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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Manöverbetrachtungen eines Beteiligten

utar niemand etwas, und wer es im Heere zu etwas bringen will, der muß
arbeiten, tüchtig arbeiten. Werden doch in keinem Stande die, von denen mau
sich nichts verspricht, so rücksichtslos ausgeschieden, wie hier.

Die sozialistischen und fortschrittlichen Zeitungen wissen bekanntlich fast
jede Woche neue Schauermären zu berichten von den unglaublichsten Mi߬
handlungen, denen die Soldaten schutzlos preisgegeben sind. Von derartigen
Quälereien ist mir nicht das geringste bekannt geworden. Eins ist allerdings
wahr: geschimpft wird tüchtig im Heere. Und auch ich habe den Eindruck,
daß darin zu viel gethan wird. Es ist ja ganz gewiß nicht leicht, ohne sehr
entschiednes Auftreten in der kurzbemessenen Dienstzeit das aus den Leuten
zu machen, was sie schließlich vorstellen sollen. Es will viel heißen, in zwei
Jahren einen steifen Bauernburschen in einen flotten und gewandten Soldaten
zu verwandeln. Ich meine aber doch, es müßte mit etwas weniger Aufwand
von Heftigkeit auch zu erreichen sein. Die Ausbildung des militärischen Ehr¬
gefühls ist unter den idealen Zielen des militärischen Unterrichts unbestritten
eines der wichtigsten, das Ehrgefühl aber wird durch die zum Teil mehr als
derben Schimpfwörter, deren sich besonders die Unteroffiziere bedienen, sicherlich
nicht gefördert, im Gegenteil empfindlich geschädigt.

Aber etwas andres ist noch schlimmer als das wüste Schimpfen, es ist
die Unsauberkeit der Ausdrücke. Niemand wird von einem Soldaten die em¬
pfindsame Zartheit eines Backfischs erwarten. Der Soldatenberuf ist ein
hartes Handwerk, und das drückt sich in seinem Jargon notwendigerweise ab.
Ich weiß auch ganz gut, daß das unsaubre Wort noch lange nicht immer
ein untrügliches Kennzeichen unsaubrer Gesinnung ist, daß gar viele, die eine
unverkennbare Vorliebe für schmutzige Geschichten, schlüpfrige Anekdoten und
zweideutige Wendungen haben, sich darum doch nicht so leicht zu einer un¬
sittlichen Handlung würden entschließen können. Aber durch die häufige An¬
wendung gemeiner Bilder und Vergleiche wird doch nach und nach das Gefühl
abgestumpft und in rohern Naturen mit der Zeit eine Mißachtung aller
höhern sittlichen Anschauungen erzeugt, die eine ernste Gefahr in sich schließt.
Es hat bis heute als ein Vorzug unsers Volkes gegolten, das; es in seiner
Gesamtheit noch nicht vergiftet sei von dem Pesthauche der Unsittlichkeit, der
schon mancher Nation verderblich geworden ist. Geben wir diesen Vorzug
nicht leichtsinnig preis! Gerade jetzt schließen sich hie und da ernste Männer
und Frauen zu Vereinen zusammen, um sittlich Verirrte zu heben und wieder
zu brauchbaren Gliedern der Gesellschaft zu macheu. Ju solcher Zeit muß
auch in der Armee, die eine Schule der Nation im besten und höchsten Sinne
ist und noch immer mehr werden soll, alles vermieden werden, was auf diesem
so empfindlichen Gebiete nach Schlaffheit aussieht. Welche Riescnsummen
geben unsre Großstädte jetzt aus, um ihre Abfallstoffe zu entsenchen und den
Forderungen der Gesundheitslehre an die Reinlichkeit Genüge zu thun. Dort


Manöverbetrachtungen eines Beteiligten

utar niemand etwas, und wer es im Heere zu etwas bringen will, der muß
arbeiten, tüchtig arbeiten. Werden doch in keinem Stande die, von denen mau
sich nichts verspricht, so rücksichtslos ausgeschieden, wie hier.

Die sozialistischen und fortschrittlichen Zeitungen wissen bekanntlich fast
jede Woche neue Schauermären zu berichten von den unglaublichsten Mi߬
handlungen, denen die Soldaten schutzlos preisgegeben sind. Von derartigen
Quälereien ist mir nicht das geringste bekannt geworden. Eins ist allerdings
wahr: geschimpft wird tüchtig im Heere. Und auch ich habe den Eindruck,
daß darin zu viel gethan wird. Es ist ja ganz gewiß nicht leicht, ohne sehr
entschiednes Auftreten in der kurzbemessenen Dienstzeit das aus den Leuten
zu machen, was sie schließlich vorstellen sollen. Es will viel heißen, in zwei
Jahren einen steifen Bauernburschen in einen flotten und gewandten Soldaten
zu verwandeln. Ich meine aber doch, es müßte mit etwas weniger Aufwand
von Heftigkeit auch zu erreichen sein. Die Ausbildung des militärischen Ehr¬
gefühls ist unter den idealen Zielen des militärischen Unterrichts unbestritten
eines der wichtigsten, das Ehrgefühl aber wird durch die zum Teil mehr als
derben Schimpfwörter, deren sich besonders die Unteroffiziere bedienen, sicherlich
nicht gefördert, im Gegenteil empfindlich geschädigt.

