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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das frühere Aurhessen

Thätigkeit dieses Mannes während seines zweiten Ministeriums, insbesondre
den damals von ihm verübten Verfassnngsumsturz, verurteilen mag, so gebietet
es doch schon die geschichtliche Gerechtigkeit, anzuerkennen, was er während
seines ersten Ministeriums dein hessischen Lande gutes gebracht hat. Jene
Worte geben aber auch ein durchaus unrichtiges Bild von den damaligen Zu¬
ständen in Kurhessen. Ich selbst habe diese Zeit von meinem fünfzehnten bis
zu meinem zwanzigsten Jahre durchlebt und weiß mich ihrer im allgemeinen
noch sehr wohl zu erinnern. Ich bin auch imstande, diese Erinnerung durch
viele Einzelheiten zu ergänzen. Darnach glaube ich, den Worten Sybels
folgende Darstellung gegenüberstellen zu dürfen.

Als im Jahre 1831 die neue Verfassung für Kurhessen gegeben wurde,
knüpften sich an sie höchst sanguinische Hoffnungen. Man glaubte, nun sei
alles gewonnen, ein liberales Regiment sei für immer gesichert. Man wußte
uoch nicht, daß alle solche Gesetze von Bestimmungen wimmeln, die einer sehr
verschiednen Auslegung fähig find. Nun trat gegen die liberale Bewegung
des Jahres 1330 schou im Jahre 1832 die Reaktion ein. Man braucht nur
an die damaligen Bnndestagsbeschlnsse zu denken. Hasfenpflug wurde im Mai
1832 Minister. Es ist richtig, daß der Grundcharakter seines Regiments
reaktionär war. Dies äußerte sich namentlich darin, daß er die Verfassung
nicht in dein liberalen Geiste, den man erwartet hatte, sondern mehr im An¬
schluß an die Worte auslegte. Man konnte ihn dabei von dem Vorwurf der
Sophistik und Rabulistik nicht immer freisprechen. Von andrer Seite wollte
man nnn aber die Verfassung so ausgelegt haben, wie man es sich gedacht
hatte. Daraus entstanden unendliche Streitigkeiten zwischen Regierung und
Ständen; Streitigkeiten, die sich zu einem großen Teil an Personen knüpften.

Zur Kennzeichnung dieser Verhältnisse will ich mir einzelnes erwähnen.
Nach der Verfassung hatte jeder Staatsdiener zum Eintritt in den Landtag
die Genehmigung seiner vorgesetzten Behörde einzuholen, die nicht ohne erheb¬
liche Gründe versagt werden sollte. Hassenpflng versagte nnn fast allen Staats¬
dienern, die als liberal bekannt waren, die Genehmigung, und über die Er¬
heblichkeit der dafür angeführten Gründe konnte man oft andrer Ansicht sein.
Das erregte große Bitterkeit. Nach der Verfassung hatte auch der Vertreter
der Landesuniversität einen (althergebrachten) Sitz im Landtage. Die Uni¬
versität wählte den Professor Jordan, den Hanptschöpfer der Verfassung. Hassen¬
pflng erklärte, daß auch dieser als Staatsdiener der Genehmigung bedürfe, ver¬
sagte ihm aber die Genehmigung. Nun erhob sich ein großer Streit darüber,
ob dies dem Sinne der Verfassung entspreche, da ja alsdann jeder Vertreter
der Universität von der Genehmigung der Staatsregierung abhängig sei. Als
hiernach die Stände, trotz des Widerspruchs der Regierung, Jordan zulassen
wollten, wurde der Landtag aufgelöst. Ferner enthielt die Verfassung die Be¬
stimmung, daß, so lauge die Stände nicht versammelt seien, ein von ihnen


Das frühere Aurhessen

Thätigkeit dieses Mannes während seines zweiten Ministeriums, insbesondre
den damals von ihm verübten Verfassnngsumsturz, verurteilen mag, so gebietet
es doch schon die geschichtliche Gerechtigkeit, anzuerkennen, was er während
seines ersten Ministeriums dein hessischen Lande gutes gebracht hat. Jene
Worte geben aber auch ein durchaus unrichtiges Bild von den damaligen Zu¬
ständen in Kurhessen. Ich selbst habe diese Zeit von meinem fünfzehnten bis
zu meinem zwanzigsten Jahre durchlebt und weiß mich ihrer im allgemeinen
noch sehr wohl zu erinnern. Ich bin auch imstande, diese Erinnerung durch
viele Einzelheiten zu ergänzen. Darnach glaube ich, den Worten Sybels
folgende Darstellung gegenüberstellen zu dürfen.

Als im Jahre 1831 die neue Verfassung für Kurhessen gegeben wurde,
knüpften sich an sie höchst sanguinische Hoffnungen. Man glaubte, nun sei
alles gewonnen, ein liberales Regiment sei für immer gesichert. Man wußte
uoch nicht, daß alle solche Gesetze von Bestimmungen wimmeln, die einer sehr
verschiednen Auslegung fähig find. Nun trat gegen die liberale Bewegung
des Jahres 1330 schou im Jahre 1832 die Reaktion ein. Man braucht nur
an die damaligen Bnndestagsbeschlnsse zu denken. Hasfenpflug wurde im Mai
1832 Minister. Es ist richtig, daß der Grundcharakter seines Regiments
reaktionär war. Dies äußerte sich namentlich darin, daß er die Verfassung
nicht in dein liberalen Geiste, den man erwartet hatte, sondern mehr im An¬
schluß an die Worte auslegte. Man konnte ihn dabei von dem Vorwurf der
Sophistik und Rabulistik nicht immer freisprechen. Von andrer Seite wollte
man nnn aber die Verfassung so ausgelegt haben, wie man es sich gedacht
hatte. Daraus entstanden unendliche Streitigkeiten zwischen Regierung und
Ständen; Streitigkeiten, die sich zu einem großen Teil an Personen knüpften.

Zur Kennzeichnung dieser Verhältnisse will ich mir einzelnes erwähnen.
Nach der Verfassung hatte jeder Staatsdiener zum Eintritt in den Landtag
die Genehmigung seiner vorgesetzten Behörde einzuholen, die nicht ohne erheb¬
liche Gründe versagt werden sollte. Hassenpflng versagte nnn fast allen Staats¬
dienern, die als liberal bekannt waren, die Genehmigung, und über die Er¬
heblichkeit der dafür angeführten Gründe konnte man oft andrer Ansicht sein.
Das erregte große Bitterkeit. Nach der Verfassung hatte auch der Vertreter
der Landesuniversität einen (althergebrachten) Sitz im Landtage. Die Uni¬
versität wählte den Professor Jordan, den Hanptschöpfer der Verfassung. Hassen¬
pflng erklärte, daß auch dieser als Staatsdiener der Genehmigung bedürfe, ver¬
sagte ihm aber die Genehmigung. Nun erhob sich ein großer Streit darüber,
ob dies dem Sinne der Verfassung entspreche, da ja alsdann jeder Vertreter
der Universität von der Genehmigung der Staatsregierung abhängig sei. Als
hiernach die Stände, trotz des Widerspruchs der Regierung, Jordan zulassen
wollten, wurde der Landtag aufgelöst. Ferner enthielt die Verfassung die Be¬
stimmung, daß, so lauge die Stände nicht versammelt seien, ein von ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/475>, abgerufen am 01.09.2024.