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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Rick'elprmzeßcheu

schwarzen Haar und dem südländischen Gesicht gewahrte, die aus einem der
weniger reichen Stadtteile Hamburgs abgeholt und ins Hospital gebracht
worden war, da lebte die längst begrabne Liebe in seinem Herzen wieder auf,
die Liebe zu der schönen Mexikanerin, die er früher für unerreichbar gehalten
hatte, und der er nun als Lebensretter am Krankenbette gegenüberstand.

Herzbrechend waren die Ereignisse, die das junge Mädchen so weit ge¬
führt hatten, und die er später aus ihrem Munde erfuhr.

Das zarte Geschöpf konnte sich nicht in das Leben, das im Hanse des
Stiefvaters herrschte, eingewöhnen. Die kränkelnde Mutter starb bald nach
der Ankunft Marcelitas. Den Onkel, den die Kleine kindlich liebte und
verehrte, behandelte der Stiefvater "ut Härte. Es kam zu Zwistigkeiten,
wobei Mareelita die Partei des Onkels nahm. Heimweh nach dein schönen
Mexiko kam dazu, und hätte nicht der Stiefvater, so lange sie minderjährig
war, ihr Vermögen unter seiner Verwaltung gehabt, sie hätte schleunig damit
die Rückreise nach ihrer Heimat angetreten.

Als nun gar der alte Onkel der Schwester ins Jenseits nachfolgte, fühlte sie
sich in dem Hause des Herrn Senators Schulze ganz vereinsamt. Alle Pracht der
häuslichen Einrichtung vermochte ihr nicht hinwegzuhelfen über das innerlich
leere Leben, das sie führte, ohne Freundin, ohne Umgang, beiseite gestoßen
von einem Geldmenschen ohne Herz, der vor der Welt ihr Vater war. Sie
dachte oft mit Sehnsucht zurück an die Heimat und an die letzten lieben
Menschen, die sie kennen gelernt hatte, an die Reisegesellschaft auf dem Schiff.

Als sie nun nach der Krisis aus ihrer Betäubung erwachte und das Ge¬
sicht dessen über sich gebeugt sah, mit dem sie sich oft im Geiste beschäftigt
hatte, glaubte sie zuerst, sie träume. Überwältigend war nach all der Kälte,
unter der sie gelitten hatte, dieser warme Hauch von Liebe, der sie umfing,
als sie seine Stimme wieder erkannte.

Sie erzählte dann nach und nach, wie sie sich schließlich aus Widerwille"
gegen den Mann, der sie um ihres Vermögens willen zu seiner Frau zu
machen gedachte -- die Habsucht des Mannes widerte sie an! --, um sich
seinen Anträgen nud seinem Zwange zu entziehen, aus seiner Wohnung ge¬
flüchtet, wie sie unter einem angenommenen Namen eine bescheidne Wohnung
in einem der billigern Stadtteile bezogen habe und dort durch spanische Sprach¬
stunden ihr Leben habe fristen wollen, bis es ihr gelänge, die Herausgabe
ihres Erbteils gerichtlich zu erzwingen. Denn sie war mittlerweile mündig
geworden und war fest entschlossen, jedes Mittel zu' ergreifen, um mit ihrem
Erbteil in die Heimat zu gelangen. Da befiel jenen Stadtteil die Cholera,
sie wurde von der Seuche ergriffen, und sie wäre ihr erlegen, wenn nicht die
Kochsalzeinspritzungen in die Venen Wunder an ihr verrichtet Hütten.

Es war gerade an jenem denkwürdigen Nachmittage, als die bekannten
Verhandlungen zwischen den Chvleraürzten und dem Hamburger Senat gepflogen


Das Rick'elprmzeßcheu

schwarzen Haar und dem südländischen Gesicht gewahrte, die aus einem der
weniger reichen Stadtteile Hamburgs abgeholt und ins Hospital gebracht
worden war, da lebte die längst begrabne Liebe in seinem Herzen wieder auf,
die Liebe zu der schönen Mexikanerin, die er früher für unerreichbar gehalten
hatte, und der er nun als Lebensretter am Krankenbette gegenüberstand.

Herzbrechend waren die Ereignisse, die das junge Mädchen so weit ge¬
führt hatten, und die er später aus ihrem Munde erfuhr.

Das zarte Geschöpf konnte sich nicht in das Leben, das im Hanse des
Stiefvaters herrschte, eingewöhnen. Die kränkelnde Mutter starb bald nach
der Ankunft Marcelitas. Den Onkel, den die Kleine kindlich liebte und
verehrte, behandelte der Stiefvater »ut Härte. Es kam zu Zwistigkeiten,
wobei Mareelita die Partei des Onkels nahm. Heimweh nach dein schönen
Mexiko kam dazu, und hätte nicht der Stiefvater, so lange sie minderjährig
war, ihr Vermögen unter seiner Verwaltung gehabt, sie hätte schleunig damit
die Rückreise nach ihrer Heimat angetreten.

Als nun gar der alte Onkel der Schwester ins Jenseits nachfolgte, fühlte sie
sich in dem Hause des Herrn Senators Schulze ganz vereinsamt. Alle Pracht der
häuslichen Einrichtung vermochte ihr nicht hinwegzuhelfen über das innerlich
leere Leben, das sie führte, ohne Freundin, ohne Umgang, beiseite gestoßen
von einem Geldmenschen ohne Herz, der vor der Welt ihr Vater war. Sie
dachte oft mit Sehnsucht zurück an die Heimat und an die letzten lieben
Menschen, die sie kennen gelernt hatte, an die Reisegesellschaft auf dem Schiff.

