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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Mas wird ans dem Griechischen?

sehr alt sei. Noch im Anfange unsers Jahrhunderts, also zu einer Zeit, wo
die Beschäftigung mit der griechischen Litteratur noch wahrhaft befruchtend
wirkte und vielfach die Geistesrichtung der Edelsten unsers Volks bestimmte,
war die Teilnahme am griechischen Sprachunterricht den Schülern ganz frei
gestellt. Selbst Friedrich August Wolf, den man auch jetzt noch gern als den
eigentlichen Begründer der preußischen Gymnasialpädagogik feiert, war durch¬
aus für den fakultativen Betrieb des Griechischen. In einem für die philo¬
sophische Fakultät zu Halle im Jahre 1803 entworfnen Gutachten riet er, das
Griechische nur für die Theologen und Gelehrtenschullehrer obligatorisch zu
machen. Erst in der neuen preußischen Prnfnngsvrdnuug vom Jahre 1812
tritt es als unumgängliche Vorbedingung zu Universitätsstudien auf. Wolf
hat seinen Unmut über diese Wendung der Dinge wiederholt in scharfen und
bittern Worten geäußert. Es half nichts, die Entwicklung des preußischen
Gymnasialnnterrichts ging unter dem strammen, jede Svnderansicht rücksichtslos
niederschlagenden Regiment Schutzes auf dem einmal betretnen Wege weiter.
Bräche man mit diesem System, das vor achtzig Jahren nnter dem Einfluß
einer damals in Gelehrtenkreisen mächtigen, jetzt längst verlaufnen Zeitströ¬
mung ziemlich gewaltsam in die Praxis eingeführt worden ist, so würde man
nicht altehrwürdiges beseitigen, sondern im Gegenteil um die glänzendste Zeit
des deutschen Geisteslebens anknüpfen.

Bahnsch, dem wir hier beinahe Wort für Wort gefolgt sind, geht nun
auf den Wert guter Übersetzungen ein. Der gewöhnliche Einwand lautet:
Übersetzungen können nie das Original ersetzen, selbst gute können es nicht.
Aber Shakespeare ist durch die Schlegel-Tieckschc Übersetzung, Homer dnrch
die Vossische deutsch geworden, warum sollte das nicht auch bei andern
Schriftstellern möglich sein? Und dann: Haben wir wirklich den vollen Genuß
der griechischen Sprache, wie ihn die Alten gehabt haben? Liegt dieser Genuß
etwa in der mühselig weiterschleichenden Pensenarbeit, die in langen Zeiträumen
nur einen kleinen Teil des ganzen Werkes bewältigt, oder in der stockenden,
unbeholfnen Übertragung des Schülers, oder etwa in der Aussprache? Eckstein
nannte die jetzt übliche Erasmnssche Aussprache geradezu rauh und breit und
meinte, daß von einem schönen Klänge der Sprache gar nicht die Rede sei.
Wenn uns die Alten hörten! In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts,
in der klassischen Zeit des Humanismus, was erschien den Verehrern des Grie¬
chischen als das wichtigste? Gute Übersetzungen. Unsre großen Dichter ver¬
danken diesen Übersetzungen mehr als den Originalen, und seit dieser Zeit ist
die Übersetzungsknnst weit vorgeschritten. Man denke an Droysens Äschylus
und Aristophanes, an Geibels Tyrtäus, Sappyo und Theognis, an Langes
Herodot, mi Tafels Aenophon!

Aber machen es Übersetzungen nicht zu leicht? Ist es nicht sehr wahr,
daß nur im fremdsprachigen Unterrichte die Schüler jene strenge Gewohnheit


Mas wird ans dem Griechischen?

sehr alt sei. Noch im Anfange unsers Jahrhunderts, also zu einer Zeit, wo
die Beschäftigung mit der griechischen Litteratur noch wahrhaft befruchtend
wirkte und vielfach die Geistesrichtung der Edelsten unsers Volks bestimmte,
war die Teilnahme am griechischen Sprachunterricht den Schülern ganz frei
gestellt. Selbst Friedrich August Wolf, den man auch jetzt noch gern als den
eigentlichen Begründer der preußischen Gymnasialpädagogik feiert, war durch¬
aus für den fakultativen Betrieb des Griechischen. In einem für die philo¬
sophische Fakultät zu Halle im Jahre 1803 entworfnen Gutachten riet er, das
Griechische nur für die Theologen und Gelehrtenschullehrer obligatorisch zu
machen. Erst in der neuen preußischen Prnfnngsvrdnuug vom Jahre 1812
tritt es als unumgängliche Vorbedingung zu Universitätsstudien auf. Wolf
hat seinen Unmut über diese Wendung der Dinge wiederholt in scharfen und
bittern Worten geäußert. Es half nichts, die Entwicklung des preußischen
Gymnasialnnterrichts ging unter dem strammen, jede Svnderansicht rücksichtslos
niederschlagenden Regiment Schutzes auf dem einmal betretnen Wege weiter.
Bräche man mit diesem System, das vor achtzig Jahren nnter dem Einfluß
einer damals in Gelehrtenkreisen mächtigen, jetzt längst verlaufnen Zeitströ¬
mung ziemlich gewaltsam in die Praxis eingeführt worden ist, so würde man
nicht altehrwürdiges beseitigen, sondern im Gegenteil um die glänzendste Zeit
des deutschen Geisteslebens anknüpfen.

Bahnsch, dem wir hier beinahe Wort für Wort gefolgt sind, geht nun
auf den Wert guter Übersetzungen ein. Der gewöhnliche Einwand lautet:
Übersetzungen können nie das Original ersetzen, selbst gute können es nicht.
Aber Shakespeare ist durch die Schlegel-Tieckschc Übersetzung, Homer dnrch
die Vossische deutsch geworden, warum sollte das nicht auch bei andern
Schriftstellern möglich sein? Und dann: Haben wir wirklich den vollen Genuß
der griechischen Sprache, wie ihn die Alten gehabt haben? Liegt dieser Genuß
etwa in der mühselig weiterschleichenden Pensenarbeit, die in langen Zeiträumen
nur einen kleinen Teil des ganzen Werkes bewältigt, oder in der stockenden,
unbeholfnen Übertragung des Schülers, oder etwa in der Aussprache? Eckstein
nannte die jetzt übliche Erasmnssche Aussprache geradezu rauh und breit und
meinte, daß von einem schönen Klänge der Sprache gar nicht die Rede sei.
Wenn uns die Alten hörten! In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts,
in der klassischen Zeit des Humanismus, was erschien den Verehrern des Grie¬
chischen als das wichtigste? Gute Übersetzungen. Unsre großen Dichter ver¬
danken diesen Übersetzungen mehr als den Originalen, und seit dieser Zeit ist
die Übersetzungsknnst weit vorgeschritten. Man denke an Droysens Äschylus
und Aristophanes, an Geibels Tyrtäus, Sappyo und Theognis, an Langes
Herodot, mi Tafels Aenophon!

Aber machen es Übersetzungen nicht zu leicht? Ist es nicht sehr wahr,
daß nur im fremdsprachigen Unterrichte die Schüler jene strenge Gewohnheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/78>, abgerufen am 01.09.2024.