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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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müßten mindestens wieder auf ihre Unkosten kommen -- so ungefähr dachten
die hartgesottenen Väter des Unternehmens.

Und was wird nun ans solchem dentschamerikanischen Nachwuchs? fragte
ich den Direktor, als sich der Schwarm verlaufen hatte.

Das, was Sie eben um sich gesehen haben: Bürgermeister, Kaufleute,
Brauer, Lehrer, Handwerker, Politiker. Die Eltern und Verwandten haben
meist auch schon solche Schulen hier oder wo anders im Lande besucht. Es
sind die Nachkommen unsrer großen achtundvierziger Answandrerwelle. Und
dieser Nachwuchs hat noch immer trotz aller Mischheiraten etwas von dem tief¬
wurzelnden Selbständigkeitsstreben in sich, das jener Zeit deu Charakter gab.
Sie haben alle ein Ziel: selbständige Menschen zu werden. Praktisch werden
sie alle; die der Erfolg nicht krönt, die sind bald verschollen und tauchen dann
wo anders, jenseits der Anden oder jenseits der großen Seen, wieder mit dem¬
selben Streben auf, und so schlecht es einem auch gehen mag, ein dienender
Geist wird keiner von ihnen. Das Deutschtum hat noch eine große Zukunft
in Amerika, und die deutsche Schule ist der Haupthebel dazu.

Stirbt der deutsche Nachwuchs nicht mit der Zeit aus, wie die Anthro¬
pologen behaupten? fragte ich weiter.

Hier unter dem vierunddreißigsten Breitengrade vermehren sich die Deutschen
ebensogut wie unter dem vierzigsten in Illinois und unter dem dreißigsten in
Louisiana, erwiderte er. Manch solches Vorurteil, das sich von Buch zu Buch
fortschleppt, würde längst besiegt sein, wenn sich die deutschen Herren Gelehrten
öfter in die neue Welt, besonders nach dem Westen und Süden hinauswagten.
Sie würden aufhöre", Amerika als ein Flüchtlingsasyl des Auswurfs von
Europa zu betrachten, und würden bald sehen, daß sich anch hier, wie im
alten Etrurien aus den griechischen Auswanderern, ein neues, großes, mächtiges
Rom gebildet hat, das der alten Welt in mancher Beziehung voran ist; am
meisten freilich im Kopfrechnen, in technischen Dingen und in der Thatcnfrische
und Naschheit des Handelns.

Ja, wenn es bloß aufs Kopfrechnen und auf die Technik ankäme, dann
gäbe ich zu, daß die neue Welt einst die alte überflügeln wird.

Da trauen Sie aber doch der amerikanischen Jugend zu wenig Gedanken¬
tiefe und Entschlußfähigkeit zu! Es ist ja richtig: wenn man so sieht, wie die
Eltern ihre Kinder erst so lange als möglich als Ersatz für die Dienstboten
betrachten, sie zum Feuermachen, zum Stiefelputzen, zum Einkaufen gebrauchen,
dann, wenn sie aus der Schule sind, sie zu Handlangern im väterlichen Ge¬
schäft ausbilden, so will einem als Schulmann manchmal der Mut sinken;
aber was solch ein junges Blut leisten kann, wenn es einmal eine Lieblings¬
idee erfaßt hat, und wenn man ihm dabei weiterhilft, das sehen Sie an einem
Eddisvn, einem Webster, einem Jngersoll, einem Marc Twain. Sie werden zu¬
geben, es steckt Schneid in dieser Nasse, sie leisten alles doppelt rasch und --


Grenzboten III 1893 78
Bilder aus dein Ivesten

müßten mindestens wieder auf ihre Unkosten kommen — so ungefähr dachten
die hartgesottenen Väter des Unternehmens.

Und was wird nun ans solchem dentschamerikanischen Nachwuchs? fragte
ich den Direktor, als sich der Schwarm verlaufen hatte.

Das, was Sie eben um sich gesehen haben: Bürgermeister, Kaufleute,
Brauer, Lehrer, Handwerker, Politiker. Die Eltern und Verwandten haben
meist auch schon solche Schulen hier oder wo anders im Lande besucht. Es
sind die Nachkommen unsrer großen achtundvierziger Answandrerwelle. Und
dieser Nachwuchs hat noch immer trotz aller Mischheiraten etwas von dem tief¬
wurzelnden Selbständigkeitsstreben in sich, das jener Zeit deu Charakter gab.
Sie haben alle ein Ziel: selbständige Menschen zu werden. Praktisch werden
sie alle; die der Erfolg nicht krönt, die sind bald verschollen und tauchen dann
wo anders, jenseits der Anden oder jenseits der großen Seen, wieder mit dem¬
selben Streben auf, und so schlecht es einem auch gehen mag, ein dienender
Geist wird keiner von ihnen. Das Deutschtum hat noch eine große Zukunft
in Amerika, und die deutsche Schule ist der Haupthebel dazu.

Stirbt der deutsche Nachwuchs nicht mit der Zeit aus, wie die Anthro¬
pologen behaupten? fragte ich weiter.

Hier unter dem vierunddreißigsten Breitengrade vermehren sich die Deutschen
ebensogut wie unter dem vierzigsten in Illinois und unter dem dreißigsten in
Louisiana, erwiderte er. Manch solches Vorurteil, das sich von Buch zu Buch
fortschleppt, würde längst besiegt sein, wenn sich die deutschen Herren Gelehrten
öfter in die neue Welt, besonders nach dem Westen und Süden hinauswagten.
Sie würden aufhöre», Amerika als ein Flüchtlingsasyl des Auswurfs von
Europa zu betrachten, und würden bald sehen, daß sich anch hier, wie im
alten Etrurien aus den griechischen Auswanderern, ein neues, großes, mächtiges
Rom gebildet hat, das der alten Welt in mancher Beziehung voran ist; am
meisten freilich im Kopfrechnen, in technischen Dingen und in der Thatcnfrische
und Naschheit des Handelns.

Ja, wenn es bloß aufs Kopfrechnen und auf die Technik ankäme, dann
gäbe ich zu, daß die neue Welt einst die alte überflügeln wird.

Da trauen Sie aber doch der amerikanischen Jugend zu wenig Gedanken¬
tiefe und Entschlußfähigkeit zu! Es ist ja richtig: wenn man so sieht, wie die
Eltern ihre Kinder erst so lange als möglich als Ersatz für die Dienstboten
betrachten, sie zum Feuermachen, zum Stiefelputzen, zum Einkaufen gebrauchen,
dann, wenn sie aus der Schule sind, sie zu Handlangern im väterlichen Ge¬
schäft ausbilden, so will einem als Schulmann manchmal der Mut sinken;
aber was solch ein junges Blut leisten kann, wenn es einmal eine Lieblings¬
idee erfaßt hat, und wenn man ihm dabei weiterhilft, das sehen Sie an einem
Eddisvn, einem Webster, einem Jngersoll, einem Marc Twain. Sie werden zu¬
geben, es steckt Schneid in dieser Nasse, sie leisten alles doppelt rasch und —


Grenzboten III 1893 78
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/625>, abgerufen am 27.11.2024.