Als sie nun nach der Krisis aus ihrer Betäubung erwachte und das Ge¬
sicht dessen über sich gebeugt sah, mit dem sie sich oft im Geiste beschäftigt
hatte, glaubte sie zuerst, sie träume. Überwältigend war nach all der Kälte,
unter der sie gelitten hatte, dieser warme Hauch von Liebe, der sie umfing,
als sie seine Stimme wieder erkannte.

Sie erzählte dann nach und nach, wie sie sich schließlich aus Widerwille»
gegen den Mann, der sie um ihres Vermögens willen zu seiner Frau zu
machen gedachte — die Habsucht des Mannes widerte sie an! —, um sich
seinen Anträgen nud seinem Zwange zu entziehen, aus seiner Wohnung ge¬
flüchtet, wie sie unter einem angenommenen Namen eine bescheidne Wohnung
in einem der billigern Stadtteile bezogen habe und dort durch spanische Sprach¬
stunden ihr Leben habe fristen wollen, bis es ihr gelänge, die Herausgabe
ihres Erbteils gerichtlich zu erzwingen. Denn sie war mittlerweile mündig
geworden und war fest entschlossen, jedes Mittel zu' ergreifen, um mit ihrem
Erbteil in die Heimat zu gelangen. Da befiel jenen Stadtteil die Cholera,
sie wurde von der Seuche ergriffen, und sie wäre ihr erlegen, wenn nicht die
Kochsalzeinspritzungen in die Venen Wunder an ihr verrichtet Hütten.

Es war gerade an jenem denkwürdigen Nachmittage, als die bekannten
Verhandlungen zwischen den Chvleraürzten und dem Hamburger Senat gepflogen


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[0094] Das Rick'elprmzeßcheu schwarzen Haar und dem südländischen Gesicht gewahrte, die aus einem der weniger reichen Stadtteile Hamburgs abgeholt und ins Hospital gebracht worden war, da lebte die längst begrabne Liebe in seinem Herzen wieder auf, die Liebe zu der schönen Mexikanerin, die er früher für unerreichbar gehalten hatte, und der er nun als Lebensretter am Krankenbette gegenüberstand. Herzbrechend waren die Ereignisse, die das junge Mädchen so weit ge¬ führt hatten, und die er später aus ihrem Munde erfuhr. Das zarte Geschöpf konnte sich nicht in das Leben, das im Hanse des Stiefvaters herrschte, eingewöhnen. Die kränkelnde Mutter starb bald nach der Ankunft Marcelitas. Den Onkel, den die Kleine kindlich liebte und verehrte, behandelte der Stiefvater »ut Härte. Es kam zu Zwistigkeiten, wobei Mareelita die Partei des Onkels nahm. Heimweh nach dein schönen Mexiko kam dazu, und hätte nicht der Stiefvater, so lange sie minderjährig war, ihr Vermögen unter seiner Verwaltung gehabt, sie hätte schleunig damit die Rückreise nach ihrer Heimat angetreten. Als nun gar der alte Onkel der Schwester ins Jenseits nachfolgte, fühlte sie sich in dem Hause des Herrn Senators Schulze ganz vereinsamt. Alle Pracht der häuslichen Einrichtung vermochte ihr nicht hinwegzuhelfen über das innerlich leere Leben, das sie führte, ohne Freundin, ohne Umgang, beiseite gestoßen von einem Geldmenschen ohne Herz, der vor der Welt ihr Vater war. Sie dachte oft mit Sehnsucht zurück an die Heimat und an die letzten lieben Menschen, die sie kennen gelernt hatte, an die Reisegesellschaft auf dem Schiff. Als sie nun nach der Krisis aus ihrer Betäubung erwachte und das Ge¬ sicht dessen über sich gebeugt sah, mit dem sie sich oft im Geiste beschäftigt hatte, glaubte sie zuerst, sie träume. Überwältigend war nach all der Kälte, unter der sie gelitten hatte, dieser warme Hauch von Liebe, der sie umfing, als sie seine Stimme wieder erkannte. Sie erzählte dann nach und nach, wie sie sich schließlich aus Widerwille» gegen den Mann, der sie um ihres Vermögens willen zu seiner Frau zu machen gedachte — die Habsucht des Mannes widerte sie an! —, um sich seinen Anträgen nud seinem Zwange zu entziehen, aus seiner Wohnung ge¬ flüchtet, wie sie unter einem angenommenen Namen eine bescheidne Wohnung in einem der billigern Stadtteile bezogen habe und dort durch spanische Sprach¬ stunden ihr Leben habe fristen wollen, bis es ihr gelänge, die Herausgabe ihres Erbteils gerichtlich zu erzwingen. Denn sie war mittlerweile mündig geworden und war fest entschlossen, jedes Mittel zu' ergreifen, um mit ihrem Erbteil in die Heimat zu gelangen. Da befiel jenen Stadtteil die Cholera, sie wurde von der Seuche ergriffen, und sie wäre ihr erlegen, wenn nicht die Kochsalzeinspritzungen in die Venen Wunder an ihr verrichtet Hütten. Es war gerade an jenem denkwürdigen Nachmittage, als die bekannten Verhandlungen zwischen den Chvleraürzten und dem Hamburger Senat gepflogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/94>, abgerufen am 01.09.2024.