Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das frühere Anrhessen

gewählter ständiger Ausschuß die landständischen Interessen wahrzunehmen
habe. Die Befugnisse dieses Ausschusses waren in der Verfassung nicht sehr
genau bestimmt. Als dieser Ausschuß seine Thätigkeit begann, gab es auch
darüber wieder Streit.

Wegen einer ganzen Reihe solcher Streitigkeiten erhoben nun die Stände
wiederholt Anklagen wider Hassenpflug bei dem Obernppellntionsgericht als
Staatsgerichtshof. Ein Schriftsteller, der dabei mitwirkte, äußerte sich später
so darüber: "Es waren weniger die einzelnen Handlungen Hasseupflugs, welche
die Stände zu den Anklagen gegen ihn bewogen, als das unermüdliche An¬
kämpfen gegen das lebendige Wirken der Verfassung und deren gesetzmäßige
Entwicklung, welches sie als den Charakter des von ihm seit seinem Eintritt
in das Ministerium beobachteten Regierungssystems ansahen." Eine nach Auf¬
lösung der Ständeversammlung vom ständigen Ausschusse erhobne Anklage
warf Hassenpflug vor: "Vernichtung der dem Volke verfassungsmäßig ge¬
währten bürgerlichen und politischen Freiheit durch Beeinträchtigung der land-
stündischen Rechte, Schmälerung und Bedrohung der grnndgesetzlichen Wahl-
freiheit, ungemessene, verfassungswidrige Ausdehnung der Polizeigewalt, Ver¬
letzung des verfassungsmüßigen Prinzips der an die landstündische Mitwirkung
geknüpften Gesetzgebung." Die Stunde waren bei Erhebung dieser Anklagen
juristisch nicht gut beraten. Sämtliche Anklagen wurden vom Oberappellations¬
gericht zurückgewiesen, was natürlich nur noch mehr verbitterte. Die zuletzt
erwähnte Anklage wurde verworfen, weil der ständige Ausschuß nur wegen
Unterlassung rechtzeitiger Einberufung des Landtags eine Anklage zu erheben
befugt sei; eine solche auch nur wegen Verfassungsverletzuug, nicht wegen
andern Amtsvergehen gegen einen Minister von den Stünden erhoben werden
könne.

Diese Anführungen werden genügen, ungefähr ein Bild von den damaligen
Streitigkeiten zu geben. Es ist wahr, die Art und Weise, wie Hassenpflug
diese Streitigkeiten betrieb, war nicht schön. Im Lande entstand ein ungeheurer
Mißmut darüber. Betrachten wir aber heute diese Dinge mit unbefangnerem
Blick, so müssen wir doch sagen: das Ganze war mehr ein Nechtsgezünk for¬
malistischer Art, als daß sachliche Interessen dabei auf dem Spiele gestanden
hätten. Einen unmittelbaren Einfluß auf die Zustünde des Landes übten diese
Streitigkeiten gar nicht. Auch kauu man die Stunde nicht ganz von einseitiger
Auffassung der Verhältnisse freisprechen. Der Liberalismus steckte eben damals
noch in den Kinderschuhen.

Betrachten wir nun dagegen die sachliche Wirksamkeit, die Hassenpflng
in jener Periode geübt hat, so können wir sie nur mit den Worten bezeichnen:
Kurhessen verdankt Hassenpflug eine große Reihe von Gesetzen und Einrich¬
tungen, die sich für das Land dauernd als wohlthätig erwiesen haben. Auch
waren diese Schöpfungen nicht etwa reaktionärer Natur, sondern es war einer


Das frühere Anrhessen

gewählter ständiger Ausschuß die landständischen Interessen wahrzunehmen
habe. Die Befugnisse dieses Ausschusses waren in der Verfassung nicht sehr
genau bestimmt. Als dieser Ausschuß seine Thätigkeit begann, gab es auch
darüber wieder Streit.

Wegen einer ganzen Reihe solcher Streitigkeiten erhoben nun die Stände
wiederholt Anklagen wider Hassenpflug bei dem Obernppellntionsgericht als
Staatsgerichtshof. Ein Schriftsteller, der dabei mitwirkte, äußerte sich später
so darüber: „Es waren weniger die einzelnen Handlungen Hasseupflugs, welche
die Stände zu den Anklagen gegen ihn bewogen, als das unermüdliche An¬
kämpfen gegen das lebendige Wirken der Verfassung und deren gesetzmäßige
Entwicklung, welches sie als den Charakter des von ihm seit seinem Eintritt
in das Ministerium beobachteten Regierungssystems ansahen." Eine nach Auf¬
lösung der Ständeversammlung vom ständigen Ausschusse erhobne Anklage
warf Hassenpflug vor: „Vernichtung der dem Volke verfassungsmäßig ge¬
währten bürgerlichen und politischen Freiheit durch Beeinträchtigung der land-
stündischen Rechte, Schmälerung und Bedrohung der grnndgesetzlichen Wahl-
freiheit, ungemessene, verfassungswidrige Ausdehnung der Polizeigewalt, Ver¬
letzung des verfassungsmüßigen Prinzips der an die landstündische Mitwirkung
geknüpften Gesetzgebung." Die Stunde waren bei Erhebung dieser Anklagen
juristisch nicht gut beraten. Sämtliche Anklagen wurden vom Oberappellations¬
gericht zurückgewiesen, was natürlich nur noch mehr verbitterte. Die zuletzt
erwähnte Anklage wurde verworfen, weil der ständige Ausschuß nur wegen
Unterlassung rechtzeitiger Einberufung des Landtags eine Anklage zu erheben
befugt sei; eine solche auch nur wegen Verfassungsverletzuug, nicht wegen
andern Amtsvergehen gegen einen Minister von den Stünden erhoben werden
könne.

