sich der Zulauf, zumal
in den Biwaks, in fast beängstigender Weise. Das war ganz gewiß nicht bloß
müßige Neugier und kindliche Freude an den wechselvollen Bildern des Ma-


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[0106] Manöverbetrachtungen eines Beteiligten der Garnison (Halle). Während des Regiments- und Vrigadeexerzierens lagen wir in nächster Nähe von Sondershausen, aus dessen malerischer Umgebung der Possen hervorzuheben ist, der höchste Punkt der Hainleite. Ein stattlicher Aussichtsturm (150 Fuß hoch) nahe bei dem fürstlichen Jagdschlosse eröffnet vor allem den Blick weithin in ein wogendes Meer der herrlichsten Vuchen- wipfel. Die Thüringer Seite der Fernsicht war leider verschleiert, als ich oben war; desto klarer lagen die Harzberge vor unsern Augen. Von der fürstlichen Residenzstadt Sondershausen selbst weiß ich nichts Bemerkenswertes zu erwähnen, außer den Lohkonzerten. Sie sind ja dem Namen nach weltbekannt, diese für jedermann unentgeltlich zugänglichen Konzerte der fürstlichen Hofkapelle. Ich gestehe, daß ich mit einigem Mißtrauen hinging. Der Leipziger, durch das Gewandhaus verwöhnt, ist in musikalischer Beziehung anspruchsvoll und — sagen wir es nur gerade heraus — hochmütig. Allein ich war geradezu entzückt, nicht so sehr von der Musik an sich, obwohl ich sie nicht tadeln möchte, wie von dem Gesamteindruck der Aufführung. Man denke sich einen prachtvoll gehaltnen Schloßpark. Nach allen Seiten sichren saubere Kieswege zwischen den uralten Baumriesen hin. Aus der Höhe grüßt das fürstliche Schloß. Mitten in dem Lob — so heißt der Park — ist ein viereckiger Platz freigelassen und mit Stühlen und Bänken besetzt. Vor dem Platze steht die muschelförmige Musikhalle. Die Wände des Konzertraums rechts und links und hinten sind gebildet durch Reihen hochanfragender Bäume. Man spielte die Eroika. Ich habe sie schon manchmal gehört in meinem Leben, diese mächtige Shmphonie „zum Gedächtnis eines Helden," vielleicht in Kleinigkeiten auch schon technisch vollendeter. Aber sie wirkte doch ganz eigentümlich in dieser Umgebung. Der erschütternde Trauermarsch mit seinem düstern Omoll vereinigte sich mit dem geheimnisvoll auf- und abschwellende« Rauschen der mächtigen Eichen zu wundersamen Klängen, und selbst das Knacken der fallenden Kastanien verstärkte nur den Eindruck herzergreifender Klage über die Vergäng¬ lichkeit alles Irdischen. Und dann wieder das eigentiimlich hastende Scherzo, begleitet von den schwirrenden Stimmen der Schwalben, die in dichten Zügen über den Platz hinsegelten — ein solches Zusammenwirken von Kunst- und Naturmusik bot mir einen völlig neuen Reiz, dem ich mich mit ganzem Herzen hingab! Aber nach der Eroika ging ich heim. Das weitere Programm war nicht darnach angethan, den empfangner Eindruck zu vertiefen, und verderben lassen wollte ich ihn niir nicht. Doch nun zum Militärischen. Mehr als sonst siel mir die lebhafte Teil¬ nahme auf, mit der das Publikum die soldatische» Exerzitien verfolgte. Schon zum Regimentsexerzieren strömten Mengen von Zuschauern zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen herbei, und in den letzten Tagen steigerte sich der Zulauf, zumal in den Biwaks, in fast beängstigender Weise. Das war ganz gewiß nicht bloß müßige Neugier und kindliche Freude an den wechselvollen Bildern des Ma-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/106>, abgerufen am 30.06.2024.