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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Nickelpriilzesschen

zurückgedampft. Sie war mir in zu schöner Erinnerung, die Fahrt mit Ihnen
auf dem Schiffe der Seligen, wie wir es nannte"! So redete er mich ein.

Eben gingen mir beim Anblick von ein Paar schwarzen Augen dieselben
Erinnerungen durch den Kopf, antwortete ich, indem ich die dargebotne Hand
kräftig schüttelte. Nun sagen Sie mir, wie in aller Welt kommen Sie wieder
hierher, noch dazu in Begleitung der schönen Mexikanerin, Sie entdeckungs-
wütiger Bazillenjäger? Haben Sie so schnell die Weltverbesferung in Deutsch¬
land satt bekommen, oder haben Sie gefunden, was Sie suchten?

Ich habe gesucht und gefunden, viel mehr als ich auf meiner Bazillen-
jcigd erwartet hatte, viel, viel mehr, und alles -- für drei Mark dreißig!

So wenig hat Ihnen Ihr vierjähriges Forschen gekostet?

Nein, soviel hat man mir dafür bezahlt, Kommen Sie, ich wollte Sie
gerade abholen, vor Abgang des Schiffes, noch ein wenig herumzuspazieren.
Meine Frau ist bei ihrer Kabineneinrichtung beschäftigt, und da ich so glücklich
war. Sie, wie ich vermutete, hier zu treffen, so müssen Sie mir schon als
Cicerone dienen, denn ich habe die berühmte Brooklhnbrücke über diesen Meeres¬
arm noch nicht näher angesehen. Dann sollen Sie auch alles hören, was Sie
wissen wolle".

Da das Schiff erst spät abends abgehen sollte, hatten wir vollkommen
Zeit. Wir schlenderten hinunter, um uns nach einem kurzen Marsch durch das
Gewühl der Güterschuppen, der Markthallen, der Fährbvvtshallcn in das Chaos
der leicht bergansteigcnden Geschäftsstraßen nach dem Cityhallplatz zu begeben.

Da erzählte mir nun der Kollege, nachdem ich ihn zu seiner Verheiratung
beglückwünscht hatte, wie er Ferienkurse und Ärzteversammlnugen besucht und
wie er sich mit Begeisterung in die Arbeit für die gute Sache gestürzt habe,
wie er in Vorträgen die hohe Mission des Arztstandes für Seucheuabwendung
und Welthhgieiue nachgewiesen habe, und wie das in Berlin und anderswo
aufgenommen worden sei; wie er sich dann, um auch die ärztliche Praxis nicht
ganz zu vernachlässigen, in seinem Heimatstädtchen als Arzt eingerichtet und
wegen seiner Bemühungen um reines Trinkwasser von der Behörde mit Ver¬
weisen bedacht worden sei; kurz, welche Reihe von Enttäuschungen auf seine
großen Erwartungen gefolgt sei.

Schon hatte ihn, der bessere Anerkennung gewohnt war, die Sehnsucht
nach Mexiko gepackt. Da kam die Cholera. Das war ein Feld der Forschung
für ihn! Das Mikroskop mußte wieder heran, und als der Hamburger Senat
ein Ausschreiben nach Ärzten an die Universitäten ergehen ließ, meldete er sich
mit, seine Kenntnisse zu bereichern und seine Hilfe in den Dienst der Mensch¬
heit zu stellen, da wo sie es am meisten bedurfte.

Und wen traf er dort unter den vielen Hunderten von Kranken in dem
Chvlerahospital um der Eppendvrfer Chaussee? Als er die dunkeln Allgen der
wieder zum Bewußtsein erwachenden armen Sprachlehrerin mit dem blau-


Das Nickelpriilzesschen

zurückgedampft. Sie war mir in zu schöner Erinnerung, die Fahrt mit Ihnen
auf dem Schiffe der Seligen, wie wir es nannte»! So redete er mich ein.

Eben gingen mir beim Anblick von ein Paar schwarzen Augen dieselben
Erinnerungen durch den Kopf, antwortete ich, indem ich die dargebotne Hand
kräftig schüttelte. Nun sagen Sie mir, wie in aller Welt kommen Sie wieder
hierher, noch dazu in Begleitung der schönen Mexikanerin, Sie entdeckungs-
wütiger Bazillenjäger? Haben Sie so schnell die Weltverbesferung in Deutsch¬
land satt bekommen, oder haben Sie gefunden, was Sie suchten?

Ich habe gesucht und gefunden, viel mehr als ich auf meiner Bazillen-
jcigd erwartet hatte, viel, viel mehr, und alles — für drei Mark dreißig!

So wenig hat Ihnen Ihr vierjähriges Forschen gekostet?

Nein, soviel hat man mir dafür bezahlt, Kommen Sie, ich wollte Sie
gerade abholen, vor Abgang des Schiffes, noch ein wenig herumzuspazieren.
Meine Frau ist bei ihrer Kabineneinrichtung beschäftigt, und da ich so glücklich
war. Sie, wie ich vermutete, hier zu treffen, so müssen Sie mir schon als
Cicerone dienen, denn ich habe die berühmte Brooklhnbrücke über diesen Meeres¬
arm noch nicht näher angesehen. Dann sollen Sie auch alles hören, was Sie
wissen wolle».

Da das Schiff erst spät abends abgehen sollte, hatten wir vollkommen
Zeit. Wir schlenderten hinunter, um uns nach einem kurzen Marsch durch das
Gewühl der Güterschuppen, der Markthallen, der Fährbvvtshallcn in das Chaos
der leicht bergansteigcnden Geschäftsstraßen nach dem Cityhallplatz zu begeben.

Da erzählte mir nun der Kollege, nachdem ich ihn zu seiner Verheiratung
beglückwünscht hatte, wie er Ferienkurse und Ärzteversammlnugen besucht und
wie er sich mit Begeisterung in die Arbeit für die gute Sache gestürzt habe,
wie er in Vorträgen die hohe Mission des Arztstandes für Seucheuabwendung
und Welthhgieiue nachgewiesen habe, und wie das in Berlin und anderswo
aufgenommen worden sei; wie er sich dann, um auch die ärztliche Praxis nicht
ganz zu vernachlässigen, in seinem Heimatstädtchen als Arzt eingerichtet und
wegen seiner Bemühungen um reines Trinkwasser von der Behörde mit Ver¬
weisen bedacht worden sei; kurz, welche Reihe von Enttäuschungen auf seine
großen Erwartungen gefolgt sei.

Schon hatte ihn, der bessere Anerkennung gewohnt war, die Sehnsucht
nach Mexiko gepackt. Da kam die Cholera. Das war ein Feld der Forschung
für ihn! Das Mikroskop mußte wieder heran, und als der Hamburger Senat
ein Ausschreiben nach Ärzten an die Universitäten ergehen ließ, meldete er sich
mit, seine Kenntnisse zu bereichern und seine Hilfe in den Dienst der Mensch¬
heit zu stellen, da wo sie es am meisten bedurfte.

Und wen traf er dort unter den vielen Hunderten von Kranken in dem
Chvlerahospital um der Eppendvrfer Chaussee? Als er die dunkeln Allgen der
wieder zum Bewußtsein erwachenden armen Sprachlehrerin mit dem blau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/93>, abgerufen am 23.11.2024.