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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Brauchen deshalb zum Beispiel zum Studium der Medizin nur drei
Semester statt fünf Jahre, warf ich dazwischen.

Nein! Aber sie setzen ihre Gedanken schneller in die That um als die
Europäer, fuhr Herr Rathmann ruhig fort, und darum hat die Jugend hier
eine große Zukunft, die der alten Welt dereinst noch zum Muster dienen wird.

Ich würde Ihnen glauben, was Sie sagen, wenn nicht die Jugend auch
hier in Unwahrheit großgezogen würde: die Geldjagd, von der sie außerhalb
der Schule und zu Hause den ganzen Tag hört, stimmt so wenig zu den
idealen Vorspiegelungen der deutschen Dichter und Denker und zu allem, was
zur Religion in Beziehung steht, daß bei diesem ewigen Zwiespalt, in dem
sich die Kinder befinden, von Wahrhaftigkeit doch keine Rede sein kann. Wahr¬
haftigkeit im Denken und Handeln ist aber die einzige sichere Grundlage jeder
guten Jugenderziehung. Die Kinder haben bei dem mangelhaften Religions¬
unterricht kein Gegengewicht gegen die Oberflächlichkeit und Verlogenheit der
Tagcsrichtung.

Religionsunterricht, wenigstens konfessioneller, wird hier überhaupt nicht
erteilt, erwiderte der Direktor. Hier tritt Nnturlehre an die Stelle der Priester¬
offenbarung. Es giebt keine göttlichere, heiligere Lehre für die Jungen, als
was der gereiften Alten innerste, heiligste Herzensüberzeugung ist. Wir haben
mit der Gepflogenheit gebrochen, der Jugend erst etwas vorzuheucheln, damit
sie sich dann aus diesem Wirrsal selbst den Weg zur Wahrheit suche und uns
als Lügner verachte. Das Beste, das Wahrste ist für den Jugendunterricht
gerade wahr und gut genug. Und unsre Weltanschauung, gestehen wir Alten
es uns nur, beruht doch auf der heiligen Naturoffenbarung, die eins ist mit
der Gottesoffenbarung. Das ist das Beste, was wir haben, und dieses neue
Drummondsche Licht wird die Jugend trotz des sie umgebenden Baals- und
Mammonsdienstes, wenn sie erst selbständig zu denken anfängt, zu aller Wahr¬
heit leiten und --

Glücklicher Schwärmer! dachte ich, und er mochte wohl meinem Gesicht
meine Gedanken ansehen. Aber er fuhr unbeirrt fort: und wird das alte,
abgelebte Europa in der neuen Welt wieder frisch aufblühen lassen zur Weiter-
führung der Zivilisationsarbeit, nachdem sie drüben an den Schranken des
Absolutismus, der Hierarchie und der Anarchie zum Stillstande gekommen ist.
Das ist aber die Mission des Deutschtums in der neuen Welt, denn andre,
als die Deutschen, thun es doch nicht. Und darum fühle ich mich glücklich
als deutscher Schulmann hier auf diesem weitvorgeschobnen Posten, trotz aller
Schwierigkeiten meiner Pionierarbeit. --

Als ich wieder im Kabelbahnwagen faß, mußte ich unwillkürlich an die
Prophezeiung Lenaus in Kürnbergers Amerikamüdem denken.

Aber auf einmal wurde es lebendig im Wagen, denn Jungamerika sprang
herein. Es waren meine jungen Freunde aus der 1'ublio Lvuool mit dem Cor-


Bilder aus dem Weste»

Brauchen deshalb zum Beispiel zum Studium der Medizin nur drei
Semester statt fünf Jahre, warf ich dazwischen.

Nein! Aber sie setzen ihre Gedanken schneller in die That um als die
Europäer, fuhr Herr Rathmann ruhig fort, und darum hat die Jugend hier
eine große Zukunft, die der alten Welt dereinst noch zum Muster dienen wird.

Ich würde Ihnen glauben, was Sie sagen, wenn nicht die Jugend auch
hier in Unwahrheit großgezogen würde: die Geldjagd, von der sie außerhalb
der Schule und zu Hause den ganzen Tag hört, stimmt so wenig zu den
idealen Vorspiegelungen der deutschen Dichter und Denker und zu allem, was
zur Religion in Beziehung steht, daß bei diesem ewigen Zwiespalt, in dem
sich die Kinder befinden, von Wahrhaftigkeit doch keine Rede sein kann. Wahr¬
haftigkeit im Denken und Handeln ist aber die einzige sichere Grundlage jeder
guten Jugenderziehung. Die Kinder haben bei dem mangelhaften Religions¬
unterricht kein Gegengewicht gegen die Oberflächlichkeit und Verlogenheit der
Tagcsrichtung.