Diese Anführungen werden genügen, ungefähr ein Bild von den damaligen
Streitigkeiten zu geben. Es ist wahr, die Art und Weise, wie Hassenpflug
diese Streitigkeiten betrieb, war nicht schön. Im Lande entstand ein ungeheurer
Mißmut darüber. Betrachten wir aber heute diese Dinge mit unbefangnerem
Blick, so müssen wir doch sagen: das Ganze war mehr ein Nechtsgezünk for¬
malistischer Art, als daß sachliche Interessen dabei auf dem Spiele gestanden
hätten. Einen unmittelbaren Einfluß auf die Zustünde des Landes übten diese
Streitigkeiten gar nicht. Auch kauu man die Stunde nicht ganz von einseitiger
Auffassung der Verhältnisse freisprechen. Der Liberalismus steckte eben damals
noch in den Kinderschuhen.

Betrachten wir nun dagegen die sachliche Wirksamkeit, die Hassenpflng
in jener Periode geübt hat, so können wir sie nur mit den Worten bezeichnen:
Kurhessen verdankt Hassenpflug eine große Reihe von Gesetzen und Einrich¬
tungen, die sich für das Land dauernd als wohlthätig erwiesen haben. Auch
waren diese Schöpfungen nicht etwa reaktionärer Natur, sondern es war einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215566"/>
          <fw type="header" place="top"> Das frühere Anrhessen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1658" prev="#ID_1657"> gewählter ständiger Ausschuß die landständischen Interessen wahrzunehmen<lb/>
habe. Die Befugnisse dieses Ausschusses waren in der Verfassung nicht sehr<lb/>
genau bestimmt. Als dieser Ausschuß seine Thätigkeit begann, gab es auch<lb/>
darüber wieder Streit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1659"> Wegen einer ganzen Reihe solcher Streitigkeiten erhoben nun die Stände<lb/>
wiederholt Anklagen wider Hassenpflug bei dem Obernppellntionsgericht als<lb/>
Staatsgerichtshof. Ein Schriftsteller, der dabei mitwirkte, äußerte sich später<lb/>
so darüber: &#x201E;Es waren weniger die einzelnen Handlungen Hasseupflugs, welche<lb/>
die Stände zu den Anklagen gegen ihn bewogen, als das unermüdliche An¬<lb/>
kämpfen gegen das lebendige Wirken der Verfassung und deren gesetzmäßige<lb/>
Entwicklung, welches sie als den Charakter des von ihm seit seinem Eintritt<lb/>
in das Ministerium beobachteten Regierungssystems ansahen." Eine nach Auf¬<lb/>
lösung der Ständeversammlung vom ständigen Ausschusse erhobne Anklage<lb/>
warf Hassenpflug vor: &#x201E;Vernichtung der dem Volke verfassungsmäßig ge¬<lb/>
währten bürgerlichen und politischen Freiheit durch Beeinträchtigung der land-<lb/>
stündischen Rechte, Schmälerung und Bedrohung der grnndgesetzlichen Wahl-<lb/>
freiheit, ungemessene, verfassungswidrige Ausdehnung der Polizeigewalt, Ver¬<lb/>
letzung des verfassungsmüßigen Prinzips der an die landstündische Mitwirkung<lb/>
geknüpften Gesetzgebung." Die Stunde waren bei Erhebung dieser Anklagen<lb/>
juristisch nicht gut beraten. Sämtliche Anklagen wurden vom Oberappellations¬<lb/>
gericht zurückgewiesen, was natürlich nur noch mehr verbitterte. Die zuletzt<lb/>
erwähnte Anklage wurde verworfen, weil der ständige Ausschuß nur wegen<lb/>
Unterlassung rechtzeitiger Einberufung des Landtags eine Anklage zu erheben<lb/>
befugt sei; eine solche auch nur wegen Verfassungsverletzuug, nicht wegen<lb/>
andern Amtsvergehen gegen einen Minister von den Stünden erhoben werden<lb/>
könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1660"> Diese Anführungen werden genügen, ungefähr ein Bild von den damaligen<lb/>
Streitigkeiten zu geben. Es ist wahr, die Art und Weise, wie Hassenpflug<lb/>
diese Streitigkeiten betrieb, war nicht schön. Im Lande entstand ein ungeheurer<lb/>
Mißmut darüber. Betrachten wir aber heute diese Dinge mit unbefangnerem<lb/>
Blick, so müssen wir doch sagen: das Ganze war mehr ein Nechtsgezünk for¬<lb/>
malistischer Art, als daß sachliche Interessen dabei auf dem Spiele gestanden<lb/>