Aber etwas andres ist noch schlimmer als das wüste Schimpfen, es ist
die Unsauberkeit der Ausdrücke. Niemand wird von einem Soldaten die em¬
pfindsame Zartheit eines Backfischs erwarten. Der Soldatenberuf ist ein
hartes Handwerk, und das drückt sich in seinem Jargon notwendigerweise ab.
Ich weiß auch ganz gut, daß das unsaubre Wort noch lange nicht immer
ein untrügliches Kennzeichen unsaubrer Gesinnung ist, daß gar viele, die eine
unverkennbare Vorliebe für schmutzige Geschichten, schlüpfrige Anekdoten und
zweideutige Wendungen haben, sich darum doch nicht so leicht zu einer un¬
sittlichen Handlung würden entschließen können. Aber durch die häufige An¬
wendung gemeiner Bilder und Vergleiche wird doch nach und nach das Gefühl
abgestumpft und in rohern Naturen mit der Zeit eine Mißachtung aller
höhern sittlichen Anschauungen erzeugt, die eine ernste Gefahr in sich schließt.
Es hat bis heute als ein Vorzug unsers Volkes gegolten, das; es in seiner
Gesamtheit noch nicht vergiftet sei von dem Pesthauche der Unsittlichkeit, der
schon mancher Nation verderblich geworden ist. Geben wir diesen Vorzug
nicht leichtsinnig preis! Gerade jetzt schließen sich hie und da ernste Männer
und Frauen zu Vereinen zusammen, um sittlich Verirrte zu heben und wieder
zu brauchbaren Gliedern der Gesellschaft zu macheu. Ju solcher Zeit muß
auch in der Armee, die eine Schule der Nation im besten und höchsten Sinne
ist und noch immer mehr werden soll, alles vermieden werden, was auf diesem
so empfindlichen Gebiete nach Schlaffheit aussieht. Welche Riescnsummen
geben unsre Großstädte jetzt aus, um ihre Abfallstoffe zu entsenchen und den
Forderungen der Gesundheitslehre an die Reinlichkeit Genüge zu thun. Dort


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[0108] Manöverbetrachtungen eines Beteiligten utar niemand etwas, und wer es im Heere zu etwas bringen will, der muß arbeiten, tüchtig arbeiten. Werden doch in keinem Stande die, von denen mau sich nichts verspricht, so rücksichtslos ausgeschieden, wie hier. Die sozialistischen und fortschrittlichen Zeitungen wissen bekanntlich fast jede Woche neue Schauermären zu berichten von den unglaublichsten Mi߬ handlungen, denen die Soldaten schutzlos preisgegeben sind. Von derartigen Quälereien ist mir nicht das geringste bekannt geworden. Eins ist allerdings wahr: geschimpft wird tüchtig im Heere. Und auch ich habe den Eindruck, daß darin zu viel gethan wird. Es ist ja ganz gewiß nicht leicht, ohne sehr entschiednes Auftreten in der kurzbemessenen Dienstzeit das aus den Leuten zu machen, was sie schließlich vorstellen sollen. Es will viel heißen, in zwei Jahren einen steifen Bauernburschen in einen flotten und gewandten Soldaten zu verwandeln. Ich meine aber doch, es müßte mit etwas weniger Aufwand von Heftigkeit auch zu erreichen sein. Die Ausbildung des militärischen Ehr¬ gefühls ist unter den idealen Zielen des militärischen Unterrichts unbestritten eines der wichtigsten, das Ehrgefühl aber wird durch die zum Teil mehr als derben Schimpfwörter, deren sich besonders die Unteroffiziere bedienen, sicherlich nicht gefördert, im Gegenteil empfindlich geschädigt. Aber etwas andres ist noch schlimmer als das wüste Schimpfen, es ist die Unsauberkeit der Ausdrücke. Niemand wird von einem Soldaten die em¬ pfindsame Zartheit eines Backfischs erwarten. Der Soldatenberuf ist ein hartes Handwerk, und das drückt sich in seinem Jargon notwendigerweise ab. Ich weiß auch ganz gut, daß das unsaubre Wort noch lange nicht immer ein untrügliches Kennzeichen unsaubrer Gesinnung ist, daß gar viele, die eine unverkennbare Vorliebe für schmutzige Geschichten, schlüpfrige Anekdoten und zweideutige Wendungen haben, sich darum doch nicht so leicht zu einer un¬ sittlichen Handlung würden entschließen können. Aber durch die häufige An¬ wendung gemeiner Bilder und Vergleiche wird doch nach und nach das Gefühl abgestumpft und in rohern Naturen mit der Zeit eine Mißachtung aller höhern sittlichen Anschauungen erzeugt, die eine ernste Gefahr in sich schließt. Es hat bis heute als ein Vorzug unsers Volkes gegolten, das; es in seiner Gesamtheit noch nicht vergiftet sei von dem Pesthauche der Unsittlichkeit, der schon mancher Nation verderblich geworden ist. Geben wir diesen Vorzug nicht leichtsinnig preis! Gerade jetzt schließen sich hie und da ernste Männer und Frauen zu Vereinen zusammen, um sittlich Verirrte zu heben und wieder zu brauchbaren Gliedern der Gesellschaft zu macheu. Ju solcher Zeit muß auch in der Armee, die eine Schule der Nation im besten und höchsten Sinne ist und noch immer mehr werden soll, alles vermieden werden, was auf diesem so empfindlichen Gebiete nach Schlaffheit aussieht. Welche Riescnsummen geben unsre Großstädte jetzt aus, um ihre Abfallstoffe zu entsenchen und den Forderungen der Gesundheitslehre an die Reinlichkeit Genüge zu thun. Dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/108>, abgerufen am 04.07.2024.