Religionsunterricht, wenigstens konfessioneller, wird hier überhaupt nicht
erteilt, erwiderte der Direktor. Hier tritt Nnturlehre an die Stelle der Priester¬
offenbarung. Es giebt keine göttlichere, heiligere Lehre für die Jungen, als
was der gereiften Alten innerste, heiligste Herzensüberzeugung ist. Wir haben
mit der Gepflogenheit gebrochen, der Jugend erst etwas vorzuheucheln, damit
sie sich dann aus diesem Wirrsal selbst den Weg zur Wahrheit suche und uns
als Lügner verachte. Das Beste, das Wahrste ist für den Jugendunterricht
gerade wahr und gut genug. Und unsre Weltanschauung, gestehen wir Alten
es uns nur, beruht doch auf der heiligen Naturoffenbarung, die eins ist mit
der Gottesoffenbarung. Das ist das Beste, was wir haben, und dieses neue
Drummondsche Licht wird die Jugend trotz des sie umgebenden Baals- und
Mammonsdienstes, wenn sie erst selbständig zu denken anfängt, zu aller Wahr¬
heit leiten und —

Glücklicher Schwärmer! dachte ich, und er mochte wohl meinem Gesicht
meine Gedanken ansehen. Aber er fuhr unbeirrt fort: und wird das alte,
abgelebte Europa in der neuen Welt wieder frisch aufblühen lassen zur Weiter-
führung der Zivilisationsarbeit, nachdem sie drüben an den Schranken des
Absolutismus, der Hierarchie und der Anarchie zum Stillstande gekommen ist.
Das ist aber die Mission des Deutschtums in der neuen Welt, denn andre,
als die Deutschen, thun es doch nicht. Und darum fühle ich mich glücklich
als deutscher Schulmann hier auf diesem weitvorgeschobnen Posten, trotz aller
Schwierigkeiten meiner Pionierarbeit. —

Als ich wieder im Kabelbahnwagen faß, mußte ich unwillkürlich an die
Prophezeiung Lenaus in Kürnbergers Amerikamüdem denken.

Aber auf einmal wurde es lebendig im Wagen, denn Jungamerika sprang
herein. Es waren meine jungen Freunde aus der 1'ublio Lvuool mit dem Cor-


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[0626] Bilder aus dem Weste» Brauchen deshalb zum Beispiel zum Studium der Medizin nur drei Semester statt fünf Jahre, warf ich dazwischen. Nein! Aber sie setzen ihre Gedanken schneller in die That um als die Europäer, fuhr Herr Rathmann ruhig fort, und darum hat die Jugend hier eine große Zukunft, die der alten Welt dereinst noch zum Muster dienen wird. Ich würde Ihnen glauben, was Sie sagen, wenn nicht die Jugend auch hier in Unwahrheit großgezogen würde: die Geldjagd, von der sie außerhalb der Schule und zu Hause den ganzen Tag hört, stimmt so wenig zu den idealen Vorspiegelungen der deutschen Dichter und Denker und zu allem, was zur Religion in Beziehung steht, daß bei diesem ewigen Zwiespalt, in dem sich die Kinder befinden, von Wahrhaftigkeit doch keine Rede sein kann. Wahr¬ haftigkeit im Denken und Handeln ist aber die einzige sichere Grundlage jeder guten Jugenderziehung. Die Kinder haben bei dem mangelhaften Religions¬ unterricht kein Gegengewicht gegen die Oberflächlichkeit und Verlogenheit der Tagcsrichtung. Religionsunterricht, wenigstens konfessioneller, wird hier überhaupt nicht erteilt, erwiderte der Direktor. Hier tritt Nnturlehre an die Stelle der Priester¬ offenbarung. Es giebt keine göttlichere, heiligere Lehre für die Jungen, als was der gereiften Alten innerste, heiligste Herzensüberzeugung ist. Wir haben mit der Gepflogenheit gebrochen, der Jugend erst etwas vorzuheucheln, damit sie sich dann aus diesem Wirrsal selbst den Weg zur Wahrheit suche und uns als Lügner verachte. Das Beste, das Wahrste ist für den Jugendunterricht gerade wahr und gut genug. Und unsre Weltanschauung, gestehen wir Alten es uns nur, beruht doch auf der heiligen Naturoffenbarung, die eins ist mit der Gottesoffenbarung. Das ist das Beste, was wir haben, und dieses neue Drummondsche Licht wird die Jugend trotz des sie umgebenden Baals- und Mammonsdienstes, wenn sie erst selbständig zu denken anfängt, zu aller Wahr¬ heit leiten und — Glücklicher Schwärmer! dachte ich, und er mochte wohl meinem Gesicht meine Gedanken ansehen. Aber er fuhr unbeirrt fort: und wird das alte, abgelebte Europa in der neuen Welt wieder frisch aufblühen lassen zur Weiter- führung der Zivilisationsarbeit, nachdem sie drüben an den Schranken des Absolutismus, der Hierarchie und der Anarchie zum Stillstande gekommen ist. Das ist aber die Mission des Deutschtums in der neuen Welt, denn andre, als die Deutschen, thun es doch nicht. Und darum fühle ich mich glücklich als deutscher Schulmann hier auf diesem weitvorgeschobnen Posten, trotz aller Schwierigkeiten meiner Pionierarbeit. — Als ich wieder im Kabelbahnwagen faß, mußte ich unwillkürlich an die Prophezeiung Lenaus in Kürnbergers Amerikamüdem denken. Aber auf einmal wurde es lebendig im Wagen, denn Jungamerika sprang herein. Es waren meine jungen Freunde aus der 1'ublio Lvuool mit dem Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/626>, abgerufen am 27.07.2024.