hätten. Einen unmittelbaren Einfluß auf die Zustünde des Landes übten diese<lb/>
Streitigkeiten gar nicht. Auch kauu man die Stunde nicht ganz von einseitiger<lb/>
Auffassung der Verhältnisse freisprechen. Der Liberalismus steckte eben damals<lb/>
noch in den Kinderschuhen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1661" next="#ID_1662"> Betrachten wir nun dagegen die sachliche Wirksamkeit, die Hassenpflng<lb/>
in jener Periode geübt hat, so können wir sie nur mit den Worten bezeichnen:<lb/>
Kurhessen verdankt Hassenpflug eine große Reihe von Gesetzen und Einrich¬<lb/>
tungen, die sich für das Land dauernd als wohlthätig erwiesen haben. Auch<lb/>
waren diese Schöpfungen nicht etwa reaktionärer Natur, sondern es war einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0476] Das frühere Anrhessen gewählter ständiger Ausschuß die landständischen Interessen wahrzunehmen habe. Die Befugnisse dieses Ausschusses waren in der Verfassung nicht sehr genau bestimmt. Als dieser Ausschuß seine Thätigkeit begann, gab es auch darüber wieder Streit. Wegen einer ganzen Reihe solcher Streitigkeiten erhoben nun die Stände wiederholt Anklagen wider Hassenpflug bei dem Obernppellntionsgericht als Staatsgerichtshof. Ein Schriftsteller, der dabei mitwirkte, äußerte sich später so darüber: „Es waren weniger die einzelnen Handlungen Hasseupflugs, welche die Stände zu den Anklagen gegen ihn bewogen, als das unermüdliche An¬ kämpfen gegen das lebendige Wirken der Verfassung und deren gesetzmäßige Entwicklung, welches sie als den Charakter des von ihm seit seinem Eintritt in das Ministerium beobachteten Regierungssystems ansahen." Eine nach Auf¬ lösung der Ständeversammlung vom ständigen Ausschusse erhobne Anklage warf Hassenpflug vor: „Vernichtung der dem Volke verfassungsmäßig ge¬ währten bürgerlichen und politischen Freiheit durch Beeinträchtigung der land- stündischen Rechte, Schmälerung und Bedrohung der grnndgesetzlichen Wahl- freiheit, ungemessene, verfassungswidrige Ausdehnung der Polizeigewalt, Ver¬ letzung des verfassungsmüßigen Prinzips der an die landstündische Mitwirkung geknüpften Gesetzgebung." Die Stunde waren bei Erhebung dieser Anklagen juristisch nicht gut beraten. Sämtliche Anklagen wurden vom Oberappellations¬ gericht zurückgewiesen, was natürlich nur noch mehr verbitterte. Die zuletzt erwähnte Anklage wurde verworfen, weil der ständige Ausschuß nur wegen Unterlassung rechtzeitiger Einberufung des Landtags eine Anklage zu erheben befugt sei; eine solche auch nur wegen Verfassungsverletzuug, nicht wegen andern Amtsvergehen gegen einen Minister von den Stünden erhoben werden könne. Diese Anführungen werden genügen, ungefähr ein Bild von den damaligen Streitigkeiten zu geben. Es ist wahr, die Art und Weise, wie Hassenpflug diese Streitigkeiten betrieb, war nicht schön. Im Lande entstand ein ungeheurer Mißmut darüber. Betrachten wir aber heute diese Dinge mit unbefangnerem Blick, so müssen wir doch sagen: das Ganze war mehr ein Nechtsgezünk for¬ malistischer Art, als daß sachliche Interessen dabei auf dem Spiele gestanden hätten. Einen unmittelbaren Einfluß auf die Zustünde des Landes übten diese Streitigkeiten gar nicht. Auch kauu man die Stunde nicht ganz von einseitiger Auffassung der Verhältnisse freisprechen. Der Liberalismus steckte eben damals noch in den Kinderschuhen. Betrachten wir nun dagegen die sachliche Wirksamkeit, die Hassenpflng in jener Periode geübt hat, so können wir sie nur mit den Worten bezeichnen: Kurhessen verdankt Hassenpflug eine große Reihe von Gesetzen und Einrich¬ tungen, die sich für das Land dauernd als wohlthätig erwiesen haben. Auch waren diese Schöpfungen nicht etwa reaktionärer Natur, sondern es war einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/476
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/476>, abgerufen am 01.09.2024.